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„Sachen, die die Polizei nicht finden muss“: Ermittler gibt Einblicke

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Von: Thorsten Becker

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Der „Mord ohne Leiche“ beschäftigt das Hanauer Schwurgericht weiter. Der Ton bei der Verhandlung wird rauer

Hammersbach/Maintal/Hanau – Auf einmal sprechen vier Männer durcheinander. Das Verteidiger-Trio und der Rechtsanwalt der Nebenklage machen sich gegenseitig Vorwürfe, Fragen werden gerügt. Dann reicht es der Vorsitzenden Richterin. „Wir können hier auch zusammen singen“, weist Susanne Wetzel die Juristen zurecht – und dann widmet sie sich dem Herrn, der ziemlich gelassen von dem Trubel auf dem Zeugenstuhl sitzt.

Es ist Kriminalhauptkommissar U., der nach dem mysteriösen Verschwinden des 79-jährigen Alojzij Z. im Januar vergangenen Jahres in Langen-Bergheim die Leitung der Ermittlungen übernahm. Er berichtet zuvor, wie aus der Vermisstensache der Mordfall geworden ist, der nun seit Mitte November vor dem Hanauer Schwurgericht verhandelt wird. Auf der Anklagebank sitzt Ralf H., der am Schulzehnten eine Autowerkstatt betrieben hatte. Er soll seinen Vermieter am 21. Januar aus niedrigen Beweggründen getötet und die Leiche an einen bislang unbekannten Ort gebracht haben.

Der Schein trügt: Zum Prozessauftakt im November haben die Verteidiger Johannes Hock, Markus Leonhardt und Dr. Lennart Späth mit Staatsanwältin Lisa Pohlmann noch nett miteinander gesprochen.
Der Schein trügt: Zum Prozessauftakt im November haben die Verteidiger Johannes Hock, Markus Leonhardt und Dr. Lennart Späth mit Staatsanwältin Lisa Pohlmann noch nett miteinander gesprochen. © Thorsten becker

„Mord ohne Leiche“: „Sachen, die die Polizei nicht finden mus“ in Kisten

Der 50-jährige Kriminalbeamte hat als Leiter der Ermittlungsgruppe „Cayenne“ – benannt nach dem zunächst ebenfalls verschwundenen Porsche von Z. – alles zusammengetragen, was er und seine Kollegen herausgefunden haben. So zum Beispiel, dass ein ehemaliger Freund von H. auf die Ermittler zugekommen sei und über „Kisten“ berichtet habe, die der Werkstattinhaber bei ihm untergestellt hat. Es seien „Sachen, die die Polizei nicht finden muss.“

Aber U. und sein Team haben diese „Sachen“ gefunden: Ein Arsenal an Schusswaffen, Munition und Messern. „Ein Buch über Schalldämpfer haben wir übrigens auch gefunden“, sagt der Kriminalhauptkommissar. Und dann sei da noch das schwedische Militärfahrzeug gewesen, das H. offenbar genutzt habe. „Die Leichenspürhunde haben angeschlagen“, berichtet U., schließlich seien auch latente Blutspuren gefunden worden. Der Ermittler ist überzeugt, dass die Leiche von Z. mit diesem Fahrzeug abtransportiert worden ist – wohin, das bleibt bislang ein Rätsel.

„Mord ohne Leiche“: Finanzielle Situation als mögliches Motiv

Auch die zahlreichen Angaben von H. gegenüber dessen Liebschaften seien genau unter die Lupe genommen worden, beispielsweise die Legende, er habe mehrere Jahre bei den Fallschirmjägern gedient. „Herr H. war gar nicht bei der Bundeswehr“, fasst U. die Recherchen zusammen. Bei der Suche nach einem Motiv hat die Hanauer Mordkommission jedoch nicht nur H. unter die Lupe genommen. „Wir haben auch andere Telefonanschlüsse überwacht. Aber es gab keinen Hinweis.“

Auf die Frage, ob Z. sich vielleicht aus freien Stücken abgesetzt haben könne, wird der Ermittler sehr konkret. Der Reisepass des 79-Jährigen sei gefunden worden, zudem habe es auf den Konten des Mannes keinerlei Bewegungen gegeben. Innerhalb eines Monats verdichtet sich jedoch der Verdacht, dass H. etwas mit der Sache zu tun haben könnte. Vor allem der Hinweis auf die jahrelangen Rechtsstreitigkeiten zwischen H. und seinem Vermieter fällt auf. „Es ist die desolate finanzielle Situation von Herrn H. – darin liegt ein plausibles Motiv.“

Prozess in Hanau: Hauptkommissar sagt über Ermittlungen beim „Mord ohne Leiche“ aus

Zudem sei der Hammersbacher bei der Polizei kein unbeschriebenes Blatt. „Wir haben bei uns insgesamt 29 Einträge“, berichtet der Hauptkommissar. Darunter Ermittlungen wegen Körperverletzungen, Bedrohungen, Diebstahls. Sogar ein versuchtes Totschlagsdelikt ist dabei. Doch U. schränkt ein: „Das war wohl eine Streitigkeit mit einem Widersacher, eine Eifersuchtsgeschichte. Aber das Verfahren ist eingestellt worden.“

Nach den Fragen der Kammer sind die drei Verteidiger von H. an der Reihe: Johannes Hock, Markus Leonhardt und Dr. Lennart Späth versuchen abwechselnd, den erfahrenen Beamten ins Kreuzverhör zu nehmen. Dazu gehören auch Suggestivfragen, die bei der Vorsitzenden Richtern nicht besonders gut ankommen. Der Ton wird rauer, die Verteidiger beschweren sich, dass die Kammer ihnen ins Wort fällt. Doch der Versuch, den 50-jährigen Beamten, der weiter alles gelassen beantwortet, zu „grillen“ oder aufs Glatteis zu führen, geht schief. Im Gegenteil. Die Vorsitzende weist Fragen als „nicht relevant“ zurück und verkündet schließlich: „Ich habe keine Lust mehr auf dieses Theater.“

Der Streit könnte auch einen Hintergrund haben: Die Kammer hat den erneuten Antrag der Verteidigung, H. aus der Untersuchungshaft zu entlassen, zu Beginn der Verhandlung abgelehnt. Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt. (Thorsten Becker)

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