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Milde Strafe für 29-jährigen Schweizer nach Raub am Fahrradständer in Großkrotzenburg

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Von: Thorsten Becker

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Ungewöhnliche Tat an einem ungewöhnlich rostigen Fahrradständer: Das Landgericht Hanau hat den 29-Jährigen, der am Bahnhof eine Frau unter mysteriösen Umständen beraubt hat, mild bestraft.
Ungewöhnliche Tat an einem ungewöhnlich rostigen Fahrradständer: Das Landgericht Hanau hat den 29-Jährigen, der am Bahnhof eine Frau unter mysteriösen Umständen beraubt hat, mild bestraft. © Thorsten Becker

Nach drei Verhandlungstagen vor der 2. Großen Strafkammer am Hanauer Landgericht fällt das Urteil: Der 29-Jährige Michael E. erhält eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung.

Großkrotzenburg/Hanau –Alle im Saal hören die ausführliche Begründung der Vorsitzenden Richterin Dr. Katharina Jost. Nur E. nicht. Obwohl der Schuldspruch angesichts eins „besonders schweren Fall der räuberischen Erpressung“, wie es die Juristen nennen, die mildesten Folgen für ihn hat, sitzt er fast teilnahmslos neben seinem Pflichtverteidiger. Immer wieder wippt er mehrere Sekunden grundlos, fast kindisch wirkend, vor sich hin.

Jost bringt es auf den Punkt: „Sie sind ein psychisch kranker Mensch.“ Daran besteht im Saal kein Zweifel. Und diese Krankheit sei – zusammen mit einer jahrelangen Medikamentenabhängigkeit – die Ursache dafür, dass E. im Oktober vergangenen Jahres einer 38-Jährige auf der Waldseite des Großkrotzenburger Bahnhofs 25 Euro abgenommen und dabei ein Messer in der Hand gehalten hatte.

Als einen „sehr ungewöhnlichen Fall“ stuft Jost die Tat ein und verweist darauf, dass E. zu diesem Zeitpunkt „mit Medikamenten vollgepumpt“ gewesen ist. Allerdings: Viele dieser teilweise sehr hoch dosierten Substanzen seien ihm von den Ärzten in der Schweiz legal verschrieben worden.

Daher sei auch die Darstellung, er habe „Schlangen“ gesehen, glaubhaft. „Es war eine Tat im Ausnahmezustand.“ Dafür spricht vor allem das seltsame Verhalten von E., der mit den Worten „Ich brauche keinen Kuchen, ich brauche Menschlichkeit“ die 38-Jährige schließlich in Ruhe gelassen hat – die wenigen Euroscheine schließlich zerrriss und in einen Mülleimer geworfen hatte. Ausschlaggebend dafür, dass die vier Richter am Ende Milde walten lassen, ist vor allem, dass die 38-jährige Großkrotzenburgerin, die aus Zufall zum Opfer geworden ist, das Verbrechen komplett verarbeitet und keinerlei weiteren Schäden davongetragen habe.

Am Ende folgt die Kammer dem Plädoyer von Pflichtverteidiger Benjamin Düring, der zuvor in seinem Plädoyer eine Bewährungsstrafe von einem Jahr als angemessen erachtet. Anders die Staatsanwaltschaft. Sie hatte eine Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten beantragt sowie die Aussetzung der Strafe für eine Therapie.

Rechtsanwalt Düring führt insgesamt zehn Punkte an, die zu einer ungewöhnlichen Strafmilderung führen. Dazu zählen unter anderem Geständnis, ein bereits abgeschlossener Täter-Opfer-Ausgleich, eingeschränkte Steuerungsfähigkeit, ein deutlich minderschwerer Fall sowie die bereits verbüßte neunmonatige Untersuchungshaft.

Die Kammer stimmt dem zu. Als besonders bemerkenswert bezeichnet es die Vorsitzende Richterin, dass E. trotz seiner jahrelangen Medikamentensucht ein blütenweißes Vorstrafenregister besitzt. „Das ist sehr ungewöhnlich, dass Sie nicht in den Beschaffungskriminalität abgerutscht sind“, merkt Jost an und stimmt der Argumentation des Verteidigers zu.

Ebenso hebt die Kammer, wie vom Pflichtverteidiger beantragt, den Haftbefehl auf. Somit verlässt der 29-Jährige wenig später in Begleitung seiner Eltern die Zelle im Kellergeschoss des Gerichts und kehrt in die Alpenrepublik zurück. Dort, so die Vorsitzende, solle E. die Möglichkeiten nutzen. „Sie brauchen dringend eine Therapie.“ Denn er muss dem Hanauer Landgericht viermal im Jahr nachweisen, dass er keine Drogen mehr konsumiert. (Von Thorsten Becker)

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