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Vertrauen in Versorgungssicherheit sinkt

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Von: Christine Semmler

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Block 5 des Kraftwerks Staudinger wird in diesem Winter noch im Betrieb bleiben. Auch wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage des Betreibers Uniper sind Bürger skeptisch, ob die geplante Folgelösung auf dem Gelände – das gemeindeeigene Kraftwerk – reibungslos umgesetzt werden kann. Archiv
Block 5 des Kraftwerks Staudinger wird in diesem Winter noch im Betrieb bleiben. Auch wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage des Betreibers Uniper sind Bürger skeptisch, ob die geplante Folgelösung auf dem Gelände – das gemeindeeigene Kraftwerk – reibungslos umgesetzt werden kann. Archiv © Mike Bender

Die explosionsartige Verteuerung der Fernwärme sorgt in der Gemeinde für Diskussionen. Bürger haben Angst um ihre Existenz: „Ein Rentner hat im Schnitt 1300 bis 1600 Euro“, rechnet einer der Betroffenen vor. „Wie soll man da 900 Euro Fernwärme im Monat bezahlen?“ Innerhalb von zehn Monaten hätte sich sein Heizabschlag von 305 auf 890 Euro erhöht, berichtet der Großkrotzenburger.

Die Gaskunden in der Gemeinde treffe es weniger hart – aber Fernwärmeabnehmer sind nun einmal an die Infrastruktur gebunden.

Weil die Unsicherheit in der Bevölkerung so groß ist, hat die FDP in Großkrotzenburg interessierte Bürger in den kleinen Saal im Bürgerhaus eingeladen, wo Horst Prey, Chef der Gemeindewerke, und Edgar Kaufhold, ehemaliger Leiter des Staudinger-Kraftwerks, Rede und Antwort stehen sollen. Schnell ist der Raum proppenvoll, rund 40 Personen sind gekommen. Auch FDP-Landtagskandidat Thomas Schäfer aus Maintal und Bürgermeisterin Theresa Neumann (CDU) sitzen in der Runde.

Prey erklärt, warum die Fernwärme sich in Großkrotzenburg so drastisch verteuert hat: Nur noch 50 Prozent speisen sich aus günstigerer Abwärme aus der Stromproduktion in Block 5 des Kohlekraftwerks Staudinger. Die andere Hälfte stammt aus einem gasbetriebenen Hilfskessel. Und dieses Gas ist richtig teuer: Denn Uniper stellt den Gemeindewerken aktuelle Preise in Rechnung. In der Gas-Sparte kann das kommunale Unternehmen die Abschläge noch moderat gestalten, weil es diese Energie zwei Jahre im Voraus, zu weit günstigeren Preisen, eingekauft hat. „2023 wird sich das massiv ändern“, prophezeit Prey. „Dann wird Gas genauso teuer wie Fernwärme.“ Auch der Preis für Strom werde steigen.

Gemeinde plant eigenes Kraftwerk

Was viele beunruhigt: Staudinger stellt 2023 seine kommerzielle Stromproduktion ein und wird bis Ende 2024 voraussichtlich nur noch für die Netzstabilität laufen. Nach gesetzlicher Vorgabe darf dann keine Fernwärme mehr ausgekoppelt werden. Viel schlimmer könne es aber nicht kommen, versichert Prey. Die Verträge mit den Gemeindewerken liefen bis mindestens Ende 2024 und zwar zu festen Konditionen, „so als würde Block 5 weiter fahren.“ Auch für 2025 gebe es Optionen, Energie vom Kraftwerksbetreiber Uniper zu beziehen.

2025 wollen die Gemeindewerke dann erste Bausteine des eigenes Kraftwerks in Betrieb nehmen, das sich vorwiegend aus erneuerbaren Energien speist, zu großen Teilen aus Sonnenenergie und aus der Wärme des angrenzenden Mains (wir berichteten). Im Januar 2023 könnte der erste Bauabschnitt starten, der eine Anlage für Solarthermie und Photovoltaik vorsieht.

Die nachhaltige Wärmeerzeugung der Gemeindewerke soll weitere Module umfassen, darunter eine Biomasseanlage und ein Blockheizkraftwerk. Letzteres soll, anders als zuerst geplant, nicht ausschließlich mit Erdgas, sondern vorwiegend mit Biomethan und Wasserstoff betrieben werden – eine neue Entwicklung die der aktuellen Krise geschuldet sei, erklärt Prey.

Damit steigere man den Anteil erneuerbarer Energien im neuen Kraftwerk auf bis zu 90 Prozent und mache sich weniger abhängig von fossiler Energie. Das garantiere auch eine gewisse Preisstabilität für den Endkunden. Bis 2026 soll sich die eigenständige Fernwärme etabliert haben.

Energiemarkt „diffizil, empfindlich und komplex“

Schon im Juli hatte es eine Infoveranstaltung gegeben, hier hatten sich Interessierte nach der Möglichkeit einer finanziellen Beteiligung erkundigt. Deshalb sei Bürgerbeteiligung zwingend ins Konzept aufgenommen worden, erklärte der ehemalige Staudinger-Chef Kaufhold. „Wie das nachher genau aussieht, müssen wir uns anschauen.“

Kaufhold legte in einem Vortrag dar, wie „diffizil, empfindlich und komplex“ der Energiemarkt sei und mahnte, dass sich die Gemeindewerke schnell umstellen müssten, um dieser Entwicklung gewachsen zu sein. Denkbar sei beispielsweise eine Zusammenarbeit mit Unternehmen, die sich intensiv mit dem Markt auseinandersetzen, und die in größeren Mengen einkaufen.

Seine Devise: „Bleiben Sie wachsam, aber bleiben Sie geduldig.“ Die Situation auf dem Beschaffungsmarkt sei sehr ungünstig, deshalb müsse man beim Aufbau des neuen Kraftwerks mit einer Übergangszeit rechnen, in der Strom und Gas noch aus dem Netz bezogen werden müssten.

All diese Pläne sind nach wie vor abhängig vom Netzbetreiber Uniper, dem Eigner des Kraftwerksgeländes. Und um die Gesellschaft mit Sitz in Düsseldorf ist es bekanntlich nicht gut bestellt: Nur ein Stabilisierungspaket des Bundes in Höhe von 15 Milliarden Euro könnte sie vermutlich noch retten.

Gemeinde erhofft sich Einwirkung durch neuen Bebauungsplan

Haben die Verträge noch Bestand, wenn der Bund ins Unternehmen einsteigt? Und wie wirkt sich die Entwicklung auf die Pläne und Vereinbarungen aus, für die es noch gar keine Verträge gibt? Könnte Uniper jetzt noch zurückziehen? Diese Fragen sorgen bei den Großkrotzenburgern für große Verunsicherung. „Wenn Uniper Insolvenz anmeldet, sind alle Verträge Makulatur“, merkt ein kritischer Großkrotzenburger an.

Die Freien Demokraten Alexander Noll und Christoph Zeller, die ebenfalls im Publikum sitzen, verweisen hier auf den kürzlich überarbeiteten Bebauungsplan für das Gelände, der der Gemeinde mehr Einwirkung ermögliche. Alle Gemeindegremien zögen zudem in der Sache an einem Strang: „Eine Einflussnahme ist möglich“, so Noll.

Er argumentiert zudem: Wenn die Bundesregierung Millarden zur Rettung des Unternehmens in die Hand nehme, müsse es in ihrem Sinn sein, die aktuellen Entwicklungen nicht zu blockieren, sondern auf sichere Füße zu stellen. (Christine Semmler)

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