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Prozess um mysteriösen Raubüberfall am Großkrotzenburger Bahnhof

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Von: Thorsten Becker

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Tatort Bahnhof: Das Landgericht Hanau muss klären, wie es zu dem Raubüberfall gekommen ist.
Tatort Bahnhof: Das Landgericht Hanau muss klären, wie es zu dem Raubüberfall gekommen ist. © Thorsten becker

Es ist 8.15 Uhr am Großkotzenburger Bahnhof. Es ist „halbdunkel und neblig“ an diesem Morgen, erinnert sich die Frau, die gerade auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz in Frankfurt ist, noch ganz genau an diesen Tag im Oktober vergangenen Jahres. Sie will den Zug in die Mainmetropole erreichen und schließt auf der Waldseite des Bahnhofs ihr E-Bike samt Anhänger ab.

Großkrotzenburg/Hanau - Plötzlich taucht ein Mann auf, kommt auf sie zu. „Ich dachte erst, er wollte sich erkundigen, wann der nächste Zug fährt“, sagt die Großkrotzenburgerin. Doch der Mann hat eine ganz andere Absicht. „Er hatte ein Messer in der Hand. Dann wollte er meine beiden Taschen haben.“ Schnell wird ihr bewusst: Das ist ein Überfall!

Geistesgegenwärtig holt sie ihren Geldbeutel hervor und gibt dem Verbrecher ihr gesamtes Bargeld. 25 Euro. Der Räuber, der einen „schmutzigen Mundschutz“ trägt, verschwindet. „Das ist alles sehr schnell gegangen“, sagt die Frau, die am Montag als Zeugin vor der 2. Großen Strafkammer des Hanauer Landgerichts unter der Vorsitzenden Richterin Dr. Katharina Jost aussagt.

Links von ihr sitzt Michael E. (29) zusammen mit seinem Pflichtverteidiger Benjamin Düring. Wenige Minuten zuvor hat E. gestanden, die Frau überfallen zu haben. Jetzt ermuntert der Rechtsanwalt seinen Mandanten, das Wort zu ergreifen: „Nun, sagen Sie es.“

E. bittet sein Opfer um Entschuldigung: „Ich wollte Sie auf keinen Fall verletzen.“ Die Frau auf dem Zeugenstuhl nickt. Doch die Vorsitzende fragt nach, will wissen, wie die Überfallene den Vorfall verarbeitet hat.

Das ist die positive Nachricht an diesem Gerichtstag: Die 39-Jährige berichtet zwar davon, dass sie mit dem Blick auf das Messer „schon Angst“ hatte. Diese sei jedoch verflogen.

„Sie haben heute also keine Angst mehr?“, hakt Jost nach. „Nein, es geht mir gut“, antwortet sie und sagt mit Blick auf E.: „Es ist gut, sich direkt in die Augen zu schauen.“ Sie habe den Vorfall verarbeitet. Maßgeblich mit dazu beigetragen haben die Beamten der Polizeistation Großauheim. „Es war sehr wichtig, dass die Polizei sofort da war und den Fall sofort geklärt hat. Das hat mir geholfen, mit der Sache abzuschließen.“

Noch nicht abgeschlossen ist die juristische Bewertung des Falls. Denn E. ist von Staatsanwältin Melissa Pfaffenberger wegen Raubes angeklagt. Mindeststrafe: fünf Jahre Gefängnis. Es ist bereits der zweite Prozessauftakt, weil die erste Hauptverhandlung krankheitsbedingt abgebrochen werden musste (wir berichteten). Schon nach wenigen Minuten und dem Geständnis des 29-Jährigen ist klar: Es handelt sich um einen sehr außergewöhnlichen Fall. Das bestätigt auch das Opfer. Denn nachdem sie E. das Geld ausgehändigt hat, bietet sie ihm ein Stück Kuchen an, was der Räuber ablehnt. Die Frau ist erstaunt, als E. ihr sagt: „Ich brauche keinen Kuchen, ich brauche Menschlichkeit.“

„Das hat meinen Eindruck verstärkt, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Er hat auf mich sehr hilflos gewirkt“, bewertet die 39-Jährige das Verhalten.

Michael E. liefert der Kammer die Gründe aus seiner Sicht. Jahrelanger Drogenkonsum habe ihn in die Isolation getrieben. Psychopharmaka und Amphetamin. Er berichtet von Wahnvorstellungen. „Ich habe überall Schlangen gesehen.“

So auch an diesem Oktobertag. Wie und warum er zuvor seine Wohnung in Kreuzlingen am Bodensee verlassen und ins Rhein-Main-Gebiet gekommen ist, weiß er nicht mehr. Dass die 39-Jährige schließlich zum Opfer wird, liegt daran, dass der Schaffner E. in Großkrotzenburg aus dem Zug wirft, weil er keine Fahrkarte vorzeigen kann.

Und warum überfällt er dann eine Frau? „Ich brauchte Geld, um in die Schweiz zurückzufahren“, lautet seine Antwort. Doch an diesem Motiv dürfte es noch erhebliche Zweifel geben. Spätestens seit die Vorsitzende Richterin die Fotos der Hanauer Kriminalpolizei vom Tatort präsentiert. Eines davon zeigt den Bahnsteig und einen großen roten Pfeil. „Der Pfeil zeigt auf den Mülleimer. Darin wurde die Beute gefunden“, so Jost.

Der Prozess wird Anfang Juli fortgesetzt.

Von Thorsten Becker

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