„Politik ist kein Wünsch-dir-was-Spiel“

Großkrotzenburg – Er ist der Unsichtbare unter den Kandidaten. Von Michael Ruf findet man in ganz Großkrotzenburg auch drei Wochen vor der Bürgermeisterwahl nicht ein einziges Plakat. Solche Werbung halte er für einen „sinnlosen Verbrauch von Papier und Plastik“, sagt er. Man könnte diese Aussage durchaus als hochnäsig auffassen angesichts von insgesamt fünf Kandidaten, die um die Wählergunst in der Gemeinde streiten.
Doch das würde Ruf nicht gerecht werden. Es ist in der Tat wohl so, dass er trotz seines eher passiven Wahlkampfs der Kandidat mit dem höchsten Bekanntheitsgrad ist, was zum einen seinem Alter von 70 Jahren und zum anderen seiner politischen und gesellschaftlichen Vita im Ort geschuldet ist.
Seit rund 35 Jahren im Ort
In Großkrotzenburg lebt er seit fast 35 Jahren, dort hat er im Ortskern ein Fachwerkhaus in Eigenleistung ausgebaut und mit seiner Frau Heike drei, wie er stolz anmerkt, „sehr gelungene“ Kinder großgezogen. Und dort hat er engagiert Politik gemacht – bis zu seinem Ausscheiden kurz vor der Kommunalwahl im vergangenen Jahr. 21 Jahre lang saß er im Gemeindeparlament. Die meiste Zeit für die Krotzebojer Grünen, einer Abspaltung von der Mutterpartei Bündnis 90/Die Grünen. Ruf selbst hat die Trennung 2002 maßgeblich forciert, weil er die Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Krieg für völkerrechtswidrig hielt und auch die Körperschaftsteuerreform der damaligen rot-grünen Schröder-Regierung ablehnte.
Dazu muss man wissen, aus welchem politischen Stall Ruf stammt: 1951 in Michelstadt geboren, erwachte sein politisches Bewusstsein, als sich die Studentenrevolte ihrem Höhepunkt näherte. Frankfurt galt als eines der Zentren der Bewegung. Ruf bezeichnet sich als ein alter 68er. Einer, der gegen den „Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“ mobil machte. Mit 18 flog er zu Hause raus, weil er sich nicht an die Regeln seines Vaters hielt. Dieser griff auch gerne mal zum Lederriemen, um den Sohn auf Spur zu halten. Nie werde er vergessen, wie der Vater, ein ehemaliger Wehrmachtssoldat, ihn an den langen Haaren zum Friseur schleifte, um ihm einen militärischen Kurzhaarschnitt verpassen zu lassen. „Das sind Dinge, die durchaus prägen“, sagt er.
Als das Gespräch auf sein Elternhaus, das abgebrochene Studium der Sozialarbeit sowie die Ausbildung zum Maschinenschlosser kommt, hat man bereits ein Drittel des Spaziergangs vom NABU-Vereinsheim zum Naturschutzgebiet Schifflache zurückgelegt. Den Weg hat er sich ausgesucht, weil er direkt in die „Everglades von Großkrotzenburg“ führt, wie er den unter Naturschutz stehenden Altarm des Mains nennt. „Ein einzigartiger Ort in der Gemeinde“, sagt er. Hier hat er vor Jahren gemeinsam mit dem damaligen Naturschutzbeauftragten der Gemeinde, Kurt Olbrich, einen Storchenmast errichtet, „gesponsert vom Kraftwerkbetreiber Uniper“.
Schweinzüchter, Treckerfan und Streuobstwiesen-Pfleger
Es ist im Übrigen seine zweite Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters. Beim ersten Mal gab es gar sieben Kandidaten. Bürgermeister wurde am Ende Klaus Reuter. Die Frage, warum er jetzt mit 70 Jahren noch einen zweiten Versuch startet, muss gestellt werden. In der Gemeinde munkelt man, es habe ihn geärgert, dass Lucas Bäuml für die Mutterpartei und nicht für die Krotzebojer Grünen seinen Hut in den Ring wirft und dafür von den Grünen finanziell unterstützt wird. Auch gibt es die These, dass Ruf als Parteiloser noch eine Rechnung mit der eigenen Partei begleichen möchte. Die hatte ihn nämlich für die Kommunalwahl statt auf Platz acht, wie er es sich gewünscht hatte, auf einen Listenplatz unter ferner liefen gesetzt und somit jeder Chance beraubt, wieder in den Gemeinderat einzuziehen. Fühlt er sich gemobbt? Nein, Mobbing könne man das nicht nennen, sagt er, „vielmehr haben sie da unbedacht gehandelt.“
Dass es die Langeweile ist, die den Rentner in den politischen Widerstreit treibt, ist so gut wie auszuschließen. Dafür hat er zu viele andere Dinge, die ihn beschäftigen. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit widmete er sich der Zucht von Bentheimer Landschweinen, einer vom Aussterben bedrohten Rasse, die als besonders robust und fruchtbar gilt und schon deshalb unbedingt erhalten werden müsse, wie Ruf findet. Zudem pflegt er mit Hingabe Streuobstwiesen, die er am liebsten mit seinem ebenso pflegebedürftigen Oldtimer-Trecker ansteuert. Nein, an Langeweile kann es nicht liegen, dass er sich noch einmal in das Haifischbecken der Großkrotzenburger Politik stürzen möchte. Die empfindet er im Übrigen gar nicht so schlimm, wie es derzeit den Anschein habe. „Alles noch über der Gürtellinie“, meint er. Großkrotzenburg hält er derzeit für „unter Wert verwaltet“, doch in das allgemeine Klagelied über den Amtsinhaber will er nicht einstimmen. Alles auf den Bürgermeister zu schieben, sei nun wirklich zu einfach, nimmt er Bauroth ein Stück weit in Schutz, um dann im gleichen Atemzug die Verwaltung in die Pflicht zu nehmen. Ein Bürgermeister sei halt eben nur so gut wie diejenigen, die die Projekte umsetzen müssten. Ein Satz, der es in sich hat und den man durchaus als Kampfansage an die Verwaltung verstehen könnte. Ruf nimmt kein Blatt vor den Mund. Geradlinigkeit, Offenheit und vor allem Verlässlichkeit sind die Attribute, die auch politische Weggefährten an ihm schätzen. Im Umkehrschluss sei die Klarheit in der Aussage aber auch eine Eigenschaft, die ihm im Amt des Bürgermeisters in große Schwierigkeiten bringen könne, sagen die gleichen Beobachter.
Fraktionen mehr in die Verantwortung nehmen
Als Verwaltungschef würde Ruf die Fraktionen mehr in die Verantwortung nehmen und quasi den Fraktionsvorsitzenden als eine Art Controller einsetzen, der selbst die Umsetzung der Parlamentsbeschlüsse in der Verwaltung überwacht. Politik sei doch kein reines „Wünsch-dir-was-Spiel“, sagt er, da müsse man auch mal selbst in die Hände spucken und Dinge voranbringen. Für die Jugend plant er Mitbestimmungsrechte sowie ein eigenes Parlament mit Initiativrecht.
Gegenüber dem Kraftwerksbetreiber Uniper soll die Gemeinde selbstbewusster auftreten als bisher und die Rolle des willfährigen Gehilfen ablegen. Sein Credo sei der Erhalt der dörflichen Struktur Großkrotzenburgs. Jegliche Fusionsgedanken mit dem großen Nachbarn Hanau, wie sie seiner Ansicht nach die Initiative Zukunftssicheres Großkrotzenburg anstrebe, lehnt er somit ab. Sein größter Traum ist die Erschließung eines autoarmen Wohngebiets, das eines Tages von selbstfahrenden Autobussen angefahren wird. In einer Amtszeit – und mehr strebt er aufgrund seines Alters gar nicht an – sei das zwar nicht zu schaffen. Aber der Impuls dazu, der könne von ihm kommen. Auf dem Weg dahin gibt es am 6. März jedoch ein Zwischenziel: das Erreichen der Stichwahl. (Von Holger Weber)
