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Bruchköbel: Fragen und Antworten nach der Bürgerversammlung zur vom Land priorisierten Roßdorfer Querspange

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Von: Holger Weber-Stoppacher

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Bürgerversammlung am Montag: Es gab nur einen Tagesordnungspunkt.
Bürgerversammlung am Montag: Es gab nur einen Tagesordnungspunkt. © Holger Weber

Braucht Bruchköbel eine weitere Anbindung an die Bundesstraße 45 südlich von Roßdorf? Dies ist die Frage, die seit der Entscheidung des Landes, das Bauvorhaben zu priorisieren, zu einer kontroversen Diskussion in Bruchköbel, vor allem aber im Stadtteil Roßdorf geführt hat. Ein wichtiges Argument, mit dem die Straßenbehörde Hessen Mobil die Priorisierung begründet ist die vermeintliche Unfallhäufigkeit auf den Straßen Bruchköbels.

Wie sich jetzt herausgestellt hat, ist diese allerdings wesentlich geringer als vom Land angenommen. Denn ein Drittel der von Hessen Mobil berücksichtigten Unfälle ereignete sich an der Auffahrt zur B45 auf Hanauer Gemarkung, wie ein Blick auf die Unfallkarte zeigt, die die Behörde unserer Zeitung gestern Nachmittag auf Anfrage zur Verfügung stellte.

Am Montagabend hatten Planerinnen das Projekt im Rahmen einer Bürgerversammlung vorgestellt. Am kommenden Dienstag müssen Bruchköbels Stadtverordnete darüber entscheiden, ob das Land die konkreten Planungen aufnehmen soll. Im Folgenden haben wir wichtige Fragen und Antworten zusammengestellt, die auf den Informationen fußen, die im Rahmen der Bürgerversammlung von der Abteilungsleiterin Planung, Kathrin Brückner, sowie Dagmar Holst, zuständig für Mobilität und Radverkehr, gegeben wurden.

Wie ist die Interessenslage bei dem Projekt?

Die Stadtverwaltung mit Bürgermeisterin Sylvia Braun (FDP) an der Spitze hat sich eindeutig positioniert: Man befürwortet den Beginn der Planung und auch den Bau der Querspange, weil man darin eine Chance für eine weitere Entwicklung Bruchköbels sieht. Innerhalb der Bürgerschaft gibt es sowohl Befürworter als auch Gegner des Projekts. In Erscheinung getreten sind bisher vor allem die Gegner. Im Rahmen der Bürgerversammlung überreichten sie der Bürgermeisterin eine Liste mit 469 Unterschriften gegen die Baumaßnahme, die man, so ein Sprecher, innerhalb von nur einer Woche nicht nur in Roßdorf, sondern auch in Stadtteilen wie Niederissigheim und Oberissigheim gesammelt habe. Da sei durchaus noch Luft nach oben, sagte der Sprecher. Bürgermeisterin Braun merkte an, es gebe auch eine Liste der Befürworter, die jetzt aber noch nicht vorliege.

Wie ist die Priorisierung zustandegekommen?

Es hat in der Historie mehrere Anläufe der Stadt gegeben, um das Land zu einer Aufnahme der Planungen zu bewegen, zuletzt 2009. Damals sei das Projekt noch vom Regionalverband abgelehnt worden. Jetzt sei die Nachricht über die Priorisierung ziemlich überraschend gekommen, sagte Braun. Die Planungen sollen wieder aufgenommen werden, da die Ortsumgehung im landesweiten Vergleich eine hohe verkehrliche Belastung aufzeige. „So sind wir eins von drei Projekten, dass nun konkret beplant werden soll“, sagte die Bürgermeisterin.

Was sind die Argumenteder Befürworter?

Verwaltung und Planer von Hessen Mobil versprechen sich von der Anbindung eine verkehrliche Entlastung der Durchgangswege und Verkehrsknotenpunkte in ganz Bruchköbel. Diese seien schon an ihrer Kapazitätsgrenze. Zudem ergäben sich durch die Anbindung neue Möglichkeiten, Gewerbegebiete zu schaffen, meinte Braun mit Blick auf das geplante Gebiet zwischen dem bereits bestehenden Gewerbegebiet Galgengarten und der ehemaligen Roßdorfer Deponie. Diese Möglichkeit hatte sich in diesem Jahr durch einen Gebietstausch mit der Stadt Hanau ergeben. Zudem verspricht man sich eine bessere Anbindung des Schulzentrums Nord, das – so befürworten es zumindest FDP und CDU in Bruchköbel – weiter ausgebaut werden und unter anderem ein Vollgymnasium bekommen soll. Bereits jetzt sei die Anbindung über die Geschwister-Scholl-Straße trotz neuer Ampel alles andere als gut, so Braun. Angedacht ist ein neuer Anschluss an die Friedberger Landstraße, die zur einer städtischen Straße herabgestuft werden mönnte, wenn die Querspange gebaut wird.

Gelbe Punkte en masse: Die Auffahrt zur B45 war ein Unfallschwerpunkt zwischen 2017 und 2019. Dieser Teil der Landstraße gehört aber zur Hanauer Gemarkung und wurde zur Beurteilung der verkehrlichen Situation in Bruchköbel herangezogen. Grafik: Hessen Mobil
Gelbe Punkte en masse: Die Auffahrt zur B45 war ein Unfallschwerpunkt zwischen 2017 und 2019. Dieser Teil der Landstraße gehört aber zur Hanauer Gemarkung und wurde zur Beurteilung der verkehrlichen Situation in Bruchköbel herangezogen. Grafik: Hessen Mobil © -

Auch eine Entlastung der Hanauer Straße in Roßdorf sei ein Ziel. Dort würden im Schnitt 10 000 Fahrzeuge in 24 Stunden gezählt, wie eine Verkehrszählung aus 2019 ergeben habe. Entlastung verspricht sich die Verwaltung auch für die Hammersbacher Straße sowie die Friedrich-Ebert-Straße.

Was sind die Argumente der Gegner?

Die Gegner des Projekts sind naheliegenderweise die Anwohner, vor allem die Bewohner der Thomas-Mann-Straße, deren Blick auf die Wiesenfläche und Acker verbaut würde und die mit dem Lärm einer Straße leben müssten. Bei der Bürgerversammlung wurden jedoch vorwiegend Sorgen um die Natur in dem betreffenden Stück Land geäußert. Dabei, so betonte der Roßdorfer Ornithologe und einstige Gründer des NABU-Kreisverbandes Riolf Gogné, werde ein einzigartiger Streifen Natur unwiederbringlich zerstört, auf dem es eine nirgendwo in Bruchköbel vorhandene Artenvielfalt gebe. Ausgleichsflächen an anderer Stelle brächten gar nichts, so der Roßdorfer, weil sich die feuchten Wiesen, die auch in besonders trockenen Sommern vielen Insekten und Vögeln anlockten, nicht woanders nachbilden ließen. Auch zweifelten viele Bürger in ihren Wortmeldungen die verkehrliche Notwendigkeit des Straßenbaus an. Im Saal bildeten die Kritiker am Montag deutlich die Mehrheit.

Was sind die Kriterien, die zur Priorisierung des Landes geführt haben?

Das Land Hessen hat in seiner Untersuchung insgesamt 21 mögliche Ortsumgehungen vergleichend bewertet. Eingeflossen sind darin Kostenschätzungen, Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, eine Umwelterheblichkeitseinschätzung sowie eine städtebauliche Bewertung. Auch hat man mit Daten aus 2015 und zu erwartenden Einwohner- und Beschäftigungszahlen Prognosen für das Verkehrsaufkommen im Jahr 2030 erstellt. Die Unfallhäufigkeit auf Bruchköbeler Gemarkung war ebenfalls ein wichtiges Kriterium. Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren wurde mit einem Punktesystem die Querspange in Roßdorf als eine von insgesamt drei Ortsumgehungen priorisiert. Dagmar Holst machte deutlich, dass es sich um vorläufig geschätzte Werte handele, die im Falle einer Fortsetzung der Planung durch umfassende Gutachten noch einmal neu ermittelt werden müssten. „Wir sind hier bei der Datenlage noch unter null“, verdeutlichte die Planerin. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass das Land bei der Kostenschätzung auch einen Brückenbau eingerechnet hat. Die Querspange würde also eine Brücke bekommen, über die die Verkehrsteilnehmer auf die Fahrspur Richtung Hanau geleitet würden.

Hier geht es zum Kommentar von HA-Redakteur Holger Weber-Stoppacher.

Welche Punkte waren entscheidend?

Die Unfallhäufigkeit auf Bruchköbeler Gemarkung hat neben der im Umfeld der Baumaßnahme eruierten Einwohnerzahl dem Bruchköbeler Projekt in der vergleichenden Bewertung die volle Punktzahl eingebracht. Allerdings zu Unrecht, wie sich gestern nun herausgestellt hat. Den Angaben zufolge kam es im Bewertungszeitraum von 2017 bis 2019 auf Bruchköbeler Gemarkung zu 64 Unfällen „unter anderem mit Schwerverletzten“, erklärte Holst. Ein Wert, der von vielen Bürgern mit einem ungläubigen Kopfschütteln quittiert wurde. Und tatsächlich: Mindestens ein Drittel der erwähnten Unfälle sind laut einer Karte, die Hessen Mobil unserer Redaktion gestern Nachmittag auf Anfrage zukommen ließ, einer Unfallserie an der Auffahrt zu B45 zuzuordnen. Und diese Auffahrt ist nicht auf Bruchköbeler Gemarkung, sondern auf Hanauer Gebiet. Seit dort eine Ampel angebracht wurde, hat es zudem dort keine nennenswerten Unfälle mehr gegeben.

Würde der Straßenbau mit der Erschließung eines neuen Baugebiets westlich von Roßdorf einhergehen?

Bürgermeisterin Braun sagt nein. Laut städtischer Beschlusslage soll die Erschließung des westlichen Streifens nicht konkret weiterverfolgt werden. Die Stadtverordnetenversammlung hatte demnach bereits 2009 beantragt, den Streifen aus dem regionalen Flächennutzungsplan herauszunehmen, weil den Mandatsträgern die Fläche zur Erschließung weiterer Baugebiete nicht geeignet erschien. Diese Bitte wurde von der überordneten Planungsbehörde mit dem Verweis auf die beschränkten Entwicklungsmöglichkeiten der Kommune jedoch nicht entsprochen. Man werde weiter darauf hinarbeiten, dass die Fläche aus dem Flächennutzungsplan herausgenommen werde, versicherte Braun.

Wie lange würde es dauern, bis die Bagger anrollen?

Bis zum Eintritt in ein Planfeststellungsverfahren gingen mindestens fünf Jahre ins Land, erklärte Kathrin Brückner. Und dies sei eine sehr optimistische Rechnung. Vorplanung (zwei Jahre) und Vorentwurf (zwei Jahre) müssten dann quasi im Galoppverfahren durchgezogen werden, sagte sie. Zur Vorplanung gehöre auch eine umfassende Umweltverträglichkeitsstudie (mindestens ein Jahr), eine Verkehrsuntersuchung (mindestens ein Jahr) sowie eine parallel verlaufende technische Planung. In der Entwurfsplanung fließen dann auch Themen wie beispielsweise Immissionen durch Lärm, Schadstoffe und mögliche Schutzmaßnahmen dagegen ein. Das eigentliche Planfeststellungsverfahren, mit dem Baurecht geschaffen werde, dauere noch einmal anderthalb bis zwei Jahre.

Welche Kosten trägt die Stadt Bruchköbel für die Planung?

Keine. Laut Brückner übernimmt das Land Hessen sämtliche Kosten für die Planungen.

Was würde passieren, wenn die Eigentümer der Flächen ihr Land für den Straßenbau nicht hergeben?

Notfalls könne ein Antrag auf Enteignung gestellt werden, so Brückner. „Und die Umsetzung dauert dann meistens nicht Jahre.“

Wer entscheidet letztlich darüber, ob die Straße gebaut wird?

Das letzte Wort haben Bruchköbels Stadtverordnete. Das Land werde sich nicht über den politischen Willen der Kommune hinwegsetzen, so Bürgermeisterin Sylvia Braun. Möglich ist allerdings, dass das Projekt von seiten des Landes vorzeitig gekippt wird, wenn die Ergebnisse der noch zu erstellenden Gutachten gegen eine Fortsetzung des Bauvorhabens sprächen. Vor allem mit Blick auf die Umweltverträglichkeitsprüfung sei dies nicht ungewöhnlich und auch schon oft vorgekommen, antwortete Kathrin Brückner auf Anfrage aus dem Publikum. Am Dienstag entscheiden die Stadtverordneten jedoch zunächst einmal über die Vertiefung der Planungen.

Von Holger Weber

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