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AES-Geschichtsprojekt erhält Jugend-Sonderpreis der Stadt Maintal

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Im Geschichtsunterricht von Sara Klüppelbusch (links) erzählten Schüler der 10. Klassen die Lebensgeschichten von Opfern des NS-Regimes. Für Podcasts und Videos erhielten sie den Sonderpreis der Stadt Maintal.
Im Geschichtsunterricht von Sara Klüppelbusch (links) erzählten Schüler der 10. Klassen die Lebensgeschichten von Opfern des NS-Regimes. Für Podcasts und Videos erhielten sie den Sonderpreis der Stadt Maintal. © ULRIKE PONGRATZ

„Ich bin Marie Rauch, geboren 1901 in Enkheim.“ So beginnt der eindrückliche Podcast, in dem Schülerinnen der Albert-Einstein-Schule (AES) aus der Ich-Perspektive die Lebensgeschichte der Maintalerin erzählen. Schon früh erkannte man, dass „etwas mit ihr nicht stimmt“. Marie Rauch leidet an einer psychotischen Erkrankung. Sie heiratet, wird Mutter, erstickt ihr erstes Kind mit dem Kopfkissen, bringt weitere Kinder zur Welt.

Maintal - Im Laufe ihres Lebens wird sie immer wieder in Kliniken eingewiesen und stationär in der Psychiatrie behandelt. Schließlich wird unter dem NS-Regime „als lebensunwert aussortiert.“ Sie wird aus der Klinik in ein „Pflegeheim“ und von dort in die „Tötungsanstalt“ Hadamar überwiesen.

Die Opfergeschichte der Marie Rauch ist eine von 15 detailliert und spannend erzählten Geschichten über Menschen, die unter dem NS-Regime ausgegrenzt, verfolgt und ermordet wurden. Medial aufbereitet und damit für die junge Generation leicht zugänglich gemacht, wurden unter anderem die Biografien von Käthe Jonas, Karl Diez, Lothar Strauß und vielen anderen im Rahmen des bilingualen Geschichtsunterrichts an der Albert-Einstein-Schule.

Brüder-Schönfeld-Forum und Maintaler Gymnasium kooperieren

Unterstützt hat das Geschichtsprojekt Herbert Begemann, Vorsitzender des Brüder-Schönfeld-Forums. Begemann hat Biografien ausgewählt, zu denen Materialien vorhanden waren, mit denen die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe zehn weiterarbeiten konnten. Unter den Verfolgten waren Menschen mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen wie Marie Rauch, Mitglieder der kommunistischen Partei wie Käthe Jonas und Karl Diez oder Juden wie Lothar Strauß. Der Verein unterstützt das Andenken an Verfolgte, vor allem in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, und fördert Toleranz auf allen Gebieten der Kultur.

„Der lebensweltliche Bezug war ebenfalls wichtig. Denn die Dinge sind genau hier passiert.“, sagt Begemann, der für das Gespräch nur kurz Zeit hat. Er bereitet bereits ein neues Projekt mit der Albert-Einstein-Schule vor, verlässt die Runde aber nicht, ohne das Vorgänger-Projekt zu loben. Begemann ist von der Vielfalt der Dramaturgie begeistert.

Podcasts und Videos: Geschichte für Teenies

Die Lebensgeschichten werden in Form von Podcasts oder Videos in den Alltag der Jugendlichen geholt. Beispielsweise wird das Gespräch mit Rosel Vadehra-Jonas auf Englisch als Interview wiedergegeben. Das Telefonat mit der heute etwa 80-jährigen Tochter von Käthe Jonas hat die Schülerinnen und Schüler besonders beeindruckt. „Sie hat uns sehr viele persönliche Dinge von ihrer Mutter erzählt“, erinnert sich die Gruppe.

Spannend waren für die Jugendlichen der Bezug und die Nähe zum Ort. Die Arbeit mit Quellenmaterial ließ sie tief eintauchen in das Thema und neue Zusammenhänge herstellen. Eine echte Herausforderung war die Verbindung von Geschichte und Podcast. „Da waren nicht nur Daten auf dem Papier, sondern Bezugspersonen mit einer persönlichen Geschichte“, erzählen einige der Schüler rückblickend. Unter anderem erzählten sie die Geschichte von Lothar Strauß, der Theresienstadt, Auschwitz und Dachau überlebte und mit seiner Frau Laura in die USA emigrierte. Oder Käthe Jonas und Karl Diez, die nach 1945 weiterhin politisch aktiv waren.

Besuch der Gedenkstätte Hadamar

Zur großen Freude der betreuenden Lehrer Sara Klüppelholz und Bernhard Siever wurden sehr schöne und interessante Ergebnisse erzielt. „Die Schülerinnen und Schüler haben sehr viel erarbeitet und dies selbstständig. Zu jedem Podcast musste vorab ein Skript verfasst werden. Sehr vieles lässt sich auf das System übertragen“, sagt Lehrerin Sara Klüppelholz.

Zum Projekt gehörte auch ein Besuch der Gedenkstätte Hadamar. Dort wurde Marie Rauch getötet. Menschen mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen waren die ersten, die als „lebensunwert aussortiert“ wurden. An ihnen wurde die Tötung mit Giftgas erprobt. Die Zentrale für diese „Aktion T4“ saß in der Tiergartenstraße 4 in Berlin.

Im Podcast hat Wilhelm Rauch, Maries Ehemann, das letzte Wort. Seine Frau sei an einem Abszess am Hals gestorben, so steht es auf der Sterbeurkunde. Ob die Urne tatsächlich die Asche seiner Frau enthält, ist ungewiss und auch das Sterbedatum stimmt vermutlich nicht.

Von Ulrike Pongratz

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