„Straße zerstört einzigartiges Stück Natur in Roßdorf“

Bruchköbel – Rolf Gogné will zu Beginn des Gesprächs eines vorwegsagen: „Ich bin keiner, der sich dem Fortschritt und jeder Baumaßnahme in den Weg stellt.“ Eigentlich habe er sich noch nie zu Wort gemeldet, wenn in der Stadt ein Baugebiet erschlossen oder eine Straße gebaut worden sei. Das sei diesmal jedoch anders. „Diesmal“, betont der Roßdorfer Ornithologe und Gründer des NABU-Kreisverbandes, „gehe ich, wenn es sein muss, auf die Barrikaden.“
Es nieselt, der 79-Jährige steht an diesem nasskalten Morgen auf dem Wiesenstück gleich westlich vom Roßdorfer Pferdchenkreisel. Hier, wo die Landschaft von Wiesen, Ackerflächen und einigen dichten Heckenbändern geprägt wird, könnte in einer noch unbestimmten Zeit eine Straße gebaut werden. Die sogenannte Roßdorfer Querspange würde den Pferdchenkreisel mit der Bundesstraße 45 verbinden. Das Vorhaben war bereits beim Bau der Bundesstraße diskutiert und nicht zuletzt aufgrund von Protesten seitens der Anwohner fallengelassen worden. Jetzt hat das Land Hessen das Projekt wiederentdeckt und sogar auf seine Prioritätenliste gesetzt, weil man eine besonders hohe „Dringlichkeit im Hinblick auf Unfallhäufigkeit, Lärm und Schadstoffsituation“ erkannt haben will. So jedenfalls steht es in einer gemeinsamen Pressemitteilung, die der heimische CDU-Landtagsabgeordnete Max Schad und der Stadtverband der Bruchköbeler CDU vor nicht allzu langer Zeit verschickt hatten. Die Entscheidung darüber, ob man die Pläne weiterverfolgt, liegt jedoch bei der Bruchköbeler Stadtverordnetenversammlung.
Keine Ahnung von den Begebenheiten vor Ort
Gogné meint, solche Pläne könne nur jemand verfolgen, der von den Begebenheiten vor Ort keine Ahnung habe. „Diese Straße würde ein einzigartiges Stück Natur unwiederbringlich zerstören.“ Was selbst viele Roßdorfer nicht wüssten: Früher gab es in dem betreffenden Gebiet, gleich am Kreisel gelegen, eine Tongrube, aus der man Boden zum Brennen von Ziegelsteinen entnommen habe. Die Erde zwischen Kreisel und Bundesstraße sei so feucht, dass sie selbst in heißen Sommern nie ganz austrockne. Für Vögel und Insekten sei sie deshalb ein Paradies, ein Stück Land, das sich in einem ökologischen Gleichgewicht befinde. „So einen Ort gibt es in ganz Bruchköbel nicht“, fügt der Ornithologe hinzu. „Goldammer, Girlitz, Distelfink“, zählt Gogné auf, während er durch sein Vogelbuch blättert, „das sind alles seltene und vom Aussterben bedrohte Arten“, sagt er. Und alle diese Arten hätten in den dichten Hecken und Büschen noch eine Heimat. Stadtteile wie Roßdorf, Niederissigheim und Oberissigheim hätten keinen Wald wie Nidderau. Für die Vogelwelt stelle diese Landschaft eine Insel, eine Oase dar, sagt Gogné.
Kaum einer kennt dieses Habitat so gut wie der passionierte Vogelkundler, der regelmäßig vor Schulklassen im ganzen Kreisgebiet doziert und zu Hause in seinen Vitrinen eine der größten Sammlungen von Vogelpräparaten unterhält. Unzählige Male habe er auch Schulklassen durch das Feuchtgebiet geführt, um den Kindern den Reichtum dieser Landschaft zu zeigen. Gogné, viele Jahre auch Vorsitzender des 300 Mitglieder zählenden Vogelschutzvereins in Roßdorf, fühlt sich in seinem Kampf gegen das Straßenprojekt nicht allein. Sein Telefon habe in den Tagen nach Bekanntwerden der Pläne kaum noch stillgestanden. Er habe zahlreiche Anrufe von Menschen aus Niederissigheim und Oberissigheim bekommen. Der Tenor: „Es darf nicht passieren, dass diese Landschaft einer Straße geopfert wird“, sagt er. Zumal die Notwendigkeit auch nicht erkennbar sei. Staus gebe es auf der Strecke nicht. Zwischen den beiden Zufahrten in Bruchköbel und oberhalb von Roßdorf lägen nur wenige Kilometer.
Vogelschützer setzten sich schon für Erdwall ein
Gogné zeigt auf einen Erdwall, der sich zwischen Kreisel und Wiesenfläche erhebt. Der Hügel sei auf Bestreben des Vogelschutzvereins angelegt worden, damit die Vögel vor dem Überfliegen des Kreisels an Höhe gewinnen müssen und nicht in den Verkehr fliegen, sagt Gogné. „Ich wünsche mir, dass man genau wie damals auch diesmal unseren Rat befolgt.“
Bürgermeisterin Sylvia Braun (FDP) hat für den 29. November eine gesonderte Bürgerversammlung im Bruchköbeler Bürgerhaus (19.30 Uhr) anberaumt. Im Rahmen der Veranstaltung, die wegen des nur beschränkten Platzangebots im Internet gestreamt werden soll, werden auch die Straßenplaner des Landes zu Wort kommen und das Projekt präsentieren. Entscheiden müssen letztlich die Stadtverordneten von Bruchköbel. Wie dort das Votum ausfallen wird, ist offen. „Die Verwaltung findet das Projekt gut“, sagt Bürgermeisterin Sylvia Braun (FDP), die das Vorhaben bereits in ihrem Wahlprogramm hatte. Ihre Partei, dafür braucht man kein Hellseher sein, wird sich für das Projekt aussprechen. Und auch an der Zustimmung der CDU gibt es kaum Zweifel, hat doch der Landtagsabgeordnete in seinem Schreiben für eine breite Zustimmung geworben und auch die Vorsitzende des Stadtverbandes, Karina Reul, das Projekt als „Chance für Bruchköbel“ gepriesen. Offen ist noch, wie sich die anderen Fraktionen im Parlament positionieren. Der BBB bittet für eine Bewertung der verkehrlichen Situation um Fakten (siehe Bericht unten). Grüne und SPD haben sich bisher noch nicht offiziell zum Thema geäußert.
Rolf Gogné möchte die Parteien in ihrer Findungsphase unterstützen: „Ich lade jeden dazu ein, mit mir gemeinsam dieses Stück Natur kennenzulernen“, sagt er. (Von Holger Weber)