Ende nach 140 Jahren: Traditionsmetzgerei schließt - „Man fühlt sich wie ein Angeklagter“

Die Metzgerei Neupert in Maintal-Dörnigheim schließt nach 140 Jahren. Am 31. Januar ist im Main-Kinzig-Kreis eine Ära zu Ende gegangen.
Maintal - Es ist eine Ära, die an der Kennedystraße 54 zu Ende gegangen ist: Die Traditionsmetzgerei Neupert Fleischwaren GmbH hat zum 31. Januar ihre Türen geschlossen. Es sind gleich mehrere Gründe, die die Inhaberfamilie Michaelis zur Geschäftsaufgabe zwingen. Der ausschlaggebende ist sicher, dass es keine Nachfolge gibt.
Aber der Betrieb schrieb, so beliebt die Wurst- und Fleischwaren von Neupert sind, zuletzt auch rote Zahlen. Zudem ist die Geschäftsstelle mittlerweile in die Jahre gekommen. Um die Auflagen des Veterinäramts zu erfüllen, müsste die Metzgerei umgebaut werden. Doch für große Investitionen fehlt das Geld. Hinzu kommen der Fachkräftemangel, der die gesamte Branche trifft, extrem gestiegene Rohstoffpreise und stetig wachsende Behördenauflagen – eine Gemengelage an Herausforderungen, der sich selbst die nächste Nachfolgerin in der Erbfolge nicht gewachsen sieht. Eigentlich war nämlich geplant, dass Lena Michaelis den 140 Jahre alten Betrieb dann in fünfter Generation fortführt. Doch vor der Vielzahl an Problemen zieht es die junge Metzgermeisterin zu ihrem Verlobten in den Raum Nürnberg.
Mit einem eigens gedruckten Flyer haben die beiden Geschäftsführer, die Brüder Reiner und Cliff Michaelis, die Kunden, die nicht nur aus Maintal, sondern auch aus vielen umliegenden Kommunen zum Einkaufen nach Dörnigheim kommen, über die aussichtslose Situation informiert. Der Aufschrei war erwartungsgemäß groß. Immerhin ist es die letzte „handwerkliche Metzgerei“ im Umkreis mehrerer Gemeinden, die aufgibt. Die Betonung des Handwerks ist Reiner Michaelis sehr wichtig. Was er damit meint: Wer bei Neupert einkauft, erhält hochwertige Fleisch- und Wurstwaren, keine Massenprodukte minderer Güte wie im Discounter.
Neupert in Maintal: Seit 1883 gab es die Metzgerei in Dörnigheim
1883 wurde die Metzgerei von Johann Heinrich Flücken und seiner Frau Sophie gegründet. Anna, die Tochter des Metzger-Eherpaares, heiratete 1902 Reiner Michaelis‘ Urgroßvater Wilhelm Neupert und begründete die Dörnigheimer Metzger-Dynastie. Michaelis selbst ist seit 60 Jahren Metzger. „Die Metzgerei früher ist mit der heutigen nicht vergleichbar“, erzählt er. Mittlerweile gibt es nicht mehr nur Fleisch und Wurst. Besonders beliebt bei den Kunden sind auch die nach eigener Rezeptur hergestellten Salate und Grillspezialitäten. Damals, 1963, als Michaelis seine Lehre abschloss, gab es noch acht handwerkliche Metzgereien in Dörnigheim. Jetzt schließt mit Neupert die letzte.
Dass Handwerks- und Familienbetriebe aussterben, ist allerdings kein Maintaler Phänomen. Michaelis kennt einige, denen es ähnlich geht, die ihre Firmen nicht an den Nachwuchs weitergeben können. „Die jungen Leute erleben tagtäglich, was es heißt, ein eigenes Geschäft zu führen. Sie sehen, dass die Eltern nicht 40, sondern eher 70 Stunde die Woche arbeiten“, erzählt er. Azubis bildet die Metzgerei schon lange keine mehr aus. Und andere Ausbildungsbetriebe verschwänden mehr und mehr von der Landkarte, beklagt Michaelis. Er versteht, dass die nachwachsenden Generationen oft andere berufliche Wege einschlagen, weil das Metzger-Handwerk nicht das attraktivste ist. „Es ist immer nass und kalt“, bekennt er.
Metzgerei Neupert in Maintal: Umsätze erholen sich nicht von Corona
Diese Arbeitsbedingungen vertragen sich nicht mit der gesundheitlichen Verfassung der Inhaberfamilie, die in den vergangenen Jahren einige persönliche Schicksalsschläge verkraften musste, allen voran den Tod von Cliffs und Heidruns Sohn Philipp. Die Pandemie hat Familie und Betrieb hart getroffen. Vier Wochen musste die Metzgerei schließen, da nach einem Massenausbruch alle Mitarbeiter in Quarantäne waren. Von dem Einnahmenausfall während der Zwangspause erholte sich das Geschäft 2021 nicht. Dennoch musste Geld investiert werden, um Kunden und Angestellte vor Infektionen zu schützen. Auch 2022 machte der Betrieb Verluste. Die extrem gestiegenen Einkaufspreise für Fleisch und Gewürze und der Trend zum Vegetarismus wirkten sich negativ auf den Umsatz aus.
Rücklagen für Umbauten, die das Veterinäramt fordert, konnte die Metzgerei keine bilden. Rund 150 000 Euro wären nötig, um den Betrieb zu modernisieren. „Drei Viertel des Beanstandungskatalogs haben wir selbst behoben. Der Rest scheitert am Platz. Vieles ist in einem gewachsenen Betrieb wie unserem nicht möglich“, erklärt Michaelis. Die Banken verhielten sich angesichts der Misere, unter der die gesamte Branche leidet, restriktiv bei der Vergabe von Krediten.
Metzgerei Neupert in Maintal: Ausgezeichnete Fleisch- und Wurstwaren waren Aushängeschild
Erschwerend kommt die wachsende Flut an bürokratischen Auflagen und Dokumentationspflichten hinzu. „An uns kleinen Handwerksbetrieb werden dieselben Anforderungen gestellt wie an Großbetriebe, die dafür eigene Sachbearbeiter haben“, beschreibt der Geschäftsführer das Dilemma. Die Kontrollen des Veterinäramts glichen heute ohnehin einem „Durchsuchungsbefehl“: „Früher wurden wir darauf hingewiesen, wenn etwas ausgebessert werden musste. Heute wird jede Ecke mit der Taschenlampe durchleuchtet. Man fühlt sich wie ein Angeklagter.“
Dennoch ist qualitativ an den Neupert-Produkten nichts auszusetzen – im Gegenteil. Fleisch und Wurst werden regelmäßig ausgezeichnet, zum Beispiel von der Gourmetzeitschrift „Der Feinschmecker“. Kein Wunder, dass Inhaber und Mitarbeiter die Ersten sind, die ihre Erzeugnisse genießen. „Wir sind wie eine große Familie, wir essen jeden Tag zusammen“, erzählt Reiner Michaelis.
Metzgerei Neupert in Maintal: „Geordneter Schlussstrich“ statt Insolvenz
Die eigenen Leckereien essen zu können, werde ihm fehlen, genau wie die täglichen Gespräche mit Kunden Mitarbeitern. „Ich werde oft von Kunden gefragt, wo sie zukünftig Fleisch und Wurst kaufen sollen“, sagt er. „Ich habe keine Antwort.“ Er ist 76 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Das Geschäft führt er dennoch bis zum letzten Tag. „Es ist eine starke Belastung, das Lebenswerk nicht weitergeben zu können“, bedauert er den Schritt, den er und sein Bruder jetzt gehen müssen. „Es fällt mir außerordentlich schwer“, sagt er, der mit dem „geordneten Schlussstrich“ einer Insolvenz oder Schließung zuvorkommt. „Wir ziehen lieber jetzt die Reißleine, auch wenn wir sehr traurig und betroffen sind.“
Wie sehr ihm seine Angestellten am Herzen liegen, zeigt, dass er für alle – von der Putzkraft bis zum Metzgermeister – eine alternative Stelle gesucht und gefunden hat, sodass er niemanden in die Arbeitslosigkeit entlassen müsse. „Die Kündigungen waren trotzdem mit vielen Tränen verbunden“, erzählt der Geschäftsführer, der trotz Alter und Krankheit Einkauf und Qualitätssicherung übernimmt und dem Ladenverkauf zuarbeitet. Außerdem ist er es persönlich, der die leckeren Rezepturen kontinuierlich optimiert. „Wenn mir Kunden sagen, dass es ihnen schmeckt, ist das der schönste Lohn für unsere Arbeit. Ich bedauere es, diesen kreativen Beruf aufgeben zu müssen“, sagt er.
Metzgerei Neupert in Maintal: Verhandlungen zum Gebäudeverkauf laufen
So ganz lösen kann er sich daher noch nicht von dem Gedanken an eine Metzgerei auf der Kennedystraße. Muss er vielleicht auch nicht. Denn derzeit ist er mit dem Investor Bücher aus Idstein im Gespräch, der ihm die Metzgerei und die beiden nebenstehenden Gebäude, in denen ein Obst- und ein Toto-Lotto-Laden untergebracht sind, abkaufen will. Dessen Pläne berichtet Michaels aus den laufenden Verhandlungen: alle drei Häuser abreißen und neu bauen. Auch mit der Stadt befindet sich die Familie im Austausch.
Die hat nach eigener Aussage „als präventive Maßnahme eine sogenannte Veränderungssperre für den Bereich zwischen Backesweg, Bahnhofstraße und Kennedystraße“ auf den Geschäftsgang gebracht – mit dem Ziel, „die kleinteilige, inhabergeführte Einzelhandelsstruktur auf der Kennedystraße zu erhalten“. Wenn sich die Stadt mit diesen Plänen durchsetzt, sollen in den drei Gebäuden oben Wohnungen und im Erdgeschoss Einzelhandelsläden entstehen. Einer davon könnte ja eine kleine Metzgerei werden. (Bettina Merkelbach)
In Erlensee (Main-Kinzig-Kreis) war im vergangenen Jahr für die Metzgerei Weilert als Familienbetrieb Schluss. Doch das Geschäft wird weitergeführt.