„Schule verhindert Zukunftsfähigkeit der Kinder“

Von außen betrachtet hatte Corinna Heller alles erreicht. Nach ihrem Lehramtsstudium in ihren Lieblingsfächern Deutsch, Kunst und Sport ist sie vor rund 20 Jahren in den Schuldienst eingetreten, wenige Jahre später schon wurde sie Leiterin der Hanauer August-Gaul-Schule.
Großkrotzenburg - Das Engagement für ihren Beruf schien grenzenlos: „Es war mir ein inneres Vergnügen, Kinder beim Lernen zu begleiten“, sagt die Großkrotzenburgerin. Dann erblickte Sohn Tom das Licht der Welt.
Heller schaffte es, Karriere und Mutterschaft unter einen Hut zu bringen: Nach dem Mutterschutz stieg sie sofort wieder Vollzeit in den Beruf ein. Ihr damaliger Ehemann blieb zu Hause und sorgte für das Kind.
Sie ging die Karriereleiter weiter: Neben dem Schuldienst machte Heller das Internationale Montessori Diplom in der Schweiz, studierte Schulmanagement an der Fernuni, ließ sich überdies zur Rednerin ausbilden.
Denn Heller wollte etwas bewegen, Schule anders gestalten. An der Gaul-Schule setzte sie Reformen durch, führte zum Beispiel den flexiblen Schulanfang und jahrgangsgemischte Klassen ein. Individuelles Lernen und die Begleitung der Kinder in ihrer Entwicklung sollte im Vordergrund stehen.
Corinna Heller: Schulsystem krankt
Im vergangenen Jahr entschloss sie sich für einen harten Bruch – nach zwei Jahrzehnten im Schuldienst. „Ich war unzufrieden“, sagt sie rückblickend. „Und ich stand vor der Entscheidung, ob ich weiter im Kleinen etwas bewegen will, oder ob ich mein Wissen in die Öffentlichkeit bringe und wirklich etwas verändere.“ Im August vergangenen Jahres, mit Ende Vierzig, quittierte Heller den Schuldienst. Gab den Beamtenstatus, alle Sicherheiten und ihr gutes Gehalt auf.
Sie will Menschen in Zukunft darüber aufklären, an was unser Schulsystem krankt und was getan werden kann, um das zu ändern. Sie tritt dazu als „Speaker“ auf, als Rednerin, die zu anlassbezogenen Themen Impulsvorträge hält.
Ihre Vorbilder sind bekannte Autoren und Coaches wie Veit Lindau, Hermann Scherer oder Tobias Beck. Auf diese Menschen, „die genauso verrückt sind wie ich“, sei sie in der Corona-Zeit im Internet gestoßen, sagt sie. Vor allem mit Tobias Beck tauscht sie sich inzwischen rege aus.
Schon immer wollte Heller Schule in Bewegung bringen, das System und die Lernkultur verändern. Dieser Wille rühre aus ihrer eigenen Biografie, sagt sie. „Ich habe als Kind nicht ins System gepasst.“ Zeichnen und Geschichten erzählen, das habe sie prima gekonnt. Aber sie sei auch verträumt und vergesslich gewesen. Seit wenigen Jahren hat sie dazu auch eine Diagnose: Sie hat ADHS.
„Kinder müssen funktionieren“
Schule sei so konzipiert, dass Schüler innerhalb des Systems funktionieren müssen. „Ich hatte als Kind immer das Gefühl, ich bin verkehrt, ich bin doof.“ Deshalb ist sie heute der festen Überzeugung, dass Schule sich nach den Bedürfnissen der Kinder richten müsse, um deren Stärken zu fördern, und nicht umgekehrt. Schule müsse ein Platz sein, an dem Kinder mitreden dürfen, an dem sie selbstverantwortlich und fachübergreifend arbeiten können. „Denn jeder Mensch hat etwas Geniales. Er muss nur an sich selbst glauben und den richtigen Platz finden.“
Um junge Menschen für die Zukunft fit zu machen, für eine Welt, die spezialisierte, eigenverantwortliche und innovative Menschen braucht, sei das überkommene Schulsystem nicht mehr geeignet. „Früher, als Menschen sich auch in der Gesellschaft einzufügen hatten, hat dieses System durchaus gepasst“, so ihr Argument. Aber die Welt habe sich rasant verändert, nun hinke das Bildungssystem hinterher. Hellers vernichtendes Fazit: „Schule verhindert die Zukunftsfähigkeit unserer Kinder.“ Folgen, wie zum Beispiel der Führungskräftemangel, seien längst da.
Heller gibt Workshops und hält Reden
Ein gutes Zeichen sei, dass viele Schulen und Eltern sich inzwischen bewegten. Reformpädagogik, wie sie etwa an Montessori- oder Waldorfschulen eingesetzt wird, erlebt derzeit einen Boom. Allerdings profitierten hier meist Privilegierte.
Corinna Heller sucht fortan die Öffentlichkeit, um ihre Botschaft zu verbreiten und im kollektiven Bewusstsein dazu beizutragen, Schule besser zu machen. Zuletzt hat sie auf der Fachmesse Didacta Stuttgart gesprochen. Unternehmen und Organisationen können sie als Expertin für Veranstaltungen, für Workshops und Mentoring buchen.
Um bekannter zu werden, beteiligt sie sich an Wettbewerben und Speaker Slams. „Ich bin überzeugt, wir können die Welt verändern, wenn jeder an seinem Platz etwas dafür tut“, sagt sie und sieht ihr Alleinstellungsmerkmal in der jahrzehntelangen Praxis im Bildungssystem. „Schule muss mit den Kindern entwickelt werden“, ist sie überzeugt. (Christine Semmler)
corinna-heller.com