Autohandel trotz Sozialhilfe? Ehepaar soll Jobcenter betrogen und Steuern hinterzogen haben

Da wartet eine Menge Arbeit auf die 5. Große Strafkammer am Landgericht Hanau. Insgesamt 124 Zeugen sollen im Prozess gegen ein Ehepaar gehört werden, die bereits neun angesetzten Verhandlungstermine werden wohl bei weitem nicht ausreichen. Angeklagt ist ein Ehepaar aus Schöneck, dass zu Unrecht Sozialleistungen bezogen und zudem beim Autohandel die Steuerpflicht in Deutschland gekonnt ignoriert haben soll.
Maintal/Schöneck/Hanau – Konkret geht es um eine Summe von rund 575 000 Euro, die das Ehepaar dem Staat schulden soll. Rund 160 000 Euro davon entfallen auf die 46-jährige Ehefrau. Wie aus der detaillierten Anklage von Staatsanwalt Tobias Wolf hervorgeht, soll die Ehefrau im Zeitraum von 2012 bis 2018 beim Jobcenter in Maintal falsche Angaben gemacht und so Sozialleistungen kassiert haben, die ihr nicht zustehen. Für die insgesamt sechsköpfige Familie wurden auf Antrag der Ehefrau jahrelang „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ gezahlt. Allerdings hatte das Ehepaar bereits durchaus andere Wege gefunden, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Der 45-Jährige Ehemann betrieb seit einigen Jahren einen Autohandel mit An- und Verkauf teilweise hochpreisiger Fahrzeuge. Das jedoch gab seine Frau gegenüber dem Jobcenter in Maintal und später in Hanau zu keinem Zeitpunkt an. Und auch die bestehenden Vermögenswerte wie ein Wohnhaus, das 2009 für 70 000 gekauft wurde und nun durchaus an Wert gewonnen haben dürfte, sowie eine Eigentumswohnung ließ die Ehefrau mal eben unter den Tisch fallen.
Als durchaus dreist kann man das Vorgehen der Frau bezeichnen, als beim Jobcenter bekannt wurde, dass ein Steuerverfahren gegen ihren Ehemann läuft. Kurzerhand gab sie an, mittlerweile getrennt von ihm zu leben – und kassierte fleißig weiter Geld vom Amt.
Ihr Mann widmete sich zeitgleich dem Autohandel, kaufte und verkaufte dutzende Fahrzeuge im Zeitraum von mehreren Jahren. Dabei gab er an, die ausländischen Fahrzeuge wieder ins europäische Ausland exportieren zu wollen, um als Verkäufer die fällige Umsatzsteuer zu umgehen. Er selbst trat in vielen offiziellen Dokumenten jedoch gar nicht als Verkäufer in Erscheinung. Stattdessen gab der 45-Jährige unter anderem die Personalien seiner Mutter, des angeblich verstorbenen Vaters und weitere Identitäten an. „Strohmänner“ nennt das die Anklage. Für seine Geschäfte nutzte er demnach mindestens acht angeblich in Rumänien, Ungarn und Polen ansässige Gesellschaften – allesamt nur fiktiv. Die Fahrzeuge wurden mit Ausfuhr- oder ausländischen Kennzeichen versehen, teilweise kurzfristig registriert und anschließend über das Internet in Deutschland verkauft. Ausgaben von knapp über zwei Millionen Euro stehen dabei Einnahmen von über 2,5 Millionen Euro gegenüber – ein gutes Geschäft.
Der deutsche Staat allerdings wusste von diesem Geschäft überhaupt nichts. Denn der Angeklagte zahlte praktisch gar keine Steuern. Weder die Umsatzsteuer für sein Geschäft, noch seine persönliche Einkommenssteuer. Insgesamt soll er dadurch in mehreren Jahren 417 000 Euro hinterzogen haben.
Dazu äußern wollte sich das Ehepaar zum Prozessauftakt nicht. Im Vorfeld hatten die damaligen Pflichtverteidiger, die mittlerweile auf Wunsch der beiden Angeklagten durch die Rechtsbeistände Markus Leonhardt und Volker Augst ersetzt wurden, bereits versucht, eine Einigung mit Staatsanwaltschaft und Gericht zu erzielen. Diese Bemühungen hätten den Prozess deutlich verkürzen können. Denn die Angeklagten hätten sich durchaus geständig gezeigt. Allerdings nur, wenn man sich im Vorfeld auf eine Bewährungsstrafe geeinigt hätte. Und darauf, keinen Wertersatz für den finanziellen Schaden einzuziehen. Konkret geht es dabei um das Haus, das derzeit bereits gepfändet ist. Das jedoch wollen die beiden Angeklagten auf gar keinen Fall hergeben.
Daher könnte es ein Mammutprozess werden. Eine umfangreiche Beweisaufnahme mit vielen Aktenordnern und noch viel mehr Zeugen steht auf dem Programm. Autokäufer, Polizeibeamte und Mitarbeiter des Jobcentersumfasst die Zeugenliste. Alle 124 sollen angehört werden, dafür hat der Vorsitzende Richter Kolja Fuchs jeweils eine Viertelstunde veranschlagt. Allerdings zeigt sich schon zu Prozessbeginn, dass der Zeitplan wohl nicht eingehalten werden kann. Rund ein Drittel der Zeugen könne oder wolle nicht aussagen oder konnte gar nicht erst geladen werden, erklärte Fuchs. Von den neun vorgesehenen Zeugen am gestrigen Dienstag sind bereits nur vier erschienen.
Der Prozess wird fortgesetzt.
Von Michael Bellack