Das grüne Herz des Quartiers

Erlensee – Eigentlich ist der „Römer“, wie er von den regelmäßigen Besuchern genannt wird, ein großer Spielplatz. Aber seine Lage in Sichtweite der Hochhäuser an der Kastellstraße in Rückingen haben dem einen Hektar großen Gelände schon immer eine besondere Bedeutung in der Stadt gegeben.
Auf dem Römerspielplatz treffen sich nicht nur Kleinkinder im Sandkasten, sondern im Schatten der großen Bäume auch Eltern, Familien, Jugendliche und Senioren. Neuerdings wächst dort in zwei Hochbeeten sogar frisches Gemüse. „Die Radieschen haben wir schon aufgefuttert, wir müssen schon wieder nachsäen“, lacht Bärbel Scholz beim Blick ins Hochbeet. Sie ist die Frau mit dem grünen Daumen und unterstützt die beiden Sozialpädagoginnen Alexandra Ihrig und Nicole Deeg, die fest auf dem Spielplatz arbeiten.

Projekt Essbare Stadt soll Kinder an Natur heranführen
Rote Beete, Zucchini, Kohlrabi, Salat und Co. sind Teil des Projektes „Essbare Stadt“, das aktuell jeden Tag im wahrsten Sinne des Wortes Formen annimmt. Ihrig und Deeg, die beiden Ansprechpartnerinnen der Gemeinwesenarbeit vor Ort, erzählen von den staunenden Augen der Kinder, die viele Gemüsesorten noch nie in freier Natur gesehen haben. „Manche Kinder denken, eine Gurke ist nur das, was auf einem Hamburger liegt“, so Ihrig, die vor vier Jahren als Quartiersmanagerin auf den Römerspielplatz kam.
Aber nicht nur an die Natur sollen Kinder herangeführt werden. „Wenn wir das geerntete Gemüse kochen und klein schneiden, trainieren die Kinder auch ihre Feinmotorik“, so Deeg, die seit knapp zwei Jahren auf dem „Römer“ arbeitet.
Diverse Beerensträucher und kleine Obstbäume sind auch schon gepflanzt. Und nicht nur der städtische Bauhof hat bei den Arbeiten geholfen und beispielsweise ausrangierte Betonkübel von der Fallbachhalle hergeschafft. Auch viele Anwohner aus dem Quartier, regelmäßige Besucher und natürlich Kinder helfen mit, so Ihrig und Deeg. Auch drei Kitas, zwei Schulen, der Vogelschutzverein und viele ehrenamtliche Helfer beteiligen sich am Projekt „Essbare Stadt“, das in den kommenden Jahren ein wichtiger Bestandteil der Gemeinwesenarbeit sein soll.
Weitere naturnahe Projekte
Das ist ganz im Sinne der Gemeinwesenarbeit, die dem Bürgerverein Soziales Erlensee als Träger am Herzen liegt. Gemeinsam gebaute, geschaffene und gepflegte Dinge würden von den Besuchern respektiert und akzeptiert, betont denn auch Annette Bartsch vom Vorstand des Bürgervereins. Jetzt müsse es nur noch gelingen, dass die Hundehalter den Zaun, an dem die Hochbeete stehen, nicht mehr als Hundeklo benutzen.
Weitere naturnahe Projekte der vergangenen Monate sind ein Hügel, auf dem eine Blühwiese angelegt wurde und der nicht gemäht wird, Naturräume für Erdbienen und Nistkästen für Vögel.
Die besondere Quartiersarbeit wird auf dem „Römer“ seit seiner Entstehung im Jahr 2006 kontinuierlich weiterentwickelt. Damals wurde der Spielplatz als Teil des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ gebaut und die Anwohner des Viertels mit seiner teilweise schwierigen Sozialstruktur für die Ausgestaltung des Spielplatzes an einen Tisch gebracht. Das Ergebnis: Die Menschen schätzten das Mitsprechrecht und wünschten sich Ansprechpartner vor Ort und Ansprache bei ihren Bedürfnissen. So entstand das Quartiersmanagement, die heutige Gemeinwesenarbeit. Dieses Modell der Bürgerbeteiligung ist im Laufe der Jahre auch nach dem Wechsel des Quartiersmanagers fortgeführt worden.
Alexandra Ihrig und Nicole Deeg haben mit Geduld und Einfühlungsvermögen die vielen unterschiedlichen Besuchergruppen in die Gemeinschaft einbezogen. So halfen Mitglieder der Sinti-Community dabei, Spielgeräte neu zu streichen. Ehrenamtliche kümmern sich um die Toilettenschlüssel und Kinder nutzen die regelmäßigen Bewegungsangebote des Ringer-Clubs auf dem Gelände. Regelmäßig gibt es auf der großen, schattigen Terrasse am Container, in dem Ihrig und Deeg ihr „Büro“ haben, eine große Kaffeetafel. Jeder kann kommen, viele bringen Kuchen mit. Angekündigt werden die vielen Aktionen vornehmlich in den sozialen Medien wie Facebook oder Instagram.
Durch die stetige Beteiligung der Besucher sei eine besondere Wertschätzung für den Platz entstanden. „Es gibt beispielsweise viel weniger Müll als noch vor einigen Jahren“, so Ihrig.
Sozialpädagoginnen helfen auch bei Behördengängen
„Es ist ein großes Miteinander, ein Treffpunkt für Jung und Alt. Und wir sind auch Ansprechpartner bei behördlichen Dingen“, so Deeg. Während der Corona-Zeit seien insbesondere diese Beratungen am „Römer“ noch populärer geworden. Teilweise würden die Menschen sogar aus Gelnhausen anreisen.
Gerade im Verlauf der Pandemie sei der Römerspielplatz oft der einzige Ort gewesen, wo sich Kinder und Erwachsene an der frischen Luft sicher treffen und zusammenkommen konnten, berichten die Sozialpädagoginnen. So hätten beispielsweise nach dem Terroranschlag vom 19. Februar 2020 viele Menschen auf dem „Römer“ Gemeinschaft und Halt gefunden. Auch nach dem Abzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan fanden afghanische Frauen auf dort Trost, Anteilnahme und Rückhalt. „Hier sind einfach ganz viele Nationen friedlich vereint“, so Ihrig.
Mit allen Projekten, Workshops und Aktionen wollen die Verantwortlichen insbesondere soziale Werte wie Fairness, Toleranz und Rücksichtnahme vermitteln. Das nächste Vorhaben haben Ihrig und Deeg und der Vorstand der Bürgerhilfe schon im Blick: Im kommenden Jahr soll als Mitmach-Projekt eine neue, feste Grillhütte gebaut werden. Und dann kann das Gemüse aus den Hochbeeten direkt schmackhaft gegrillt werden.
(Von Monica Bielesch)