Ein Garten voller Geschichten

Erlensee – Früher gab es in der Langstraße viel Grabland - so nannte man Flächen, wo gegraben, also gearbeitet wurde. „Meine Großeltern haben Kartoffeln, Spargel und Weihnachtsbäume hier auf dem Grundstück angebaut“, erzählt Axel Friedrich. Heute eröffnet sich schon von der kleinen Terrasse aus der Blick auf eine bunte, blühende Gartenwelt, die so manche botanische Überraschung bereithält.
Aber nicht nur der Garten von Axel Friedrich und seiner Frau Ingrid Damm in der Langstraße ist eine Geschichte wert, auch ihr liebevoll hergerichtetes und mit viel Arbeit saniertes Fachwerkhaus ist etwas Besonderes. Unter der Schlagzeile „Ein Haus zieht um“ war es vor über 30 Jahren sogar im HANAUER ANZEIGER.

Ursprünglich stand das alte, heruntergekommene Haus an der Hauptstraße, erzählt das Ehepaar bei einem Glas frischer Zitronenlimonade auf der schattigen Terrasse. „Wir haben es abgebaut, alle Balken nummeriert und eingelagert.“ Von einem kundigen Zimmermann wurde das Holz in langen Wintermonaten wieder aufgearbeitet. „Im Frühjahr 1985 haben wir es dann hier an der Langstraße auf dem alten Grabland meines Großvaters wieder aufgebaut und das Dach gedeckt.“ Den massiven Keller haben sie vorher in Eigenarbeit mit Freunden errichtet.
Fachwerkhaus von der Haupt- in die Langstraße versetzt
Vorausgegangen war für sie eine lange Suche nach einem geeigneten Fachwerkhaus im ganzen Rhein-Main-Gebiet. Am Ende wurden sie im Heimatort von Axel Friedrich fündig. „Ich bin gebürtiger Rückinger.“
Sie suchten die Gemütlichkeit und Individualität dieser traditionellen Bauweise, so die 66-jährige Ingrid Damm. „Es ist ein über Jahrhunderte bewährter Baustil und das Wohnklima ist ideal“, ergänzt der 73-jährige Friedrich, der als Chemiker gearbeitet hat. Durch ihre Mitgliedschaft im Förderkreis Freilichtmuseum Hessenpark waren sie schon lange mit traditionellem, historischem Wohnen und Leben verbunden und so kam nur diese Wohnweise für ihr Zuhause für sie in Frage.
Als das Haus endlich auf dem 1300 Quadratmeter großem Gelände stand, lag ein großer Berg Erde vom Kellerausbau im Garten, erinnert sich Ingrid Damm. Mit der Erde konnten sie unter anderem einen alten Faulgraben zuschütten. „Anfangs hatten wir keinen richtigen Plan für den Garten, wir haben einfach erst einmal aufgeräumt“, so Damm. „Das erste Blumenbeet ist am Eingang entstanden, damit wir etwas Schönes haben.“
Heute, über 35 Jahre später, erwartet den Besucher ein Postkarten-Idyll, wenn er auf das Haus zugeht. Treppenstufen führen zu der alten Holztür, die eingerahmt ist von rot-weißem Fachwerk und stattlichen Bäumen.
Hinter dem Haus erstreckt sich ein grünes Paradies, das von seiner urtümlichen Anmutung lebt. Ingrid Damm, die nach eigenen Angaben erst im Laufe der Jahre das Gärtnern gelernt hat, ist ein ungezwungener Mix aus Nutz- und Ziergarten gelungen. Zwischen den naturbelassenen Trampelpfaden geht eins ins andere über und ist bei jedem Blick eine Augenweide. Hier finden sich Bartnelken, unzählige Phloxarten, Storchenschnabel und auch seltene Pflanzen wie der geschützte Diptam. Auch ein Senkgarten und ein großer Teich mit Seerosen.
Auch lateinische Bezeichnungen sind ihr bekannt
Ihre Lieblingsblumen sind die Schwert- und Taglilien, mit ihren großen Blüten und langen, sattgrünen Blättern. Ihr Mann bevorzugt filigranere Pflanzen wie die Fritillarien, im hiesigen Sprachgebrauch auch Schachblumen genannt. „Mir gefällt alles, was klein ist“, sagt er verschmitzt.
Die Devise von Ingrid Damm für ihren Garten lautete all die Jahre: Learning by doing. Von den meisten Pflanzenarten in ihrem Garten kennt sie aber mittlerweile sogar die lateinischen Namen. „Wenn man sich für etwas wirklich interessiert, dann lernt man es auch“, so ihre Ansicht.
„Ich kann vieles ein bisschen“, ergänzt sie lachend. Zum Beispiel Töpfern, Fliesenlegen, Malen, Blumen binden. Das Ehepaar besucht gerne Pflanzenmärkte und Gartenausstellungen. Von Reisen oder Spaziergängen bringen sie neue Pflanzen mit nach Hause. Heute erkenne sie jeden Keimling ihrer Pflanzen, sagt Ingrid Damm. „Früher habe ich manches fälschlicherweise auch schon mal für Unkraut gehalten und vorschnell rausgerissen.“
So ist ihr Garten nicht nur voller Pflanzen sondern auch voller Geschichten. Über die drei Feigenbäume, den Maulbeerbaum, den Judaspfennig oder die Rhododendron. „Die habe ich von einem Bauarbeiter, der die auf einer Schubkarre zum Müll fahren wollte“, erzählt Axel Friedrich.
Ihre Liebe zum Gärtnern führte sie auch vor vielen Jahren zu den Veranstaltungen der landesweiten offenen Gartenpforte. Und diese Idee brachten sie nach Erlensee. Axel Friedrich setzte sich aufs Rad, fuhr durchs Dorf und schaute über die Gartenzäune, um Leute zu gewinnen, die an einer lokalen Ausgabe von offene Gärten mitmachen könnten. So entstand schließlich in Kooperation mit Allerlei Kultur die heute so erfolgreiche und überregional beachtete Veranstaltung „Allerlei offene Gärten“.
„Wir wollten den Menschen die Angst nehmen, ihren Garten zu zeigen“, erinnert sich Ingrid Damm. Denn jeder Garten sei spannend und auf seine Weise interessant. Vor genau zehn Jahren fand schließlich die erste offene Gartenpforte in Erlensee statt. Schon im zweiten Jahr dann in Kooperation mit dem Verein Allerlei Kultur.
Das Ehepaar hatte die Idee zu den offenen Gärten in Erlensee
Wo Axel Friedrich und Ingrid Damm die Finger im Spiel haben, blühen und gedeihen Pflanzen. Und das muss nicht unbedingt in ihrem Garten sein. Die beiden haben so viele Pflanzenzöglinge, dass sie mit vollen Händen ihre grünen Keimlinge herschenken. Als Pfarrerin Stellmacherin neu in den Ort zog, erhielt auch sie eine Wagenladung Pflanzen aus der Langstraße.
Mit Beuteln von ihrem Überschuss an Pflanzensamen geht Friedrich auch schon mal durch den Ort und bewirft damit brachliegende Erdflächen. In Großstädten gibt es dafür sogar trendigen Namen: Guerilla-Gardening. Aber auch offizielle Blühstreifen haben die Beiden schon angelegt, im Rahmen von MKK blüht am alten Friedhof oder in Langendiebach am Wäldchen.
Der große Garten fordert auch seinen Preis, im Sommer ist ein langer Urlaub nicht möglich, im Frühjahr und Herbst gibt es viel zu tun. Aber genau so hat das Ehepaar aus dem Grabland eine grüne Oase gemacht.
(Von Monica Bielesch)