Eine ganz besondere Einbürgerung

Bruchköbel – „Nein, die Nationalhymne mussten wir nicht auswendig lernen, aber wir haben dennoch mitgesungen“, erzählt Bikash Agarwal mit einem Lächeln von der Einbürgerungsfeier in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. Die Familie Agarwal gehört zu den wenigen, jedes Jahr zufällig ausgewählten Neubürgern, die ihre Einbürgerungsurkunde in einem kleinen Festakt von einem Vertreter der Landesregierung überreicht bekommen.
Für die Agarwals, die bei dem Festakt von Bruchköbels Bürgermeisterin Sylvia Braun begleitet wurden, ist dies nicht nur eine nette Geste, sondern eine Ehre und damit ein wichtiger Teil, nun Deutsche und Staatsbürger mit allen Rechten zu sein „Wir wollen hier als Staatsbürger Verantwortung übernehmen“, sagt er.
Beruflich viel unterwegs
„Beruflich waren wir in vielen Ländern, in Großbritannien, Frankreich oder Singapur, wo unser Sohn Reyansh geboren wurde“, erzählt Bikash Agarwal. Als der Junge sechs Monate alt war, ging es nach Deutschland, wo Bikash und seine Frau in Hanau beim gleichen Technologie-Unternehmen arbeiten, er im Controlling, sie im Marketing. „In Europa und Deutschland erleben wir eine sehr offenen Gesellschaft“, sagt die 33 Jahre alte Ehefrau Pratibha. Deutschland habe man sich jedoch nicht ausgesucht, der Job habe sie dorthin geführt. Genau so habe es sich bei der Wahl des Wohnortes ergeben. Nach einer zwei Jahre dauernden Suche sind die Agarwals von der kleinen Wohnung in Hanau nach Bruchköbel in ein Reihenhaus gezogen. „Wir hatten wegen Corona Glück, da war die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt schwächer“, erzählt Agarwal.
„Natürlich hört man über die Deutschen oft Stereotypen, wie auch über Menschen in anderen Ländern“, sagt sie. Die Bruchköbeler Stadtverwaltung falle auf jeden Fall aus den gängigen Klischees heraus. „Im Rathaus arbeiten tolle Leute, die uns bei den Vorbereitungen zur Einbürgerung super unterstützt haben“, sagen sie. „Anfangs sind die Deutschen schon sehr privat, aber wenn man die Leute erst einmal kennengelernt hat, dann ist doch vieles anderes“, sagt der Familienvater zu persönlichen Kontakten. Gegen diese Mentalität haben sich die Agarwals mit ihrer Offenheit und Gastfreundlichkeit schnell als Eisbrecher hervorgetan. „Seit wir in Bruchköbel wohnen, haben wir über die Zeit rund 50 Nachbarn und Kollegen zum Essen eingeladen“, sagt er. „Am Ende sind wir doch alle Menschen, uns bewegen doch die gleichen Themen, nur unsere Hautfarbe ist manchmal anders“, sagt der 39 Jahre alte studierte IT- und Finanzexperte.
Entscheidung war nicht einfach
Die Agarwals erklären aber auch zur Einbürgerung: „Es war keine einfache Entscheidung.“ Dafür habe das Leben in Deutschland gesprochen, das sehr gute Arbeitsklima im Unternehmen, und dass der Sohn, der mittlerweile die Schule besucht, soziale Wurzeln geschlagen habe. Auf der anderen Seite stand, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft nicht möglich war. „Dass wir die Option auf ein lebenslanges Visa für Indien haben, um Freunde und Verwandtschaft jederzeit besuchen zu können, hat es uns dann doch leichter gemacht“, sagt Bikash Agarwal.
Der deutsche Ausweis und die Teilhabe am hiesigen gesellschaftlichen Leben – von der Vereinsmitgliedschaft bis hin zum Wählengehen – bedeutet für die Agarwals nicht, die Herkunft aufzugeben. „Unsere indische Identität ist uns sehr wichtig, ohne dass wir uns gleich als Ausländer fühlen“, sagt er. Daher spricht der Sohn neben Deutsch und Englisch auch die Muttersprache seiner Eltern. Die Agarwals feiern indische Feste, was sich wie jüngst in einer orangefarbenen Papierblumengirlande über den Hauseingang zeigte, aber ebenso nehmen sie die hiesigen Feiertage an. „Zur Adventszeit backe ich immer Plätzchen“, sagt Pratibha Agarwal.
Deutsches Brauchtum zu praktizieren reiche jedoch für den Einbürgerungstest nicht aus, so Agarwal. Sein gutes Deutsch und das seiner Frau sei die Frucht von knapp vier Jahren Unterricht und dem Umstand, es jeden Tag zu sprechen.. „Dass ich jetzt in einem deutschsprachigen Team arbeite, hat mir vor der Prüfung noch einmal sehr geholfen“, sagt er. Für ihn sei es überdies eine Selbstverständlichkeit, die Sprache des Landes zu können, in dem man lebt. Englisch in der Firma? „Wenn ich in Indien arbeiten würde, müsste ich dort Indisch sprechen“, bemerkt er lächelnd. (Von Detlef Sundermann)