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Spaziergang in die eigene Geschichte

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Sein Vater Heinz war im Krieg Fallschirmwart auf dem Fliegerhorst: Für Lothar Jacob ist der Besuch auf dem ehemaligen Militärflughafen eine Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte
Sein Vater Heinz war im Krieg Fallschirmwart auf dem Fliegerhorst: Für Lothar Jacob ist der Besuch auf dem ehemaligen Militärflughafen eine Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte © Detlef Sundermann

Erlensee – Führungen auf dem Fliegerhorst in Erlensee sind nicht selten emotionale Angelegenheiten. Unser Reporter Detlef Sundermann hat jetzt Menschen begleitet, die einen sehr persönlichen Bezug zu dem ehemaligen Militärflughafen haben.

Lothar Jacob hält mit leicht unruhiger Hand die Kopie einer Sterbeurkunde in der Hand. „Das war mein Vater, Heinz Jakob, damals mit "k" geschrieben“, sagt er. Werner Borngräber, Vorsitzender des Geschichtsvereins, hatte dem 81-Jährigen diese Kopie vor der Tour über den ehemaligen Fliegerhorst Langendiebach gegeben. Mit einer DIN-A4 großen gealterten Fotografie von einem Soldaten in Luftwaffenuniform gibt Jacob der „Kriegssterbefallanzeige“ vom 4. (oder 14. März) 1945 ein Gesicht. Jacob ist nicht der Einzige, für den dieser Tag ein Gang in die persönliche Geschichte bedeutet.

Werner Borngräber kennt alle Geschichten

Rund 20 Leute finden sich an dem Samstagnachmittag vor dem Gebäude der ehemaligen Wache ein. Der Geschichtsverein Erlensee hat die Führung terminiert. Borngräber kennt sie alle, die Geschichten über den Ort, wo vor 1935 die Wiesen des Reußerhofs sich ausbreiteten. Vieles weiß auch Harald Munk, Jurist und Besitzer der Wache. Das Gebäude hat er saniert und zum Teil vermietet. Munk zeigt sich als Konservator. Stellt aber klar: „Ein Museum will ich hier nicht.“ Das außen kompakt und innen weitläufig wirkende Haus sollte auch die kleinen Reminiszenzen seiner früheren Geschichte nicht verlieren. Dafür suchte er etwa geduldig den zweiten Flügel einer Brandschutztür, der sich letztlich in einem Hanauer Kasernenbau fand, er konversierte zwei Einschüsse im Kamin mit einer Glasplatte oder er gab sich hartnäckig gegenüber der Behörde. Diese wollte das leuchtenden „Exit“-Schild, das im Notfall den kürzesten Weg nach draußen zeigt, gegen das Männchen-Logo auszutauschen. „Wo es früher Gefängniszellen gab, waren, waren zuletzt IT-Server untergebracht“, sagt Munk. Die unscheinbare Wache bildete den Backup für den Nato-Stützpunkt Ramstein. Heute ist dort ein Hundesalon drin.

„1936 wurde mein Vater eingezogen“, erzählt Jacob. Buchdrucker habe er gelernt und in dem Beruf gearbeitet. Aber es lag Krieg in der Luft, und so musste der 23-Jährige Berliner zur Ausbildung an der Luftwaffenschule in Gatow. Als Fallschirmwart war er in einer der ersten Mannschaften auf dem Fliegerhorst. Der Vater war nicht nur am Boden beschäftigt. „Er hat viele Luftbilder gemacht“, sagt sein Sohn und blättert langsam, stockend durch ein vergilbtes Fotoalbum. Jacob bedeutet mit den Zeigefinger auf die zumeist nur Post-it-Zettel-großen Abbildungen in schwarz-weiß. „Der Fliegerhorst, Langendiebach, dort Hanau …“

Die strategische Bedeutung des Fliegerhorstes wurde den Alliierten immer mehr bewusst, sodass dieser ab 1940 vermehrt ins Visier geriet. Wegen der Bomben verließ die Familie, die mittlerweile aus Tochter und Sohn bestand, die Siedlung und zog ins benachbarte Langendiebach. Dort sei es bald auch gefährlich geworden. Mutter Margarethe und die beiden Kinder haben dann die Gegend im Treck verlassen und sind mit Kriegsende im Treck wieder zurückgekehrt.

Jacobs Vater starb an den Folgen von Tuberkulose

„Meine Mutter wohnte bis zu ihren Tod 1959 in der Markwaldsiedlung“, sagt Jacob. Vollständig war die Familie nicht mehr. „Beim letzten Flug meines Vaters hatte der Pilot auf dem Fliegerhorst eine Bruchlandung verursacht. Eine Sparre aus dem Flugzeugrumpf durchbohrte die Rippen meines Vaters. Er starb im März 1945 im Krankenhaus. Nicht an den Absturzfolgen, sondern an Tuberkulose“, berichtet der Bruchköbeler.

Den Tod im Flugzeug fand hingegen Heinrich Hüther. „Das war Sabotage“, sagt Sohn Heinz Hüther. Was genau passierte, weiß er nicht. Die Luftwaffe behielt es offenbar für sich. Bei Neuberg sei die Maschine zerschellt. So wenig, wie der inzwischen betagte Mann seinen Vater kennenlernen konnte, so wenig kannte der Bad Homburger den Flugplatz. „Ich bin das erste Mal hier“, sagt er und hört die Schilderungen von Borngräber mit Neugierde und folgt ihm in die Immobile, die aus der Luft wie ein Haken aussieht. Sie wartet seit dem Abzug der Amerikaner noch auf einen Investor. 2007 wurde das Gelände geräumt, in dem Gebäude ergibt sich der Eindruck, dass der Abzug länger her ist. In den Zimmern und Fluren schälen sich von den Wänden und Decken Farbplacken ab, Türen hängen daneben, Lampenkästen baumeln von den Decken. Im Dachgeschoss klaffen Löcher in der Decke. „Da sind Sauerkrautplatten drunter gemacht worden. Wer drauftritt, geht durch“, sagt Borngräber.

Dann geht er dort hin, worauf nicht wenige Tourteilnehmer gewartet haben, in den schier endlosen Keller, der jedoch ein Souterrain ist. Vorbei an den Luftschutzkammern. „Die Zwangsarbeiter auf dem Fliegerhorst mussten bei einem Angriff Schutz im nahen Wald suchen“, sagt Borngräber in einem der rund eineinhalb mal vier Meter großen Räume. Dort war – wie überall auf dem Standort – eine Bombe zur Selbstzerstörung eingemauert worden, heißt es an einer anderen Stelle. Ein begehbarer Safe mit tonnenschwerer Tür, der schalltote Raum der Amerikaner zur Lagebesprechung und dann noch die Zimmer, eines mit psychedelischer Malereien und traumartigen Graffiti, andere mit dem rätselhaften Hinweis „NO SMOKING IN BED“ an den Wänden -– von deren Nutzen auch Borngräber ins Spekulative gerät. „Das war vermutlich die Entzugs- und Drogentherapiestation“, sagt er.

Den ersten Film im Casino gesehen

War zu Wehrmachtszeiten das 240 Hektar große Flugplatzreal für Zivilisten geöffnet, – wenn kein Geschwader im Einsatz war, wie sich eine Langendiebacherin erinnert – war es unter den Amerikanern bis auf Ausnahmen ein Sperrbereich, zumindest in den Jahren, vor dem Kalten Krieg. „Wir Kinder wurden zur Weihnachtsfeier ins Casino eingeladen“, erzählt Jacob. An der Wache seien sie auf einem Lastwagen auf das Gelände gefahren worden, auch zu Kinonachmittagen. „Dort habe ich meinen ersten Western gesehen“, sagt Jacob mit einem Schmunzeln.

Führungen

Der Geschichtsverein veranstaltet in unregelmäßigen Abständen Touren auf dem Fliegerhorst. Anmeldung unter E-Mail: borngraeber@geschichtsverein-erlensee.de (Von Detlef Sundermann)

Was der unbekannte Sprayer mit dem Wort G-Town in den Katakomben wohl erzählen wollte?
Was der unbekannte Sprayer mit dem Wort G-Town in den Katakomben wohl erzählen wollte? © -
Werner Borngräber (links) führt Besuchergruppen durch die Überreste des Militärflughafens.
Werner Borngräber (links) führt Besuchergruppen durch die Überreste des Militärflughafens. © -
Der letzte Anstrich stammt noch von den Amerikanern, die 2007 den Fliegerhorst verließen.
Der letzte Anstrich stammt noch von den Amerikanern, die 2007 den Fliegerhorst verließen. © -
Die Feuchtigkeit sorgt dafür, dass die Farbe von den Wänden abblättert.
Die Feuchtigkeit sorgt dafür, dass die Farbe von den Wänden abblättert. © -

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