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Räuber aus Großkrotzenburg war „intoxikiert bis unter die Augenbrauen“

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Von: Thorsten Becker

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„Unglaublich hohe Dosen“: Der Räuber vom Großkrotzenburger Bahnhof soll in eine Therapie.
„Unglaublich hohe Dosen“: Der Räuber vom Großkrotzenburger Bahnhof soll in eine Therapie. © Matthias Hiekel/dpa

Großkrotzenburg/Hanau – „Das ist ganz und gar kein gewöhnlicher Fall.“ Staatsanwältin Melissa Pfaffenberger bringt es bereits am zweiten Verhandlungstag im Prozess um den Raub am Großkrotzenburger Bahnhof auf den Punkt.

Denn der 29-jährige Michael E., der bereits gestanden hat, im Oktober vergangenen Jahres eine Pendlerin unter mysteriösen Umständen am Großkrotzenburger Bahnhof ausgeraubt zu haben (wir berichteten), bereitet der 2. Großen Strafkammer am Landgericht sowie Anklage und Verteidigung weiter Kopfzerbrechen.

Vor allem, weil der Angeklagte beispielsweise sein Abitur mit der Note 5,5 abgeschlossen hat. Allerdings ist E. Schweizer. Und dort ist eine 5,5, in der „Matura“ ebenso viel wert wie ein 1er Abitur.

Die Aufklärung des Verbrechens am Bahnhof ist für die Juristen nun eine reine Routinesache. Doch die spannenden Fragen sind: Warum hat E. wegen 25 Euro eine Frau ausgeraubt? Und was ist die gerechte Strafe für ihn? Soll ihm die Möglichkeit gegeben werden, aus seiner Drogen- und Medikamentensucht herauszukommen? Und wenn ja: Wie?

Was die Sache so kompliziert macht, ist das internationale Recht: Der 29-Jährige stammt aus Kreuzlingen am Bodensee und ist Schweizer. Die Eidgenossenschaft ist kein EU-Mitglied, zwischen Berlin und Bern gibt es keine juristischen Abkommen. Also kann E. beispielsweise keine Drogentherapie in der Alpenrepublik antreten. Dann hätte die deutsche Justiz keinen Zugriff mehr. Dass E. ohne professionelle Hilfe nicht mehr aus dem Teufelskreis der Sucht herauskommt, unterstreicht Dr. Thomas Holzmann, der psychiatrische Sachverständige.

Er bezeichnet E. als „blitzgescheit und intelligent“. Die Analyse der Blutprobe, die von E. nach seiner Festnahme genommen worden ist, lassen selbst den erfahrenen Gutachter erschaudern. „Er war intoxikiert bis zu den Augenbrauen“, sagt Holzmann und gibt der Kammer unter dem Vorsitz von Dr. Katharina Jost ein Grundlagenseminar in Arzneikunde. Von Opiaten über Speed bis hin zum Schlafmittel Tavor habe sich quasi ein kompletter Giftschrank in seinem Körper gefunden. Teilweise in „unglaublich hohen Dosen“ E. sei über Jahre ein „Polytoxikoman“. Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass der 29-Jährige durch weitere Psychosen und Phobien bei der Tat vermindert schuldfähig gewesen ist.

Das greift Staatsanwältin Pfaffenberger umgehend in ihrem Plädoyer auf. Der Drogen- und Medikamentenmissbrauch seien der Auslöser des Verbrechens gewesen. E. sei ziellos mit dem Zug von der Schweiz nach Deutschland gereist. „In Großkrotzenburg ist die Odyssee abrupt geendet, weil er keinen Fahrschein hatte und der Schaffner ihn rausgeworfen habe“, so die Anklägerin. Dass der Angeklagte dann ein Messer gezückt und die Pendlerin beraubt hat, die Beute von 25 Euro dann aber zerriss und in einen Müllkorb warf, zeige, dass es „kein typischer Straßenraub“ gewesen sei.

Und genau wie „Justitia“ legt Pfaffenberger auf der Suche nach der Gerechtigkeit einen Beweis nach dem anderen in die Waagschalen: Einen minderschweren Fall, die verminderte Schuldfähigkeit, das Geständnis, die Entschuldigung und das Schmerzensgeld für das Opfer kommen auf die eine Seite. In die andere Waagschale legt sie aber die Erkenntnis, dass es immer noch eine „schwere räuberische Erpressung“ gewesen sei. Daher fordert sie eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten für den Angeklagten.

Dann überrascht die Anklägerin mit einem pragmatischen Lösungsansatz, der aus dem Betäubungsmittelgesetz stammt. Demnach könnte die Haftstrafe zunächst zurückgestellt werden und E. eine Therapie in Deutschland beginnen. Bricht er diese ab, muss er die Strafe absitzen. Hat der Entzug Erfolg, dann könnte es für den intelligenten Mann vom Bodensee einen Neuanfang werden.

Am heutigen Donnerstag will zunächst Pflichtverteidiger Benjamin Düring plädieren. Danach will die Kammer beraten und ihr Urteil verkündet werden. (Von Thorsten Becker)

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