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Gerichtsmediziner: „Erster Stich ins Herz war bereits tödlich“

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Von: Thorsten Becker

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Keine Rettung mehr für das Opfer: Der 25-jährige Nias A., der im Januar in Großkrotzenburg getötet wurde, ist laut Gerichtsmedizin an massiven inneren Blutungen gestorben.
Keine Rettung mehr für das Opfer: Der 25-jährige Nias A., der im Januar in Großkrotzenburg getötet wurde, ist laut Gerichtsmedizin an massiven inneren Blutungen gestorben. © Symbolfoto: Pixelio

Es sind grauenhafte Bilder, die an diesem Morgen im Saal 215 des Hanauer Landgerichts zu sehen sind. Die Schwurgerichtskammer, die das Verbrechen in der Asylbewerberunterkunft an der Schulstraße in Großkrotzenburg untersucht, hat alle Augenzeugen bereits vernommen. Jetzt hat Dr. Mattias Kettner von der Gerichtsmedizin der Frankfurter Goethe-Universität das Wort.

Großkrotzenbug/Hanau - Es ist ein fast 50 Meter langer Flur mit zahlreichen Blutspuren, den der Experte am Abend des 13. Januar analysiert. Am Ende der Strecke, an der Notausgangstür, die – so hat es die Kammer bereits festgestellt – nur schwer zu öffnen war, liegt die blutüberströmte Leiche des 25-jährigen Nias A. – direkt auf der Türschwelle. Die Zeugen hatten berichtet, dass A. zunächst vor seinem Zimmer mit einem Messerstich angegriffen worden und dann zum Notausgang gerannt sei. Dort habe ihn Abdiquadir M. eingeholt und mindestens zwei weitere Male mit diesem Messer auf ihn eingestochen. M. ist wegen Mordes angeklagt (wir berichteten).

Mordprozess: Stich am Schlüsselbein vorbei

Passen nun die Zeugenaussagen mit den Erkenntnissen des Wissenschaftlers zusammen? Dr. Kettner hat keinen Zweifel daran, dass sich das blutige Geschehen wie geschildert entwickelt hat. So habe M. seinen Kontrahenten, der ihn nur aufgefordert haben soll, die gemeinsam genutzte Dusche sauber zu halten, mit dem 20 Zentimeter langen Küchenmesser zunächst von oben am Schlüsselbein vorbei mitten ins Herz gestochen.

Danach, so zeigen es die Blutspuren am Boden, sei auf den rund 50 Metern gerannt worden. „Es ist davon auszugehen, dass sich beide an der Notausgangstür gegenüber gestanden haben und A. sich mit seinen Händen schützen wollte“, so der Gerichtsmediziner. Dies habe dem Angreifer die Möglichkeit gegeben, ungehindert in die Flanke des Opfers zu stechen. „Dieser Stich unterhalb der Achselhöhle ging bis in beide Lungen“, analysiert der Forensiker. Ein weiterer Stich sei gegen das Ohr geführt worden. „Das war offenbar so heftig, dass die Klinge verbogen worden ist“, sagt Kettner und nennt den von Zeugen berichteten Tatablauf „plausibel“.

Hat der Angeklagte Kampferfahrung?

Doch es gibt weitere Fragen zur Aufklärung der Bluttat, deren Brutalität erschreckend erscheint. „Kann es sein, dass es sich um professionelle Stiche gehandelt hat?“, will Staatsanwalt Dr. Oliver Piechaczek wissen. Kann es also sein, dass der 34-Jährige, angeblich aus Somalia stammende M. bereits über Kampferfahrung verfügt?

Kettner kann diese Frage nach der Tatortanalyse und der Obduktion nicht mit absoluter Sicherheit beantworten, die Art der Verletzungen aber schon klassifizieren: „Die Stiche waren auf das Herz gerichtet und von ganz erheblicher Wucht“, so der Gerichtsmediziner, der eine ganz klare Aussage trifft: „Der erste Stich ins Herz war bereits tödlich.“ Für A. habe es demnach keine Rettung mehr geben können. „Dass er noch die rund 50 Meter gerannt ist, scheint plausibel“, so der Experte. Doch viel weiter als bis zur Notausgangstür habe der 25-Jährige nicht kommen können. „Der Kreislauf ist dann zusammengebrochen.“

Weiter Rätsel um die Identität des angeklagten Messerstechers

Der Angeklagte verfolgt an diesem Tag die Fotos mit klaffenden Wunden ohne jegliche Regung. Immer wieder schaut er zu den Monitoren, kaut ab und zu auf seinem Kaugummi. Wer ist dieser Mann? Schon einmal, im Winter 2013, hat er in Dörnigheim einem Mitbewohner in den Rücken gestochen und wurde deshalb wegen versuchten Totschlags zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Eine von den Behörden unmittelbar danach begonnene Abschiebung scheiterte daran, dass M. keinen somalischen Pass besitzt.

Mordprozess in Hanau: Angeklagter spricht nur französisch

Der Bericht dieser Zeitung, in dem Zweifel über die mögliche Identität des 34-Jährigen zusammengefasst worden sind, hat inzwischen zu Reaktionen geführt. Denn M. hatte sich mit seinen afghanischen Mitbewohnern nicht aus arabisch verständigen können. Sowohl nach der Festnahme bei der Polizei als auch vor Gericht bevorzugt er es, französisch zu sprechen. Ein sehr einfaches, schwer verständliches Französisch, wie die Synchrondolmetscherin auf Nachfrage des Gerichts bestätigt. In Somalia wird jedoch kaum französisch gesprochen.

Die Ausländerbehörde des Main-Kinzig-Kreises hat der Kammer nun ein Protokoll aus dem Jahr 2016 übersandt, aus dem hervorgeht, dass M. offenbar die somalische Landessprache beherrscht. Er sei im Mai 2013 mit falschen Personalien per Flugzeug nach Deutschland gekommen, weil in seinem Land Bürgerkrieg herrsche und er zuvor für eine christliche Schule gearbeitet hätte. Dort, so hatte M. angegeben, habe er auch Französisch gelernt. (Von Thorsten Becker)

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