Ahmad Babuli verlor im Krieg einen Arm: Jetzt wird er zum Fahrzeuglackierer ausgebildet

Konzentriert führt Ahmad Babuli das gelbe Klebeband entlang der Fensterdichtung, Zentimeter für Zentimeter arbeiten sich seine Finger voran. Akkurates Arbeiten ist das A und O beim Fahrzeuglackieren. Ahmad Babuli beherrscht die Technik perfekt. Obwohl er nur einen Arm hat. „So geht es gut“, sagt er und zeigt auf die Rolle Klebeband, die er über den Stumpf seines rechten Armes geschoben hat.
Maintal – Fest muss sie sitzen, dann kann er das Band mit der linken Hand abziehen. Seit August 2019 wird der gebürtige Syrer bei der Ideal Karosseriebau GmbH in Dörnigheim ausgebildet. Und das mit Erfolg: Im März wurde der 31-Jährige von der Handwerkskammer Wiesbaden als Lehrling des Monats ausgezeichnet. „Mit welchem enormen Willen und welcher Durchsetzungskraft er täglich seine Ausbildung meistert, ist absolut beeindruckend“, schwärmt Chefin Svenja Friedewald.
Noch heute erinnert sie sich genau an das erste Treffen im Februar 2019. Nach dem Vorstellungsgespräch, das ihr Vater führt, gibt Ahmad Babuli Svenja Friedewald zum Abschied die linke Hand. Er trägt Lederjacke, Handschuhe, darunter seine Schmuckprothese. Die Chefin wundert sich. Ob er eine Verletzung an der echten Hand habe, fragt sie. „Da sagte mein Vater ‘Nein, dem fehlt der rechte Arm’. Und ich war erst mal sprachlos.“ Abkleben, lackieren, polieren, wie soll ein Mensch mit einem Arm schaffen, woran schon Menschen ohne Handicap scheitern, fragt sie sich. Doch die Zweifel sind unbegründet. „Ahmad hat eine sehr schnelle Auffassungsgabe, ist extrem motiviert und mit so viel Freude dabei. Nach einer Woche Praktikum war klar, dass er den Ausbildungsplatz bekommt“, so Friedewald.
Für den 31-Jährigen ist die Ausbildung ein Sechser im Lotto. Dabei habe er eigentlich nie aus seiner Heimat weggewollt. Doch dann kommt der Krieg. 2013, im Alter von 23 Jahren, gerät Ahmad Babuli in einen Bombenangriff. Er wird lebensgefährlich verletzt, liegt zwischenzeitlich im Koma. Seine rechte Körperhälfte ist am schlimmsten betroffen. Er überlebt, doch seinen rechten Arm können die Ärzte trotz mehrerer Operationen nicht retten. „Es war schwer. Ich musste mich dran gewöhnen“, sagt er heute.

Ahmad Babuli muss alles neu lernen: Kochen, Essen, Schreiben. Es dauert, bis die linke Hand so will, wie er. Er lernt schnell. Und er will kein Mitleid, sondern einen Beruf, eigenes Geld verdienen. „Geht nicht, gibt’s nicht“, das sei sein Lebensmotto, sagt er. In seiner Heimat hat Ahmad Babuli als Holzlackierer gearbeitet. In Deutschland, wo er seit 2015 lebt, will er eigentlich Maler und Lackierer lernen. Doch die Maschinen sind zu groß und schwer. „Ich wollte keinen Beruf, in dem mir dauernd jemand helfen muss“, sagt er.
Über das Projekt „Chance Handwerk“, das junge Geflüchtete in lokale Handwerksbetriebe vermittelt, bekommt Ahmad Babuli schließlich das Praktikum und den Ausbildungsplatz bei der Ideal Karosseriebau GmbH. Anderthalb Stunden braucht er mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von seinem Wohnort Obertshausen bis nach Dörnigheim. Er nimmt es in Kauf. Mittlerweile fährt der 31-Jährige mit dem eigenen Auto zu seinem Ausbildungsbetrieb. Svenja Friedewalds Mann hat es behindertengerecht umgebaut. Auch den Führerschein hat der Betrieb, der 2020 den Hessischen Landespreis für die beispielhafte Beschäftigung und Integration schwerbehinderter Menschen erhält, mitfinanziert.
Seine Schmuckprothese trägt Ahmad Babuli heute nicht mehr. Mit fast sechs Kilo ist sie ihm zu schwer, außerdem sitzt sie nicht korrekt am Stumpf. Oft machen Kunden große Augen, erzählt Svenja Friedewald. Einen Fahrzeuglackierer mit nur einem Arm gebe es wahrscheinlich kein zweites Mal. Zweifel an seinem Können brauche allerdings niemand haben. „Was Ahmad körperlich nicht kann, macht er mit seinem Willen wett“, sagt sie.

Natürlich gebe es auch Tätigkeiten, bei denen der 31-Jährige auf Unterstützung angewiesen ist. Beim Ausbeulen etwa, oder wenn es darum geht, eine Stoßstange zu montieren. „Ich gebe Bescheid und sie helfen. Sonst nicht“, betont Ahmad Babuli.
Aktuell hat der 31-Jährige Urlaub genommen, um sich auf die Gesellenprüfung am 23. Mai vorzubereiten. Nötig hat er es nicht, bis auf die Note zwei in Deutsch gibt es nur Einser. „Um seine Ziele zu erreichen, muss man viel tun“, sagt er und lacht.
Svenja Friedewald hat keine Zweifel, dass ihr Azubi die Prüfung besteht. Und sie hofft, dass er anschließend seinen Meister macht. Vielleicht könne er irgendwann sogar die Leitung der Werkstatt in Maintal übernehmen. „Nicht heute und auch nicht gleich morgen. Aber er bringt diese Ambitionen definitiv mit.“
Von Kristina Bräutigam