Gericht kippt Göllners Beanstandung: Gemeinde Hammersbach darf gegen „Westerweiterung“ klagen

Im Streit um die sogenannte Westerweiterung des Interkommunalen Gewerbegebiets Limes auf Langen-Bergheimer Gemarkung hat das Verwaltungsgericht Frankfurt den Weg für eine Überprüfung des Bebauungsplans des Zweckverbandes hinsichtlich der Errichtung einer dritten Logistikhalle freigemacht.
Hammersbach – In der Entscheidung vom 4. März hob das Gericht die aufschiebende Wirkung der Beanstandungen von Bürgermeister Michael Göllner (SPD) gegen die entsprechenden Beschlüsse der Gemeindevertretung vom 26. Oktober 2021 auf. „Das Verwaltungsgericht hat in der Sache der Argumentation und Rechtsauffassung der Mehrheit der Gemeindevertretung der Gemeinde Hammersbach in vollem Umfang zugestimmt und sämtliche Gegenargumente des Bürgermeisters als unbegründet zurückgewiesen“, erklärt der von der Gemeindevertretung beauftragte Fachanwalt für Verwaltungsrecht Thomas Eichhorn aus Hanau.

Wir haben mit Rechtsanwalt Eichhorn gesprochen und in Form von einigen Fragen und Antworten zusammengefasst, was die Entscheidung des Gerichts für die weitere Entwicklung des Gewerbegebiets Limes bedeutet.
Um welche Beschlüsse der Gemeindevertretung geht es überhaupt?
Die Gemeindevertretung hat mit den Stimmen der schwarz-grünen Koalition beschlossen, dass sich der Gemeindevorstand „mit allen notwendigen Rechtsmitteln“ gegen den Bebauungsplan des Zweckverbands für die Westerweiterung wehrt. Zudem spricht sich die Gemeinde auf mehrheitlichen Beschluss gegen den Bau einer dritten Logistikhalle und für eine kleinteilige Gewerbe-Entwicklung des Gebietes aus. Bürgermeister Göllner, zugleich Vorsitzender des Zweckverbands, wird aufgefordert, „die Position der Gemeindevertretung im Verbandsvorstand des Zweckverbands zu vertreten und für diese zu werben“. Hauptkritikpunkt der Gemeindevertretung ist, dass der Beschluss zur Plangebietserweiterung im Jahr 2016 nicht einstimmig und damit satzungswidrig erfolgt sei. Zudem sei die Planungshoheit der Gemeinde im B-Planverfahren übergangen worden, da ihr Votum nicht eingeholt worden sei.
Warum hat Bürgermeister Göllner die Beschlüsse beanstandet?
Der Bürgermeister sah in den Beschlüssen Verstöße gegen geltendes Recht und eine Gefährdung des Wohls der Gemeinde. Die Gemeinde habe ihr Planungsrecht an den Zweckverband übertragen. Beim Beschluss zur Plangebietserweiterung im Jahr 2016 sei die Satzung nicht geändert worden. Selbst wenn man einen satzungswidrigen Beschluss unterstellen wollte, müsse eine Abwägung unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte Rechtssicherheit und Vertrauensschutz stattfinden. Schließlich würden die Beschlüsse der Koalition der „Wohlverhaltensklausel“ in § 21 der Zweckverbandssatzung widersprechen. Die Beschlüsse würden den Interessen des Zweckverbands und der ansiedlungswilligen Betriebe entgegen stehen. Ein gerichtliches Streitverfahren würde die Entwicklung verzögern und Kosten verursachen. Schließlich würde ein solches Vorgehen dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen.
Wie begründet das Gericht seine Entscheidung?
Wie der von der Gemeindevertretung beauftragte Verwaltungsrechtler Thomas Eichhorn erläutert, stellt das Gericht fest, dass die in der Sitzung vom 26. Oktober gefassten Beschlüsse der Gemeindevertretung rechtlich zulässig sind. Die Gemeindevertretung sei als Inhaberin der gemeindlichen Planungshoheit berechtigt, den Bebauungsplan gerichtlich überprüfen zu lassen. Die vom Bürgermeister vorgetragenen Argumente etwa hinsichtlich des Vertrauensschutzes sind nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet, die Überprüfung des Bebauungsplanes zu verhindern. „Das Gericht führt hierbei aus, dass es der neugewählten Gemeindevertretung selbstverständlich freisteht, ihren politischen Willen gegenüber demjenigen des früheren Gremiums zu ändern und eine neue Beschlusslage zu schaffen“, so Eichhorn. Ebenso kann die sogenannte Wohlverhaltensklausel in § 21 der Satzung des Zweckverbandes nach Auffassung des Gerichts nicht als Argument dafür herhalten, die gerichtliche Überprüfung des Bebauungsplanes zu verhindern.
Was sagt das Gericht zur Zulässigkeit des Beschlusses zur Plangebietserweiterung im Jahr 2016?
Diese Frage zu prüfen, war nicht Gegenstand der jetzigen Entscheidung. Vielmehr wurde nun der Weg frei gemacht, um den damaligen Beschluss und die Planungsbeteiligung der Gemeinde juristisch zu untersuchen. Dennoch stelle das Gericht in diesem Zusammenhang fest, „dass es erhebliche Zweifel daran habe, dass die im Jahre 2016 beschlossene Erweiterung des Verbandsgebiets des Zweckverbandes ordnungsgemäß zustande gekommen sei“, wie Verwaltungsrechtler Eichhorn betont. „Es spreche vieles dafür, dass in der damaligen Sitzung des Zweckverbandes vom 19. September 2016 unter anderem gegen das Einstimmigkeitsprinzip der Verbandssatzung verstoßen worden sei.“
Können gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt Rechtsmittel eingelegt werden?
Die Beteiligten können binnen zwei Wochen Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einreichen. Dies hätte laut Rechtsanwalt Eichhorn jedoch zunächst keine aufschiebende Wirkung.
Wer trägt die Kosten für das Verfahren?
Gemäß Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt trägt Bürgermeister Michael Göllner als Antragsgegner die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert ist auf 10.000 Euro festgesetzt. Die Kosten werden aus der Gemeindekasse beglichen.
Was muss nun der Gemeindevorstand unternehmen?
Gemäß der Beschlüsse der Gemeindevertretung, die erstmals bereits im September 2021 gefasst wurden, muss der Gemeindevorstand nun einen Anwalt beauftragen, um gegen den Bebauungsplan für die Westerweiterung vorzugehen. Im Rahmen eines Normenkontrollantrags könnte das Gericht eine aufschiebende Wirkung anordnen, um die Arbeiten zu stoppen. „Letztlich weist das Gericht darauf hin, dass den Bürgermeister die Rolle als Vorstandsvorsitzender des Zweckverbandes nicht von seiner gesetzlichen Verpflichtung entbindet, die Beschlüsse der Gemeindevertretung als Bürgermeister auszuführen“, so Eichhorn. Und das Gericht sagt weiterhin: „Die sofortige Umsetzung der streitigen Beschlüsse (. . .) ist in Anbetracht der voranschreitenden Baumaßnahmen in dem Plangebiet sowie der bevorstehenden Bekanntmachung des Bebauungsplanes (Anm. d. Red.: ist inzwischen erfolgt) dringend geboten, da sonst die Gefahr bestünde, dass durch wesentliche Veränderung des bestehenden Zustandes die von der Antragstellerin begehrte Umplanung wesentlich erschwert werden würde.“
Was soll nun konkret geprüft werden?
Neben der Zulässigkeit des Satzungsbeschlusses im Jahr 2016 zur Plangebietserweiterung, geht es um die Beteiligung der Gemeinde im Bebauungsplanverfahren für die Westerweiterung. So wurden nach bisherigem Kenntnisstand weder der Gemeindevertretung noch dem Gemeindevorstand der Abwägungsbericht vor Satzungsbeschluss vorgelegt.
Wie lange wird eine gerichtliche Entscheidung dauern?
Die Einreichung der Klage müsste spätestens Mitte April erfolgen. Erfahrungsgemäß dauert eine Normenkontrollklage beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel etwa ein Jahr. „Deshalb ist im vorliegenden Fall die parallele Einreichung einer einstweiligen Anordnung, also ein Eilverfahren beim VGH Kassel dringend erforderlich“, so die Einschätzung von Rechtsanwalt Eichhorn.
Auf welcher Grundlage haben nun die Hochbauarbeiten für die dritte Logistikhalle begonnen?
Wie das Bauamt des Main-Kinzig-Kreises am Mittwoch auf Anfrage unserer Zeitung mitteilte, hat die Dietz Logistik 34 Grundbesitz GmbH für den Bauantrag „Erweiterung eines Logistikzentrums mit Büro- und Lagerflächen, einem Pförtnergebäude sowie Pkw-, Lkw- und Fahrradstellplätzen“ beim Kreisbauamt eine zweite Teilbaugenehmigung beantragt. „Dieser Antrag umfasst die Rohbauarbeiten der Unit 7 und Unit 8 und wurde am 25.02.2022 vom Kreisbauamt genehmigt.“ Das Kreisbauamt entscheidet nach gültiger Rechtslage. Der Bebauungsplan ist am 2. Februar in Kraft getreten.
Was ist mit der Klage des BUND?
Der BUND hat bereits im Januar ein Eilverfahren gegen das Bauvorhaben der Dietz AG beim Verwaltungsgericht Frankfurt angestrengt. Zuvor hatte er Beschwerde gegen die Teilbaugenehmigung eingereicht. Die Naturschützer könnten ihre Klage unter Bezug auf die jetzige Entscheidung und angesichts der begonnenen Hochbauarbeiten erweitern. Der Fall wird allerdings vor einer anderen Kammer verhandelt. Hätte der BUND Erfolg, könnten die Arbeiten im Gewerbegebiet zeitnah gestoppt werden.
Lesen Sie zu diesem Thema auch den Kommentar von Jan-Otto Weber.