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Schreinermeister mit Leib und Seele

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Geht auch mit 100 Jahren nach wie vor in seine Werkstatt: Heinrich Schäfer aus Oberissigheim.
Geht auch mit 100 Jahren nach wie vor in seine Werkstatt: Heinrich Schäfer aus Oberissigheim. © Privat

Bruchköbel – Heinrich Schäfer aus Oberissigheim feiert heute seinen 100. Geburtstag. Er kam 1923 als ältester Sohn von Katharina und Heinrich Schäfer zur Welt. Zwei Jahre später wurde sein Bruder Walter geboren.

Die Eltern bewirtschafteten einen kleinen Bauernhof mit Stall und Scheune für fünf Kühe, bis zu sechs Schweinen und allerhand Federvieh; ohne Traktor, aber mit einem Kuhgespann zum Fahren. Der Großvater hatte eine kleine Schreinerwerkstatt auf dem Hof. Heinrich sah ihm gerne bei der Arbeit zu und fand Gefallen daran. Er verbrachte in dem Raum mit Leimofen, Hobelbank und Handwerkszeug seine Kindheit und lernte früh von seinem Opa, was einen guten Schreiner ausmacht.

Er sollte als Ältester einmal den Hof übernehmen, aber Arbeiten wie Kühe und Schweine füttern, Stall ausmisten oder mit dem Kuhgespann die Jauche auf das Ackerfeld fahren sagten ihm nicht zu, und der Opa erkannte sein handwerkliches Talent.

1938, nach dem Besuch der Volksschule Oberissigheim, suchte er sich 15-jährig gegen den Willen des Vaters heimlich eine Lehrstelle als Schreiner und fand sie bei der Firma Fliedner in Bruchköbel.

Sein handwerkliches Geschick wurde dort schnell erkannt, er durfte die niederen Tätigkeiten schnell abgeben und in der Lehrzeit schon Möbel bauen. Die Lehrzeit wurde verkürzt, die Prüfungen bestand er alle mit „sehr gut“.

Nach Kassel dienstverpflichtet

An seinem zehnten Geburtstag kam Adolf Hitler an die Macht und bei Abschluss der Ausbildung war Deutschland im Krieg und Heinrich Schäfer wurde vom Arbeitsamt nach Kassel in die Gerhard-Fieseler-Werke dienstverpflichtet. Dort wurde für die Luftwaffe das Kurzstart- und Landeflugzeug Fieseler-Storch gebaut. Es bestand bis auf Fahrgestell und Motor im Wesentlichen aus Holz.

Diese Dienstverpflichtung war Glück für ihn, denn sein Jahrgang 1923 kämpfte längst an der Front in Russland. Nach dem Krieg fand Heinrich nur noch einen einzigen Schulkameraden vor.

Als junger Mensch im familiären Umfeld und im christlichen Glauben aufgewachsen und erzogen, verabscheute er von Anfang an die Ideologie der Nationalsozialisten. Aber in einer Diktatur gab es auch für ihn kein Entrinnen. Er wurde zur Wehrmacht eingezogen, war als Besatzungssoldat in Holland, Nordfrankreich und Italien und musste im Januar 1943 zum Kriegseinsatz nach Tunesien. Dort wurde er schwer verwundet. Im Lazarett von Tunis wurde er nach Kapitulation der Afrika-Armee im Mai 1943 gefangen genommen, per Schiff über Glasgow nach New York gebracht und kam nach tagelanger Eisenbahnfahrt nach Texas in die amerikanische Gefangenschaft.

Der Krieg war für ihn mit 20 Jahren zu Ende. Die amerikanischen Offiziere schätzten seine handwerklichen Fähigkeiten, sie verschafften ihm manche Vorteile. Er hat auf Plantagen Baumwolle gepflückt und nach Kriegsende bei der Verschrottung der B42-Bomber mitgearbeitet.

1946 kehrte er körperlich und seelisch gesund in das zerstörte und traumatisierte Deutschland zurück. Er fand eine neue Familie vor: Seine Mutter war 1942 gestorben, sein Vater hatte wieder geheiratet und es waren jetzt neben seinem heimgekehrten Bruder auch drei junge Stiefgeschwister da.

Nach der Währungsreform Firma gegründet

Heinrich Schäfer arbeitete fortan für zwei Jahre wieder bei der Firma Fliedner in Bruchköbel.

1948, nach der Währungsreform, gründete er seine eigene Firma, überwand alle bürokratischen Hindernisse und begann 1949 mit dem Bau einer Werkstatt auf einem geerbten Acker. Am Werkstattende baute er ein Behelfsheim an und wohnte dort nach der Hochzeit im Jahr 1954 mit seiner Frau Gerda und den beiden Söhnen. Gerda Schäfer war aus Westpreußen geflüchtet, sie kümmerte sich nicht nur um Haushalt, Kinder und Garten, sondern war auch Sekretärin und half aktiv in der Werkstatt mit.

1953 machte Heinrich die Meisterprüfung und wurde Mitglied in der Schreinerinnung. Er war dort auch 30 Jahre im Vorstand.

Arbeit gab es reichlich, er hatte einen guten Ruf bei den Kunden, es gab nie Reklamationen, und 1960 begann er mit dem Bau eines separaten Wohnhauses, das 1963 bezogen wurde. Nun konnte er die Werkstatt räumlich weiter vergrößern, den Maschinenpark stetig erweitern und die Lagerhalle bauen. Die beiden Söhne hat er selbst ausgebildet, sie gingen 1973 bis 1976 mit in die Firma und bildeten mit der Ehefrau einen klassischen Familienbetrieb ohne fremde Mitarbeiter.

1965 trat Heinrich in die CDU ein und war auch von 1974 bis 1978 Mitglied im Magistrat der Stadt Bruchköbel.

Heinrich Schäfer blickt dankbar auf ein reiches Leben zurück. Er war und ist immer noch eine starke Persönlichkeit, mit Mut zur Initiative und Risikobereitschaft, er konnte sich durchsetzen und seine eigenen Ideen verwirklichen.

Er sagte immer: „Ich habe den Krieg überlebt, was soll mir jetzt noch Schlimmes passieren?“ So war er stets ein Riesenoptimist, ist unverdrossen bis zum 98. Lebensjahr noch Auto gefahren, die letzten beiden Jahre elektrisch.

Heinrich Schäfer ist gesund, zu schaffen machen ihm aber seine Augen und das Gehör. Sein Verstand ist noch hellwach, sein Langzeitgedächtnis macht ihn zu einem lebendigen Zeitzeugen, der viel zu erzählen weiß. Er wohnt mit seiner 94-jährigen Ehefrau noch in seinem 1963 erbauten Haus. Glücklich und zufrieden feiert er heute im Kreise seiner Familie seinen Geburtstag.  how

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