40-Stunden-Woche in weiter Ferne

Als die Presse an der Rathaustür klingelt, kommt Theresa Neumann persönlich aus der oberen Etage herunter und öffnet. Ihre Assistentin, sagt sie, ist in Mutterschutz. Und die Mitarbeiterin, die sie übergangsweise vertritt, ist krank. Das bringt das Gespräch gleich aufs erste Thema: Bürgermeisterin Neumann (CDU) hat ein Rathaus mit einer prekären Personalsituation übernommen. Auf den Tag genau 100 Tage ist das heute her.
Sie hat kein leichtes Erbe: In allen Fachbereichen sind Stellen unbesetzt, am gravierendsten trifft es das Bauamt, hier fehlen drei Mitarbeiter, darunter der Leitungsposten. „Und gerade hier stauen sich die meisten Anträge“, sagt sie.
Die ersten drei Monate habe sie viel Zeit damit verbracht, sich in die Strukturen einzuarbeiten, Gespräche mit Mitarbeitern zu führen, Außenstellen wie die Kläranlage oder die Feuerwehr zu besuchen. „Die Zeit verfliegt unheimlich schnell“, sagt sie. „Aber eine Routine hat sich längst nicht eingestellt“, so die 32-Jährige. „Jeder Tag ist anders.“
Andere Perspektive
Und jeder Tag sei bis zum Anschlag ausgefüllt. Ihre Arbeit beginnt morgens um halb acht und endet abends um sieben. Hinzu kommen Abend- und Wochenendveranstaltungen – im September, erklärt sie, hatte sie kaum Zeit für Privates. „Aber das stört mich nicht.“ Es mache ihr Spaß, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Und als Funktionsträgerin im Ort unterwegs zu sein, ist für sie ja nichts Neues.
Christdemokratin Neumann war bis Juli Gemeindevertreterin für die CDU. Nun, betont sie, agiere sie aus einer anderen Perspektive: „Als Politikerin habe ich versucht, andere von meinen Ideen zu überzeugen. Jetzt setze ich Entscheidungen um und bin darauf bedacht, Kompromisse zu finden.“
In der Kommune haben sich im Lauf der Jahre harte Fronten zwischen Politik und Verwaltung gebildet. „Ich will beide Seiten näher zusammenbringen“, sagt sie. Dabei setze sie in erster Linie auf eine offene Kommunikation.
„Ich bemühe mich in den Gremien, viel aus der Verwaltung zu berichten. Dazu gehört auch zu erklären, warum manche Dinge vielleicht mal länger dauern.“ Das habe ihr positive Rückmeldungen beschert. Das Arbeitsklima, hieße es dort, habe sich verbessert.
Neumann will die Kommunikation verbessern – das war einer der Hauptpunkte in ihrem Wahlkampf. Auch mit Bürgern suche sie vermehrt das Gespräch. Im Sommer organisierte sie einen ersten Bürgertreff vor dem Rathaus – mit eher spärlicher Resonanz.
Die Bürgersprechstunde, die sie seit September jeden dritten Donnerstag im Monat anbietet, wird allerdings gut angenommen. „Häufig ist der örtliche Verkehr ein Thema, etwa fehlende Parkplätze oder dass Autos in der Straße zu schnell fahren.“ Auch der aktuelle Glasfaserausbau und die Gänseproblematik im Strandbad sind Aufreger im Ort.
„Alle tun ihr bestes“
Der Austausch mit der Jugend ist ihr ebenfalls sehr wichtig. Gleich zu Anfang ihrer Amtszeit hatte sie einen Termin für ein Jugendforum angesetzt. Dann erkrankte sie an Corona, und die Veranstaltung musste ausfallen. Sie soll, so ihr Plan, Anfang November nachgeholt werden.
Weiterer Kernpunkt des Wahlprogramms war, an den Strukturen im Rathaus zu arbeiten. Hier gilt es zunächst, die Personallage, vor allem im Bauamt, zu stabilisieren. „Alle tun ihr bestes“, sagt sie. „Aber in dieser Lage bearbeiten wir die Themen nicht schneller.“ Dabei gibt es Punkte, die wirklich drängen: Vor dem neuen Ärztehaus muss schnellstens eine Linksabbiegerspur eingerichtet werden. Der Damm an der Naßmühle ist nicht mehr dicht. Und ins Dach des Bürgerhauses regnet es nach wie vor hinein. Um die Situation akut zu entschärfen, erklärt Neumann, hole sie sich jetzt Hilfe von einem externen Ingenieurbüro.
Viel finanzieller Spielraum bleibt Neumann nicht. Denn noch immer ist der Haushalt für 2022 nicht beschlossen. „Wir arbeiten schon das ganze Jahr mit einem Nothaushalt. Das heißt, ich darf nur Dinge umsetzen, die unabweisbar und unabdingbar sind.“ Immerhin, sagt sie, sei das eine gute Möglichkeit für Einsparungen. Wenn alles gut gehe, könne die Gemeindevertretung den Haushalt für das kommende Jahr im Januar oder Februar beschließen. „Dann müssen wir inhaltlich größer diskutieren und festlegen, welche Projekte wir umsetzen wollen.“ Dazu gehörten die Entwicklung der Ortsmitte und des Bürgerhauses sowie ein Bedarfs- und Entwicklungsplan für die Kinderbetreuung.
Es liegt Neumann besonders am Herzen, Großkrotzenburg familienfreundlicher zu machen. Bisher hatte sie aber eher wenig Möglichkeit zu gestalten. Vielmehr eröffneten sich gleich mehrfach unvorhergesehene Schwierigkeiten: Etwa die Kündigung einer Gruppe in der Kita Am Limes aus Personalmangel und die verzögerte Eröffnung der Kita St. Laurentius wegen Mängeln am Bau.
Bundesweite Entwicklungen
Das Amt sei eine Herausforderung, so die neue Rathauschefin. Aber gerade deshalb mache es Spaß. In den kommenden Wochen und Monaten werden diese Herausforderungen schätzungsweise nicht abreißen, auch aufgrund bundesweiter Entwicklungen. Auf die Gemeinde kommt eine hohe Flüchtlingszuweisung zu, für die Kapazitäten geschaffen werden müssen. Es sollte dringend ein Energiesparkonzept für den Winter erstellt werden. Und die Digitalisierung drängt, denn die Vorgaben das Onlinezugangsgesetzes treten bereits Ende 2022 in Kraft.
Es gibt also weiter sehr viel zu tun. Eine ganz normale 40-Stunden-Woche liegt für die junge Bürgermeisterin wohl noch in weiter Ferne. Christine Semmler