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Wolfsrisse bereiten Weidetierhaltern Sorgen - auch am Hammersbacher Kappellenhof

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Idyll vor den Toren Marköbels: Macht der Wolf demnächst Weidetierhaltung auch in der Wetterau unmöglich? Schafhalter fordern eine offene Diskussion um die Ausbreitung des räuberischen Vierbeiners.
Idyll vor den Toren Marköbels: Macht der Wolf demnächst Weidetierhaltung auch in der Wetterau unmöglich? Schafhalter fordern eine offene Diskussion um die Ausbreitung des räuberischen Vierbeiners. © Werner Kurz

Der Wolf beschäftigt in jüngster Zeit vermehrt Medien und Öffentlichkeit landauf, landab. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vor über drei Jahrzehnten breitet sich der vierbeinige Räuber rapide nach Westen aus; große Flüsse oder Autobahnen sind dabei kein Hindernis. Inzwischen ist er vor unserer Haustür, ist er in Vogelsberg und Kahlgrund, jüngst auch im Taunus angekommen.

Region Hanau – Was manche Tierfreunde vor Freude jauchzen lässt, jagt anderen einen leichten Schauer über den Rücken. Doch ganz abseits romantischer Verklärung des Raubtiers oder aus dem Fundus der Brüder Grimm gespeister Urangst vor der „Bestie“ gibt es für eine Berufsgruppe handfeste Gründe, den Wolf kritisch zu sehen: Weidetierhalter.

Um 1840, so genau lässt es sich nicht mehr nachweisen, war der ebenso vermehrungsfreudige wie anpassungsfähige Räuber in Hessen ausgerottet. Es war dies freilich ein ganz anderes Land, eine völlig andere Landschaft, aus der der Rückkehrer unserer Tage damals verschwunden ist: weitaus dünner besiedelt als heute und mit viel mehr Wald bedeckt, weit weniger von Verkehrswegen durchzogen und abseits der wenigen Städte kaum zersiedelt und dörflich-landwirtschaftlich geprägt.

Dass da in der baulich und verkehrstechnisch hochverdichteten Rhein-Main-Region mit der nun mehrfach nachgewiesenen Rückkehr des Wolfs Konflikte nicht ausbleiben, liegt auf der Hand.

Mögliche Wolfssichtung bei Hammersbach

So ist das Auftauchen eines Wolfs, der Riss eines Schafs auf der Weide, allemal eine Nachricht, die für Gesprächsstoff sorgt. Vor einigen Wochen war es Wilhelm Dietzel, der in der Nähe des Hammerbacher Klärwerks am Krebsbachufer zwei große Vierbeiner sichtete, die er aus der Ferne allerdings nicht eindeutig identifizieren konnte. Freilich ist die Beobachtung von Gewicht, ist Dietzel doch als engagierter Vogelschützer nicht ungeübt in Sachen Beobachtungen in freier Wildbahn. Ausschließen will er jedenfalls nicht, dass er wandernde Wölfe gesehen hat.

Näher kamen die Einschläge vor gut zwei Wochen, als im benachbarten Bayern eine Wolfssichtung bestätigt wurde. Und vor wenigen Tagen kam dann die Nachricht, in Freiensteinau im Vogelsberg habe ein Wolf vier Schafe und ein Rinderkalb gerissen. Der Main-Kinzig-Kreis weitete daraufhin das sogenannte „Ereignisgebiet“ in Sachen Wolfsriss auf Brachttal, Birstein, Bad Soden-Salmünster, Steinau und Schlüchtern aus.

Hammersbacher Schafshofbetreiber macht sich Sorgen

Von dort aus ist es jetzt nur noch ein Katzensprung hinab ins Maintal und damit auch nach Hammersbach, eine Distanz, die ein wandernder Wolf in wenigen Nächten schafft. Und genau dort, zwischen den Ortsteilen Hirzbach und Marköbel, hat sich in den vergangenen Jahren mit dem Hofgut Kapellenhof ein Schafhalterbetrieb zu beachtlicher Größe entwickelt. Dass man dort nicht in Jubel ausgebrochen ist ob der Nachrichten vom Wolf, ist nachvollziehbar. Denn das Verhältnis Mensch-Wolf bis zum Abschuss des letzten deutschen Wolfes im Jahr 1882 war nie konfliktfrei.

Ein früheres Zeugnis dafür findet man in der Jahresrechnung der Stadt Windecken von 1467/1468: Dort werden Ausgaben von „stattlichen 16 Turosen 7 Hellern verzeichnet als Zehrung für diejenigen Untertanen, die Wölfe gefangen“ hatten. Aus dem Jahr 1536 gibt es Berichte, dass „ . . . die Wölfe . . . großen Schaden tun“, für das Jahr 1607 sind Angriffe von Wölfen auf Menschen in der Bulau aktenkundig.

Sichtung bestätigt: Das Tier, das Ende März im benachbarten Kahlgrund von Wildkameras aufgenommen wurde, ist tatsächlich ein Wolf. Und im Vogelsberg wurden Schafe und ein Kalb gerissen. Symbolfoto: Lino Mirgeler/dpa
Sichtung bestätigt: Das Tier, das Ende März im benachbarten Kahlgrund von Wildkameras aufgenommen wurde, ist tatsächlich ein Wolf. Und im Vogelsberg wurden Schafe und ein Kalb gerissen. © Symbolfoto: Lino Mirgeler/dpa

Während des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) kam es dann in der Wetterau zu einer regelrechten Wolfsplage. 1618 musste jeder Jäger, und derer gab es etliche in der Grafschaft Hanau, jährlich mindestens zwei Wölfe erlegen und ihre Häute vorlegen. Im Februar 1643 ordnete Graf Friedrich Kasimir gar eine umfassende Wolfsjagd rund um Hanau, vor allem im Bruchköbeler Wald und in den Rückinger Schlägen an.

Wolfsplage im 17. Jahrhundert

Mit der Wolfsplage des 17. Jahrhunderts im Zusammenhang steht auch das „Pfingstrecht“, das, wie der Historiker Erhard Bus berichtet, noch lange, nachdem der letzte Wolf erlegt war, im Hanauischen galt. Dabei ritten zu Pfingsten die jungen Männer aus Rüdigheim, Ravolzhausen und Marköbel zu den Schafhaltern in der Umgebung und holten sich einige Kreuzer Belohnung ab, die früher denjenigen zugestanden wurde, die einen Wolf erlegt hatten.

Heutzutage ist der Wolf streng geschützt. Zwar hat der Bayerische Landtag auch im Hinblick auf Wolfsrisse vergangene Woche das Abschussverbot gelockert; ob dies jedoch Bestand hat, werden wohl Gerichte entscheiden müssen.

Gleichwohl: Schafhalter, die sich durchaus als „geborene“ Naturschützer verstehen, sehen den Vormarsch des Wolfs auch deshalb sehr kritisch, weil er nicht nur eine Gefahr für ihre Nutztiere ist, sondern eine uneingeschränkte Ausbreitung auch die hiesige Artenvielfalt nachhaltig mindern könne.

Weideschafe wichtig für Artenvielfalt

Wo es keine Schafe mehr gibt, gibt es auch keine landschaftstypischen Magerwiesen mehr wie im Vogelsberg und in der Rhön – und damit keine Orchideen und Wiesenbrüter. Zwar gibt es im Rhein-Main-Gebiet kaum noch Wanderschäfer, die mit ihrer Herde umherziehen. Zu viele haben bereits aufgehört. In Gegenden wie der Rhön aber, wo die Schafe die Landschaft von Verbuschung freihalten und damit auch Lebensräume für Insekten und Vögel sichern, ist dieses Ökosystem ohne Schafe in Gefahr.

Doch auch die „stationäre“ Schäferei, wie sie der Kapellenhof als Bioschafskäserei mit 300 Milchschafen der französischen Rasse Lacaune auf 60 Hektar rund um das Betriebsgelände zwischen Hirzbach und Marköbel betreibt, sieht Herausforderungen. Vorkehrungen gegen Wolfsübergriffe seien aufwendig und teuer, die üblichen Schutzzäune von 1,20 Metern Höhe etwa überwinde der Wolf ohne Probleme, so Christoph Neizert, der den Betrieb in den vergangenen Jahren aufgebaut hat. Mindestens zwei Meter brauche es schon. Und zudem müsse der Zaun 40 Zentimeter in die Erde reichen, erklärt er. Doch da in dem Biohof die Tiere in mehreren Gruppen auf wechselnden Weiden gehalten und öfters umgesetzt werden, ist eine ständige Einzäunung nicht durchführbar und ohnehin nicht finanzierbar.

Die stets auch leichthin von den Behörden empfohlenen Schutzhunde seien auch nicht für ein Butterbrot zu bekommen. Und mit einem einzelnen Hund wäre es sowohl bei einer großen Herde als auch bei der kleinteiligen Betriebsform des Kapellenhofs nicht getan. Es seien dies alles Kosten, die für die Kunden des Hofes zu inakzeptablen Abgabepreisen führten, so Neizert.

Schutzhunde und Zäune sind unwirtschaftlich

Weiterhin erfordern die Hunde eine zeitaufwendige Betreuung, die auf dem Hof nicht möglich ist. Schließlich würde die Haltung von diesen sehr territorial gesinnten und damit potenziell gefährlichen Tieren dazu führen, dass der Kapellenhof seine Politik der offenen Tür insbesondere für Familien mit Kindern beenden müsste.

Hinzu käme nach einem Wolfsriss aber nicht nur der Verlust eines Nutztieres – für das es teilweise Ersatz vom Staat gibt –, sondern auch eine „psychologische“ Komponente: Die ganze Herde sei nach jedem einschneidenden Ereignis, wie es ein Wolfsriss sicher wäre, buchstäblich traumatisiert und die Milchleistung nähme deutlich ab. Nicht zu vergessen, dass ein Schafhalter nach einem Wolfsriss seine Tiere nicht mehr aus dem Stall lassen kann. Das aber widerspräche allen Grundsätzen einer tiergerechten Haltung.

Es gäbe aber nicht nur die materielle Seite, bekräftigt Pascal Küthe, Betriebsleiter auf dem Kapellenhof, und denkt in größerem Maßstab: Wenn sich der Wolf unter den gegebenen Bedingungen weiter ausbreite, würden immer mehr Schafhalter aufgeben, die Weidetierhaltung werde allgemein zurückgehen, prophezeit er. Der gegenwärtige Umgang mit dem Thema Wolf, sowohl vonseiten der Gesetzgebung als auch der Verwaltungspraxis und der medialen Darstellung, bevorzuge den Wolf und benachteilige die Weidetierhaltung, ist seine klare Meinung. Dem gelte es, vor allem das Wissen um die komplexen Zusammenhänge zwischen Wiederansiedlung von Raubtieren – und ein solches ist der Wolf nun einmal – in einem dicht besiedelten Raum, der Erhaltung der Artenvielfalt und dem Erhalt von Nutztierhaltern und damit der Produktion von hochwertigen regionalen Lebensmitteln entgegenzusetzen.

Kein Patentrezept

Wenn immer mehr Schäfer aufgäben, werde beispielsweise auch der Genpool, aus dem die Schafzucht heute noch schöpfen könne, immer kleiner, was letztlich das Ende jeglicher wirtschaftlichen Schafhaltung einläuten würde. In zehn, 15 Jahren sei dann nur noch der Wolf übrig, auf Kosten von Ökologie und Ökonomie. Allerdings haben auch Neizert und Küthe kein Patentrezept. Sie setzen auf Diskurs, Information und Offenheit und stellen ökologische und ökonomische Fakten gegen ein romantisiertes Bild von der glücklichen Wiederansiedlung des Wolfs in unserer Welt, die freilich eine ganz andere ist als jene, in welcher der letzte Wolf vor bald 150 Jahren ausgerottet wurde. (Von Werner Kurz)

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