„Ich stand auf der Liste der RAF“

Bruchköbel – Top-Manager, Sprachgenie, Weltreisender, Genealoge, Archäologe und Kommunalpolitiker. Auf Horst Roepenack treffen alle diese Bezeichnungen zu. Wo soll man da anfangen bei einem Leben, dessen Verlauf so dicht und außergewöhnlich ist, dass man jedem Aspekt ein eigenes Feriengespräch widmen könnte? Beginnen wir also dort, wo das Leben des mittlerweile 84-Jährigen einen direkten und nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Umfeld genommen hat, in dem Roepenack heute lebt.
Beginnen wir bei der Kommunalpolitik. Es gibt nicht wenige in Bruchköbel, die behaupten, dass die FDP ohne Roepenack in der Stadtpolitik nicht mehr existieren würde, dass die Liberalen spätestens in den 90er Jahren in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden wären, wenn Roepenack als Ortsverbandsvorsitzender die kleine Gruppe Getreuer nicht zum Durchhalten motiviert und auch in der außerparlamentarischen Opposition die Fahnen der Partei hochgehalten hätte. Bis der Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde der Partei in den frühen 2000er Jahren letztlich einen stabilen Anker im Stadtparlament bot. Roepenack hat also nicht weniger getan, als die Partei zu retten, die heute die zweitstärkste Kraft im Stadtparlament ist und mit Sylvia Braun seit nunmehr gut zwei Jahren die Bürgermeisterin stellt.
Dankbarkeit trieb ihn in die Politik
Und das alles, obwohl er sich aus Politik in der ersten Hälfte seines Lebens eigentlich recht wenig gemacht hat, wie er beim Gespräch auf der Terrasse seines Hauses in Bruchköbel erzählt. Von dort hört man die Fußballer auf dem nahe gelegenen Sportplatz am Wald. Roepenack lebt dort mit seiner Frau Brigitte seit 1967. Dort sind sein Sohn Ralf und seine Tochter Marion aufgewachsen.
An dem gedanklichen Umschwung und der Zuwendung hin zur Politik hatte der Chef Roepeancks keinen unerheblichen Einfluss. Der damalige Vorstandschef der Siemens AG, Dr. Bernhard Plettner, erinnerte seine Führungskräfte daran, es war etwa Ende der 70er Jahre, dass man ein Land nicht nur den Berufspolitikern überlassen sollte, sondern dass jeder aufgerufen sei, sich am politischen Leben zu beteiligen. Eine Botschaft, die bei Roepenack verfing. Noch mehr aber trieb ihn eine andere Kraft in die politische Arbeit: Dankbarkeit. „Ich war der Meinung, dass ich mit meinem Leben und meiner beruflichen Entwicklung großes Glück gehabt habe. Und dass ich dieses auch unserem Land zu verdanken hatte. Einem armen Flüchtlingskind und Halbwaisen war ein beachtlicher Aufstieg gelungen.“
In Oberschlesien geboren
Und schon ist man am Anfang seiner Lebensgeschichte: Roepenack wird im Sommer 1938, also ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, in Krappitz, einem kleinen Städtchen an der Oder in Oberschlesien, geboren. Seine Mutter stirbt nur sechs Wochen nach seiner Geburt, wovon er jedoch erst als Elfjähriger erfährt, weil sein Vater recht schnell eine neue Frau findet, die den kleinen Horst aufzieht wie ihr eigenes Kind. Nikolaus Roepenack, ein Baltendeutscher, hatte im Ersten Weltkrieg als Offizier des Zaren auf russischer Seite und später während des russischen Bürgerkriegs in der Weißen Armee gegen die Bolschewisten gekämpft. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen lebt die Familie in Dombrowa bei Kattowitz, wo der Vater bei den Preußischen Hüttenwerken in leitender Position arbeitet. Die ersten Jahre seiner Kindheit seien behütet gewesen, sagt Roepenack. Mit den Hausangestellten spricht er Polnisch mit Vater, Mutter und den Geschwistern Deutsch. Vielleicht sind da die Synapsen geknüpft worden, die Roepenack zu einem Sprachgenie werden ließen. Deutsch, Englisch, Polnisch, Russisch, Spanisch, Italienisch, Französisch: Roepenack spricht sieben Sprachen und auch noch ein paar Brocken Schwedisch.
Vom Krieg bekommt er nur wenig mit. Erst Anfang 1945 wird Roepenack wie so viele seiner Altersgenossen in den deutschen Ostgebieten zu einem Flüchtlingskind. Etappenweise, der heranrückenden Roten Armee immer ein Stück voraus, geht es gen Westen. Auf der Flucht bringt ihm sein Vater Schreiben und Rechnen bei. Die Odyssee der fünfköpfigen Familie endet nach Stationen in Potsdam und Hannover schließlich im Schwabenland, wo die Familie zunächst Fuß fasst und vom wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegsjahre profitiert. Der Vater gründet in Aalen eine kleine Spielzeugfabrik. Doch als Nikolaus Roepenack mit gerade einmal 57 Jahren an einer Krebserkrankung stirbt, reicht es für die Mutter und die drei Kinder kaum für das Nötigste. Die Familie lebt in einer bescheidenen Sozialwohnung. „Wir waren wirklich arm“, sagt Roepenack. Immer wieder kommt er darauf zu sprechen. Arm zu sein, war für ihn eine wichtige Prägung. Und immer auch ein Indikator für den beruflichen Erfolg, den er später als Top-Manager in der Energiewirtschaft erleben sollte.
Auslandsaufenthalte in Spanien und Italien prägen ihn
Nach seinem Abitur an der Oberschule in Aalen beginnt er an der Technischen Hochschule in München ein Ingenieurstudium, das er bereits nach neun Semestern abschließt. „Eine Förderung gab es nur für acht Semester, ich musste mich also ranhalten.“ Während seines Studiums zieht es ihn in den Semesterferien zweimal nach Spanien, wo er Praktika in Bilbao und Madrid macht. Dort schnuppert der angehende Ingenieur den Duft der weiten Welt. Innerhalb von zwei Monaten lernt er die Sprache und ist vom Auslandsaufenthalt so begeistert, dass er – obwohl er das Diplom schon in der Tasche hat – noch ein weiteres siebenmonatiges Praktikum im kerntechnischen Zentrum von Euratom im italienischen Ispra absolviert. Dort macht er seine erste Bekanntschaft mit der Kerntechnik, die damals einen erstklassigen Ruf besitzt, als schier unerschöpfliche Möglichkeit zur Energieerzeugung gilt. Sein Chef vermittelt ihn zur Nukem nach Hanau, wo er 1964 seine erste Stelle antritt. Dort arbeitet der Ingenieur an einem neuen Verfahren zur Herstellung von Uranoxid-Brennstoff. Schon nach einem Jahr trägt er die Verantwortung für den Betrieb. Die Entwicklung des Unternehmens ist rasant. „Innerhalb weniger Jahre hatten wir uns eine Spitzenstellung erarbeitet, Produkte und Verfahren wurden weltweit vermarktet“, erinnert er sich. 1973 wird Roepenack Leiter der Vertriebs- und Projektentwicklung der Reaktor-Brennelemente-Union (RBU), die Nukem zuvor als gemeinsame Tochtergesellschaft mit Siemens gegründet hatte.
Roepenack lebt in dieser Zeit aus dem Koffer, ist ständig auf Reisen. USA, Argentinien, Brasilien, Japan. Dort sind dem eloquenten Manager seine Sprachkenntnisse von großem Nutzen. Auf dem Höhepunkt seiner Management-Tätigkeit in der der Kernenergiebranche ist er als Geschäftsführer der RBU sowie der Alkem, einer weiteren Siemens-Tochter, Chef von 1500 Mitarbeitern. Doch die Proteste gegen die anfänglich gefeierte Kernenergie werden in den 80ern immer lauter, das Klima immer unerfreulicher.
RAF: „Ich stand auf der Liste“
1986 wird der Siemens-Manager Kurt Beckurts von Terroristen der Roten Armee-Fraktion erschossen. „Auch ich stand auf der Liste“, sagt Roepenack. Er entschließt sich zum Ausstieg. Nukem will ihn jedoch nicht ziehen lassen und bietet ihm den Aufbau einer Tochtergesellschaft in Dresden an, deren Geschäftsfeld vor allem die Umwelttechnik ist. Roepenack sagt zu und führt etwa 100 Mitarbeiter an fünf Standorten. 1998 wird ihm auch noch die Leitung eines Tochterunternehmens in den USA übertragen. Die Hälfte eines jeden Monats verbringt er in den USA. Und dennoch hält er seine Verpflichtungen in der Heimat aufrecht. Macht Kommunalpolitik mit der FDP, übernimmt die Präsidentschaft im Rotary Club Hanau, dem er nun schon mehr als 40 Jahre angehört. „Rotary ist ein wichtiger Teil meines Lebens. In diesen Jahren habe ich viele Bekanntschaften gemacht und Freundschaften geschlossen.“
Und obwohl er 2001 seine beruflichen Tätigkeiten beendet, gibt es für den Roepenack keinen wirklichen Ruhestand. Er wird Fraktionsvorsitzender seiner Partei, er unterrichtet für Rotary Deutsch an den Universitäten in Wladiwostok und Ussuriisk. Im Rahmen seines Archäologie-Studiums an der Uni in Frankfurt beschäftigt er sich mit der Kulturgeschichte des Vorderen Orients und besucht mit seinem Professor mehrere Ausgrabungsstätten in Syrien. Und als ob dies nicht genug wäre, nimmt er seit 2002 regelmäßig an Vorlesungen zur Literaturgeschichte Spaniens, Lateinamerikas und Italiens teil.
In der Holzklasse in der Transsibirischen Eisenbahn
Mindestens einen Nachmittag in der Woche widmet er darüber hinaus der Ahnenforschung, durchstöbert in der genealogischen Forschungsstelle der Mormonen in Hanau Kirchenbücher aus aller Welt. „Bis zum Dreißigjährigen Krieg hat er die Geschichte der Roepenacks bereits zurückverfolgt. Und dann wären da noch all die Reisen, von denen ihm vor allem eine in besonderer Erinnerung geblieben ist: Die Fahrt mit der Transibirischen Eisenbahn, die er vor einigen Jahren unternommen hat. „In der Holzklasse, nah bei den normalen Menschen.“ (Von Holger Weber-stoppacher)