Schüler aus Hammersbach holt Landessieg mit Forschungsarbeit über die Hanauer Turnerbewegung

Sport ist politisch – das verdeutlichen nicht nur Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-WM. Auch vor Ort bilden die Freizeitaktivitäten in den Vereinen zu jeder Zeit ein Bild der Gesellschaft ab und spiegeln historische Entwicklungen wider.
Hammersbach – Auch wenn das, was wir heute unter Sport verstehen, sich erst seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entwickelt hat, reicht die Geschichte viel weiter zurück und ist eng mit der Heimatgemeinde, oft sogar mit der eigenen Familie verbunden.
Der Hammersbacher Schüler Malte Oberbeck hat sich auf Spurensuche in die Vergangenheit begeben und die Rolle der Hanauer Turngemeinde bei der Märzrevolution 1848/49 erforscht. Für seine Arbeit mit dem Titel „Ein Sportverein führt Krieg. Was trieb die Hanauer Turngemeinde zu dem Feldzug 1849 in Baden gegen die überlegene preußische Armee?“ wurde der 15-Jährige mit dem Landessieg im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ausgezeichnet.
„Was mich besonders interessiert, ist die Frage, warum sich die kriegerisch unerfahrenen Sportler der militärisch weit überlegenen preußischen Armee entgegenstellten“, sagt der Schüler, der die neunte Klasse der Karl-Rehbein-Schule in Hanau besucht.
Warum zogen Turner gegen Preußen in den Krieg?
Doch wie geht man ein solch komplexes Thema an? Die Körber-Stiftung, die den Geschichtswettbewerb alle zwei Jahre ausschreibt, gibt den Teilnehmenden dazu umfangreiche Hilfestellung in Form von Dokumenten und Video-Tutorials, Nachschlagewerken, Tipps für die Recherche, die Arbeit mit Quellen und die Darstellung der Ergebnisse. Ziel des mit 3400 Teilnehmenden größten historischen Forschungswettbewerbs für junge Menschen ist es, Schülern die wissenschaftliche Arbeit näher zu bringen und sie für Geschichte zu begeistern.
Letzteres ist allerdings bei Malte Oberbeck, der mit seinen Eltern und seiner Schwester im Ortsteil Langen-Bergheim lebt, nicht mehr nötig. Er interessiert sich schon seit vielen Jahren für geschichtliche Themen und liest in seiner Freizeit jedes Buch, das ihm dazu in die Finger kommt.
Wettbewerb über Hochbegabten-Förderung
Auf den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ist Malte über die Hochbegabten-Förderung seiner Schule aufmerksam geworden. „Ich finde den Wettbewerb sehr interessant, weil man selbst etwas erforschen kann“, sagt der 15-Jährige. Seine Hochbegabung äußert sich unter anderem darin, dass er sich alles, was er liest, sehr gut merken kann – ein absoluter Vorteil, wenn man in die Geschichte eintaucht.
„Das Thema war zwar nichts, womit ich mich schon beschäftigt habe. Es hat mich aber trotzdem direkt interessiert. Denn die Geschichte des Sports ist ja ganz eng mit der Gesellschaft verzahnt“, berichtet er. „Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft“, lautet das Thema der 27. Ausschreibung für den Wettbewerb 2020/2021. Um die Vorgabe zu erfüllen, dass sein Wettbewerb einen familiären oder lokalen Bezug hat, ging er in nächster Nähe auf Spurensuche und wurde auf die Hanauer Turngemeinde aufmerksam.
Denn der größte Breitensportverein im Main-Kinzig-Kreis hat eine lange Geschichte. 1837 wurde die Turngemeinde Hanau (TGH) gegründet. Zwölf Jahre später kämpften die Turner, obwohl sie dem Gegner militärisch weit unterlegen waren, in der Märzrevolution gegen die preußische Armee – ein Ereignis, das Malte Oberbecks Interesse auf sich zog. Er fing an zu recherchieren, vergrub sich im Archiv der TGH, durchforstete das Stadtarchiv und alte Zeitungen nach Quellen und tauchte ein in Geschichten und Ereignisse, die so in keinem Schulbuch stehen.
Sportler waren damals politisch
„Ich bekam dabei sowohl von meinem Geschichtslehrer als auch vom Verein selbst sehr viel Hilfe“, berichtet der Teenager. Er stellte sich die Aufgabe, die Verbindung des Turnvereins mit der Revolution herauszuarbeiten. „Dass die Mitglieder tatsächlich selbst in den Krieg gezogen sind, wusste ich nicht.“
Er fand heraus, dass die allgemein zu jener Zeit große Unzufriedenheit und das Gemeinschaftsgefühl die Turner anspornte, sich der preußischen Armee entgegenzustellen. „Turnen war damals noch etwas anderes. Die Sportler machten auch Wehrübungen, es wurde politisch viel diskutiert“, sagt er.
Mit Sensen und Gewehren aus einem alten Waffenlager ausgestattet, zog die Hanauer Turnerwehr gegen das preußische Militär in den Kampf. Der Aufstand 1849 wurde niedergeschlagen, die Turner mussten in die Schweiz fliehen, viele wurden in Bern interniert. Einige emigrierten ins Ausland, wie etwa August Schärttner, der in London eine deutsche Gaststätte eröffnete.
Mitglied in der SPD und beim Geschichtsverein
Der Vormärz war schon vor dem Wettbewerb eine Zeit, für die Malte Oberbeck sich besonders interessiert. Doch er belässt es nicht allein bei der historischen Begeisterung. Er kann auch der heutigen Sozialdemokratie einiges abgewinnen und ist als jüngstes Mitglied in den Hammersbacher SPD-Ortsverband eingetreten. Mit seinen 15 Jahren senkt er auch den Altersdurchschnitt im Geschichtsverein seiner Heimatgemeinde. Hier beschäftigt er sich vor allem mit der Geschichte der Heimatvertriebenen – ein Thema, das aufgrund der Flucht seiner eigenen Urgroßeltern für ihn präsent ist. „Da gibt es noch einige offene Punkte, über die ich gerne mehr herausfinden möchte“, sagt der Nachwuchsforscher.
Dass es nur wenige Gleichaltrige gibt, die seine Interessen teilen, stört den Schüler wenig. Neben seiner Liebe zu Büchern und zur Geschichte spielt er Fagott – wie seine Hobbys ein Instrument, für das sich schon allein aufgrund seiner Größe nicht viele Musiker entscheiden.
Preisgeld von 500 Euro
In den Weihnachtsferien vor einem Jahr saß Malte an seiner Arbeit, die bei der prestigeträchtigen Ausschreibung als eine der besten aus ganz Hessen ausgezeichnet wurde. Für den Landessieg hat er ein Preisgeld von 500 Euro erhalten, die er in Bücher investieren und sparen will. Die Siegerehrung fand, dem Thema angemessen, im Stadion der Frankfurter Eintracht mit Kultusminister Alexander Lorz statt.
„Das war schon eine große Herausforderung“, resümiert Malte Oberbeck seine Arbeit zum Geschichtswettbewerb. „Und anfangs wusste ich noch überhaupt nicht, wie ich vorgehen soll. Aber letzten Endes hat es mir sehr viel Spaß gemacht, das Forschen und das Schreiben.“ (Von Bettina Merkelbach)