Praxen-Ansiedlung: Selbold räumt Ärzten Steine aus dem Weg

Langenselbold. Die Gründaustadt, so ziemlich genau auf halber Strecke zwischen Gelnhausen und Hanau gelegen, könnte sich idealerweise zu einem ärztlichen Versorgungsschwerpunkt für zahlreiche Kommunen im Umkreis entwickeln.
Von Torsten KleinerüschkampFreilich kann und soll Langenselbold – so sieht es Bürgermeister Jörg Muth – nicht mit dem Oberzentrum Hanau konkurrieren. Die Chancen stehen momentan nicht schlecht, dass Langenselbold – dort macht man sich stark dafür, Mittelzentrum zu werden – mehr in Sachen ärztlicher Versorgung bieten kann.
Dies gilt vor allem seitdem die Stadt und die Vital AG als Investor den Plan für den Bau eines 20 Millionen Euro teuren Gesundheitszentrum in Langenselbold vorgestellt haben. Der Plan ist aus einer Krise heraus entwickelt worden, weil es nicht genügend moderne Immobilien gibt, die für junge Ärzte relevant sind.
Aktuelle Situation schwierig
Dann soll es im Herbst 2021 Langenselbold zusätzlich Praxen eines Hausarztes, eines Orthopäden, eines Unfallchirurgen und eines Zahnarztes geben. Das kann momentan nicht darüber hinwegtrösten, dass die aktuelle und Situation der letzten Zeit nicht allzu rosig ist beziehungsweise war. Krisen sind bekannt aber auch gut, um Neues hervorzubringen.
Weil es in der Gründaustadt aktuell an modernen Räumen fehlt, die für Arztpraxen interessant sind, hatten die Langenselbolder Hausärztin Katrin Fitzler zusammen mit Bürgermeister Muth das Heft des Handelns in die Hand genommen.
Zwei Ärtzte in Rente verabschiedet
Die Situation wurde prekär, als vor geraumer Zeit ein junger Kinderarzt die gutgehende Praxis eines langjährigen Kollegens übernommen hatte, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Wenig später machte der Nachfolger die Praxis zu und ging nach Gründau, um in einem modernen Gesundheitszentrum seine Kinderarztpraxis zu öffnen.
Nachdem vor einigen Monaten zudem zwei alteingesessene Langenselbolder Ärzte, die ihr Domizil im ehemaligen Amtsgericht im Steinweg hatten, in Rente gingen, verschlimmerte sich nochmals die Situation. Die beiden Kollegen, die immerhin 2500 Patienten betreuten, fanden keine Nachfolger. Der Grund war so schlicht, wie ernüchternd. Die Arzträume im alten Gemäuer sind schwer erreichbar. Barrierefreiheit war zum Zeitpunkt des Baus dieses Hauses in absolutistischer Zeit nicht vorgesehen.
Langfristige Perspektive entwickelt
Muth hatte sich inzwischen mit einer Umfrage an alle Langenselbolder niedergelassenen Ärzte gewendet, mit der Bitte, der Verwaltung die Regelung der Nachfolge mitzuteilen. Der Grund: Weil doch einige Ärzte höheren Alters beziehungsweise schon die Altersgrenze überschritten haben, gibt es die reale Furcht, dass Langenselbold in Ermangelung einer entsprechenden Immobilien-Infrastruktur einmal ziemlich schlecht dastehen könnte. Zu einem wichtigen Infrastrukturmerkmal gehört ja eine gute ärztliche Versorgung.
Fitzler hat sich nun einerseits für das geplante Gesundheitszentrum stark gemacht. Die Allgemeinmedizinerin, die auch eine akademische Lehrpraxis der Goethe-Universität für angehende Mediziner betreibt, hatte selbst jahrelang vergeblich nach einem Ersatz für ihre nicht barrierefreie Praxis gesucht. Im Zuge ihrer Raumsuche kam sie mit dem Investor in Kontakt. Zwar wurde keine unmittelbare Lösung an anderer Stelle gefunden. Sie baut jetzt doch aufwändig um. Dennoch wurde zusammen mit der Stadt eine langfristige Perspektive für die gesamte ärztliche Situation entwickelt. „Sie kriegen keinen jungen Arzt in ein altes Gemäuer“, sagt die Hausärztin.
„Wir haben immer mehr in die Zukunft geschaut und uns auf die Bedürfnisse junger Ärzte vorgestellt“, sagt der Bürgermeister. Junge Ärzte wollten heute in einem medizinischen Verbund in einem Versorgungszentrum arbeiten und geregelte Arbeitszeiten haben. Der Bau eines Gesundheitszentrums (HA vom 12. Juli) sei die zukunftsträchtigste Lösung.
Noch weiße Flecken im Stadtgebiet: Es fehlt in Langenselbold an Fachärzten. Die prosperierende Stadt soll aber in naher Zukunft eine bessere Versorgung mit Arztpraxen erhalten. Das ist das Ziel einer gemeinsamen Kooperation mehrerer Beteiligter. Archivfoto: Axel Häsler
Muth berichtete von einem Gespräch mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), an dem unter anderem auch der Leiter des Kreisgesundheitsamtes, Dr. Siegfried Giernat, sowie Fitzler mit von der Partie war. Das Ergebnis ist laut Muth: Die Patienten können durch die vorhandenen Hausarztpraxen in Langenselbold aufgefangen werden. Die zusätzlichen Patienten dürfen auch abgerechnet werden. „Das ist ein wesentlicher Aspekt, damit nicht jemand 2000 Patienten hat, aber nur für 1500 Patienten abrechnen darf.“
Weiterhin hat die KV das Gesundheitszentrum sehr begrüßt als zukunftsweisenden Schritt, will Langenselbold bei der Konzeption des Projekts unterstützen und auch der Stadt helfen bei der Nachfolgeregelung bei jenen Ärzten, die trotz Erreichens der Altersgrenze noch weiterarbeiteten.
Als die Langenselbolder Hausärztin Katrin Fitzler 700 Patienten der auf einmal 2500 unversorgten Patienten übernahm, war großer Stress vorprogrammiert. „Als die Praxis der beiden Ärzte auch noch vorzeitig schloss, war Land unter“. Sie habe schnell alle Patienten kennen lernen müssen. An Feiertagen, Brückentagen, Samstagen, Sonntagen und ihrer Freizeit studierte sie die auf einzelnen Sticks gespeicherten Daten, die sie auch Datenschutzgründen per Laptop als Stand-alone-Lösung einlesen musste, das nicht an ein Netzwerk angeschlossen ist. „Es kann ja ein Virus oder ein Trojaner drauf sein“, sagte sie. Es gab ganz holprige Situationen.
Konkrete Vorstellungen
Es gab abends Anrufe vom Labor mit ganz chaotischen Laborwerten, wo wir die Leute aber noch nicht kannten. Dann gab es Sticks, die nicht gelesen werden konnten, und Sticks, auf denen nichts gespeichert war. „Ich bin heilfroh, dass die KV nun gesagt hat, dass wir dafür auch bezahlt werden. Die Arbeit ist ja mit großen Kosten verbunden. Da wird nicht nur Personal benötigt, kostet Verbrauchsartikel und Desinfektionsmittel“, sagt sie.
Muth bedankte sich dafür, dass auch die anderen Selbolder Hausärzte ihre Bereitschaft erklärt haben, jeweils einen Teil der 2500 Patienten zu übernehmen. Es sei positiv zu sehen, dass die KV die Deckelung der Honorierung aufgehoben hat. Giernat wies darauf hin, dass die KV pro ausscheidendem Arzt heute mit zweieinhalb Ärzten als Ersatz rechnet.
Dass heiße, zweieinhalb Ärzte erbrächten eine gleichartige Leistung in dieser Zeit einer geänderten Arbeitswelt. Fitzler, die 63 Jahre alt ist, hat konkrete Vorstellungen für ihre Nachfolgeregelung. Sie wolle ihre Praxis mit den angestellten Ärzten in eine neue Rechtsform überführen und dann in das neue Gesundheitszentrum überführen. Sie selbst könne dann dort noch eine Zeit als Angestellte arbeiten, bis sie in Rente gehe.