„Frauen sind meistens zu bescheiden“

Bruchköbel – In klassisch männlichen Berufen kennt sich Sylvia Braun aus. Bevor sie 2019 in ihrer Heimatstadt Bruchköbel zur Bürgermeisterin gewählt wurde, war die Kriminalhauptkommissarin mehr als 30 Jahre lang im Polizeidienst. Als sie dort 1988 ihre Ausbildung begann, gab es kaum Frauen in Uniform. „Ich bin oft allein unter Männer“, sagt sie im Interview mit unserer Zeitung.
Frau Braun, Sie sind jetzt drei Jahre im Amt. Halbzeit sozusagen. Gibt es einen Augenblick, der Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?
Da gibt es ganz viele, auf einen einzigen Augenblick kann ich das nur schwer herunterbrechen. Dafür hat das Amt der Bürgermeisterin auch zu viele Facetten. Rückblickend war mein erster Tag damals im Interimsrathaus in Erlensee ein besonderer, als ich meinen Wagen auf dem für den Bürgermeister reservierten Parkplatz abgestellt habe. Die Kollegen hatten das Schild zuvor noch ausgetauscht: Von „Bürgermeister“ zu „Bürgermeisterin“. In dem Moment war mir so richtig klar: Jetzt wird’s ernst.
Wichtig war auch die Kommunalwahl nach einem Jahr Amtszeit, bei der die FDP ja ein sehr starkes Ergebnis erzielt hat. Das war eine Bestätigung auch für meine Arbeit, ein Zeichen dafür, dass wir gemeinsam auf dem richtigen Weg sind. In Erinnerung bleiben mir die Momente, in denen ich das Gefühl habe, dass ein Plan aufgeht.
Welche Art von Entscheidungen fallen Ihnen schwer?
Herausfordernde Entscheidungen stehen ganz sicherlich immer im Zusammenhang mit dem Personal, weil man es mit Menschen zu tun hat und auch Lebenswege beeinflusst. Diese Entscheidungen sind nicht einfach, die nehme ich mit nach Hause.
Gibt es in Ihrem Kopf noch die Polizistin? Oder ist die mittlerweile von der Bürgermeisterin verdrängt worden?
Die Polizistin in mir ist nach wie vor präsent. Bei manchen Sachverhalten kommt immer noch die Ermittlerin durch. Das höre ich dann auch von meinen Mitarbeitern. Ich gehe Dinge anders an. Auch die Menschenkenntnis, die ich Laufe meiner 32-jährigen Laufbahn bei der Polizei bekommen habe, nimmt mir keiner und hilft mir ungemein.
Gab es mal einen Moment, in dem Sie Ihren Wechsel vom Polizeipräsidium ins Rathaus bereut haben?
Nein, den gab es nicht. Das hätte ich nie gedacht, aber den gab es wirklich nicht. Ich habe hier so viel gelernt und die Möglichkeit bekommen, meinen Horizont extrem zu erweitern. Das wäre mir im Polizeipräsidium wahrscheinlich in dem Maße nicht passiert, weil man in seinem angestammten Beruf irgendwann einen Entwicklungsstand erreicht, über den es nur noch schwer hinausgeht. Aber die Tatsache, dass ich jederzeit zur Kripo zurückkehren kann, gibt mir Sicherheit. Und deswegen muss ich mich im Amt der Bürgermeisterin auch nicht verbiegen.
Polizistin und Bürgermeisterin – eigentlich zwei klassische Männerberufe. Haben Sie einen Unterschied festgestellt, in dem, wie man Sie als Polizistin wahrgenommen hat und wie man Sie nun als Bürgermeisterin wahrnimmt?
Da gibt es viele Parallelen. Bei der Polizei war es zu Beginn noch extremer, weil ich im Main-Kinzig-Kreis eine der ersten Frauen in Uniform war. Da habe ich von Bürgern und auch von Kollegen durchaus Misstrauen gespürt. Nach dem Motto: „Kann die das überhaupt?“ Das begegnet mir gelegentlich auch in meinem aktuellen Amt. Es gab sogar Leute, die mir ins Gesicht gesagt haben, dass das Amt des Bürgermeisters nichts für eine Frau ist.
Wie ist das Feedback von Frauen?
Da höre ich oft, dass es auffällt, dass jetzt eine Frau in der Stadt regiert und dass ich mit einem anderen Blick an die Dinge gehe und auch darauf achte, dass Dinge auch schön aussehen. Interessant finde ich, dass die Anrufer bei meiner einmal im Monat stattfindenden Bürgersprechstunde zu 80 Prozent weiblich sind. Die Anruferinnen sagen schon mal: „Sie sind ja auch ne Frau, Ihnen kann ich das ja mal sagen“. (Lacht)
Haben Sie am Anfang Ihrer Amtszeit Ihnen gegenüber eine gewisse Unbeholfenheit gespürt?
Ja. Das fing schon damit an, dass manche gar nicht wussten, wie sie mich ansprechen sollen. Lustig ist, dass manche mich mit „Frau Bürgermeister“ ansprechen, was ja eigentlich auch richtig ist, denn in der Hessischen Gemeindeordnung gibt es ja keine Bürgermeisterin, sondern nur den Bürgermeister. Eine Frau im Streifenwagen der Polizei ist ja heute Normalität. Aber Bürgermeisterinnen gibt es in Hessen dagegen immer noch nur sehr wenige. Ich bin darum oft allein unter Männern, sei es in Aufsichtsräten oder anderen Gremien.
Stellen Sie in Ihrem beruflichen Alltag unterschiedliche Charaktereigenschaften bei Männern und Frauen fest?
Männer können ihre guten Leistungen oftmals viel besser verkaufen. Frauen sind meistens zu bescheiden und stelle lieber das Team in den Vordergrund, wobei es ja auch in der Regel ein Teamerfolg ist, wenn etwas richtig gut läuft.
Und was sind die Stärken von Frauen in Verantwortung?
Sie sind konsensfähiger und es fällt ihnen leichter, den Gesamtüberblick zu behalten, die Sicht auf das große Ganze. Sie sind es gewohnt, weil sie neben Job auch oft noch die Familie managen müssen. Ich glaube, diese weibliche Fähigkeit, gleichzeitig an vielen Fronten tätig zu sein, kommt auch mir als Bürgermeisterin zugute.
Man lobt sie vor allem für Ihre gute Kommunikation? Ist das typisch Frau?
Nicht unbedingt. Das ist eher eine Frage von persönlichen Erfahrungen. Ich habe ja vor Beginn meiner Amtszeit lange genug auf der anderen Seite in der Kommunalpolitik gestanden. Ich weiß, wie es ist, wenn man sich als Stadtverordnete nicht ausreichend informiert fühlt. Wenn man Themen und Vorlagen präsentiert bekommt, bei denen es an Informationen mangelt. Dann fällt es natürlich schwer, zu sagen: Da stimme ich zu, da habe ich Vertrauen. Ich finde es deshalb als Bürgermeisterin wichtig, als Sprachrohr der Verwaltung den Stadtverordneten zu erklären, was wir tun.
Bei Diskussionen in den sozialen Netzwerken mischen Sie sich sehr oft selbst ein, wenn es um Belange geht, die Ihre Verwaltung betreffen.
Das ist etwas, was ich als Polizistin sehr früh gelernt habe: Wie man mit guter Kommunikation Situationen entschärfen kann. Im Polizeidienst ist es ja das Ziel, nicht die Waffe in die Hand nehmen oder körperliche Gewalt auszuüben zu müssen, sondern Situationen frühzeitig zu entspannen und zu deeskalieren. Diese Technik kommt mir sicherlich zugute.
Als Bürgermeisterin können Sie nicht allen Menschen gerecht werden. Mit manchen Entscheidungen machen Sie sich auch unbeliebt. Wie gehen Sie persönlich mit Kritik an Ihrer Person um?
Ich versuche immer, alle Entscheidungen so sachlich wie möglich zu treffen. Ohne Rücksicht auf persönliche Beziehungen und den Stand einer Person. Ich erwarte dann aber auch, dass mein Gegenüber dies auch so akzeptiert. Ich finde es sehr schade, wenn Entscheidungen, die ich von Amts wegen treffe, Auswirkungen auf den persönlichen Umgang miteinander haben.
Als Bürgermeisterin nehmen Sie nun auch an vielen Veranstaltungen teil, bei denen man Sie früher nicht gesehen hätte. Sie besuchen Vereinsfeste, Sie sind im Karneval in diesem Jahr auch in die Bütt gegangen. Haben Sie Gefallen gefunden an den gesellschaftlichen Aufgaben, die Ihr Amt mit sich bringt?
Ich sehe das als einen besonderen Teil meines Jobs. Es ergeben sich bei solchen repräsentativen Veranstaltungen immer auch Gespräche, die meine Aufgaben als Bürgermeisterin betreffen. Ich finde es wichtig, als Stadtoberhaupt präsent zu sein und am Leben in der Stadt teilzunehmen.
Sie sind Mutter von zwei Söhnen. Befürchten Sie manchmal, dass die beiden aufgrund ihres zeitintensiven Jobs zu kurz kommen könnten?
Ja, durchaus. Sie sehen meine Position ein wenig zwiegespalten. Ich glaube schon, dass sie auf der einen Seite stolz auf ihre Mutter sind, aber auf der anderen Seite es nicht gut finden, dass ich jetzt weniger Zeit für sie habe. Manchmal ist ihnen mein Amt vielleicht auch ein wenig peinlich. Es kommt leider auch vor, dass sie Kritik abbekommen, die eigentlich mir gilt. Das finde ich dann sehr bedenklich.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie auch in einer aufgeklärten und modernen Gesellschaft als Frau nach wie vor mehr Kraft aufwenden müssen als Männer, um zu überzeugen?
Das ist in meinem Berufsleben schon immer so gewesen und wird sicher auch so bleiben. Frauen müssen für ihren Erfolg härter arbeiten und sich auch eher rechtfertigen für das, was sie tun. Aber ich hoffe, dass ich mit meinem Werdegang und meiner Art der Amtsführung ein Beispiel für kommende Generationen geben kann, dass es nicht auf das Geschlecht ankommt, sondern auf die Persönlichkeit.
Das Gespräch führte Holger Weber-Stoppacher
Vom Polizierevier ins Bruchköbeler Rathaus
1988 begann Sylvia Braun als eine der ersten Frauen im Main-Kinzig-Kreis eine Ausbildung bei der Polizei. Zwischen 1991 bis 1998 war sie in Darmstadt und in Hanau in Einsatz und bildete sich ab 1998 mit einem ein Studium zur Diplom-Verwaltungs-Fachwirtin weiter. Daraufhin wechselte sie zur Kriminalpolizei ins Präsidium Südosthessen. Ihre Schwerpunkte dort: Internetkriminalität und Einbruchsdiebstahl. 2015 wurde sie mit dem Aufbau der Abteilung Mobilgeräteforensik betraut, die sie bis zu ihrem Abschied aus dem Polizeidienst im Jahr 2019 auch leitete. Politisch ist Sylvia Braun in der Bruchköbeler Kommunalpolitik seit 2010 engagiert. Zunächst war sie einfache Abgeordnete der FDP, später dann deren Fraktionsvorsitzende. Bei der Bürgermeisterwahl 2019 setzte sie sich als einzige Frau gegen sechs Mitbewerber durch. In der Stichwahl gewann sie gegen den CDU-Kandidaten mit großem Vorsprung. Seit 1. April 2020 ist sie offiziell Bürgermeisterin der Stadt Bruchköbel. Sie übernahm die Amtsgeschäfte von ihrem Vorgänger Günter Maibach wegen der heraufziehenden Corona-Pandemie schon einige Wochen früher als geplant. how
