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Glücklichmacher und Perfektionist

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Von: Holger Weber-Stoppacher

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Im Proberaum fühlt er sich wohl: Frank Hamacher ist beliebt bei den Schülern
Im Proberaum fühlt er sich wohl: Frank Hamacher ist beliebt bei den Schülern © Mike Bender

Bruchköbel – In den vergangenen Wochen hat er geschuftet wie ein Wahnsinniger. „So ein Konzert, das macht man eben nicht auf dem kleinen Dienstweg“, sagt Frank Hamacher, der musikalische Leiter der Heinrich-Böll-Schule in Bruchköbel. Nach zwei Jahren coronabedingter Unterbrechung gibt es an der Schule am Mittwoch endlich wieder das Sommerkonzert. Neun Ensembles, etwa 100 Schüler und Ehemalige, werden im neuen Bruchköbeler Stadthaus auftreten.

Die Schulleitung gibt Hamacher für sein Projekt alle Freiheiten, denn an der „Böll“ weiß man, was man an dem 60-Jährigen hat. Dass Hamacher dort vor rund 20 Jahren gelandet ist, ist eigentlich einem persönlichen Schicksalsschlag geschuldet. Von heute auf morgen musste er seine Karriere als Profimusiker beenden. Überlastungssyndrom. Berufsunfähig mit 40. Die Ursache sei nie richtig geklärt worden, sagt der 60-Jährige. „Wahrscheinlich habe ich mir über Jahrzehnte etwas falsch angewöhnt, eine falsche Haltung.“ Wer in diesem Business als Konzertpianist ganz oben mitspielen will, der braucht 100 Prozent. „Die hatte ich nicht mehr.“ Kein Zweifel: Hamacher war ganz oben, begleitete am Piano Größen des deutschen Schlagers: Michelle, Rex Gildo, Costa Cordalis, Kristina Bach und Jürgen Drews sind nur einige. Bei Dieter Thomas Hecks Hitparade gehörte er zum Inventar.

Seinen Schülern verlangt er auch einiges ab

„Lange her“, sagt er und lacht. Was ist geblieben? „Dankbarkeit für eine schöne Zeit“ und der Wille, heute als Lehrer etwas zurückzugeben, Und, ja, geblieben ist auch sein Perfektionismus. „Den legt man nicht ab. Da kommt man nicht so einfach raus“, sagt er. Das ist auch der Grund, warum er nach seinem Ende als Konzertpianist nie wieder in einer Band gespielt hat. „Wenn ich das mache, dann brauche ich Zeit zum Üben. Nur einfach so, nee, das geht nicht.“

Seinen Schülern verlangt Hamacher ebenfalls einiges ab. Es ist heiß an diesem Tag, über 30 Grad. Der Direktor hat hitzefrei ausgerufen. Hamacher sagt, das gelte nicht für „seine“ Kinder, die mit ihren Instrumentenkästen in Richtung Proberaum trotten, während die Klassenkameraden aus dem Eingangsportal stürmen. „Musiker laufen häufig in die entgegengesetzte Richtung“, sagt er. Und dieser Satz hat etwas Sinnbildliches für ihn. „Musik hat mit Leistung zu tun. Man muss sich durchbeißen können.“ Im Leben komme es auch auf innere Festigkeit an. In der Musik erwerbe man diese ganz beiläufig, glaubt er.

Neustart nach dem Aus als Profimusiker

Nach dem Aus als Profimusiker hat er einen Neustart hingelegt, Politik studiert, die Lehrerausbildung nachgeholt und sich reingekniet. So wie in seinem ersten Leben als Musikstudent in Graz, Frankfurt und Köln, wo er Arrangement studiert hat.

Die Arrangements sind heute noch seine große Stärke. Er schreibt die Stücke für die Schüler passgenau. „Der Frank macht alles selbst, da gibt es nichts aus der Konserve“, sagt einer seiner Schüler.

In seinen Ensembles, derzeit sind es neun mit etwa 100 Musikern, treten nicht nur aktuelle Schüler der Böll auf. Hamacher bindet auch Ehemalige ein. Da stehen dann gestandene Männer und Frauen mit Zehnjährigen zusammen auf der Bühne. „Und das auf Augenhöhe, ist das nicht großartig?“, sagt der Lehrer – und strahlt dabei. Jeder habe seinen Platz, jeder sei wichtig. „Die Kinder sehen die Älteren und wissen: Da geht es weiter, das hört nicht auf, es lohnt sich, dabei zu bleiben.“ Wenn Hamacher von seinen Ehemaligen spricht, dann gerät er ins Schwärmen. Da sei eine Verbundenheit, die sei für die Ewigkeit, ist er sich sicher. Sein Tontechniker Thorsten Link etwa ist ein gutes Beispiel. Er war Schüler, als Hamacher vor 20 Jahren an der Heinrich-Böll-Schule anfing. Heute mischt er nach wie vor die Töne für das Schulorchester. Zu den treuen Seelen gehört auch Niklas Vogt, mittlerweile Student der Psychologie und eine feste Größe in Hamachers Projekt. „Der Frank ist authentisch, viel mehr Musiker als Pädagoge“, sagt er. „Es macht einfach Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten. Seine Lebensfreude überträgt sich auf uns alle.“

Überzeugter Anhänger der Gesamtschule

Hamacher ist ein überzeugter Anhänger der Schulform, in der er unterrichtet. In den 70ern war er selbst Schüler an der Reformschule in Bruchköbel Nord, hat anschließend sein Abi am benachbarten LOG gemacht. Die Gesamtschule sei so etwas wie ein Orchester. Es brauche anspruchsvolle Stimmen ebenso wie Füllstimmen, Begleitstimmen und Stimmen, die nur sehr kurz zum Einsatz kommen, um den vollen Klang zu erreichen. „Alle sind sie letztlich wichtig. Und alle nehmen wir sie mit.“ Solidarisch zu sein mit anderen, das sei das Selbstverständnis einer Gesamtschule. Auch seine Frau Nina unterrichtet in Bruchköbel, sie ist Stufenleiterin und gibt Unterricht in den Fächern Biologie und Chemie.

Musik ist für Hamacher ein Stabilisator, könne Jugendlichen, die durch Corona einen Verlust von Ersterfahrungen erlitten, Angebote machen. Sie entfalte heilende Kräfte: Wie ein Vakzin gegen das Virus helfe, „so hilft die Musik gegen die Angst“.

Er fühlt sich in seinem Tun immer wieder bestätigt, wenn seine Schüler nach den Proben vergnügt und lachend den Raum verlassen. Positive Grundstimmung übertrage sich in soziale Kontakte. „Wer Musik macht, ist freundlich zueinander.“

Hamacher glaubt an die integrative Kraft der Musik

Auch glaubt Hamacher an die integrative Kraft der Musik – gerade an einer multikulturellen Einrichtung wie die Heinrich-Böll-Schule, einem Ort, an dem Schüler unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen. Die Musik wirke wie ein Katalysator für die Integration, in der alle Glieder eines Ensembles miteinander kommunizieren. „Da spielt die kulturelle oder soziale Herkunft überhaupt keine Rolle. Auch nicht, aus welcher Bildungsschicht jemand kommt.“

Ein Blick in die heimische Musikszene beweist, wie nachhaltig das Musikprojekt an der Heinrich-Böll-Schule ist. Viele Bands setzen sich aus jungen Leuten zusammen, denen Hamacher die ersten musikalischen Schritte beigebracht hat. „Fayette“, „Red Chair“, alles Gruppen, deren Mitglieder an der „Böll“ ausgebildet worden sind. Mit „Rock Riot“ hat Hamacher sogar Preisträger hervorgebracht.

Vor dem Konzert am Mittwoch wird er wieder nervös sein. Das war er schon als Berufsmusiker. Die Nervosität vor dem Auftritt ist geblieben in all den Jahren. Und wenn sie einmal nicht mehr da ist, sagt er, dann sei wohl der Zeitpunkt gekommen aufzuhören. Je näher der Konzerttermin am 13. Juli rückt, desto größer wird die Anspannung, weil man in diesen Zeiten nicht wisse, was kommt. Neulich ist ihm die komplette Rhythmusgruppe ausgefallen. Corona. Wieder einmal Corona. „Da steckst du nicht drin.“ Er wird weiter bangen, bis seine Schützlinge am Mittwochabend die Bühne betreten.

Sommerkonzert

Das Sommerkonzert der Heinrich-Böll-Schule findet am Mittwoch, 13. Juli, im neuen Stadthaus in Bruchköbel statt. Es beginnt um 19 Uhr. Einlass ist um 18.30 Uhr. Der Eintritt ist frei. Der Förderverein bittet aber um Spenden. Rock, Pop und Blues – von allem ist was dabei. (Von Holger Weber-stoppacher)

Musik kann auch harte Arbeit sein: Im Leben komme es auch auf innere Festigkeit an. In der Musik erwerbe man diese ganz beiläufig, glaubt der Lehrer.
Musik kann auch harte Arbeit sein: Im Leben komme es auch auf innere Festigkeit an. In der Musik erwerbe man diese ganz beiläufig, glaubt der Lehrer. © -

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