Die Maintalerin Verena Jaspersen über ihren Weg zurück ins Leben

Vielleicht war es 2020. Vielleicht doch schon 2019. Verena Jaspersen weiß es nicht mehr. Aber irgendwann ist sie da. Eine Verhärtung in der linken Brust, deutlich tastbar, vielleicht zwei, drei Zentimeter groß. Die zweifache Mutter schiebt die Bedenken zur Seite. Ein Milchstau vielleicht. Eine Zyste. Aber Krebs? Dieses Wort will so gar nicht passen. Nicht zu ihr, die schon immer viel Sport treibt, sich gesund ernährt, nicht raucht. „Ich hätte nie gedacht, dass es mich erwischt“, sagt Verena Jaspersen.
Maintal – Die 42-Jährige lässt sich einen Termin bei ihrer Frauenärztin geben. Auch sie ertastet die Verhärtung, gibt jedoch Entwarnung. „Sie sind pumperlgsund“, bekommt Verena Jaspersen gesagt. Sie glaubt es. „Weil ich es glauben wollte“, wie sie heute weiß.
Die Diagnose ist ein Schock
Doch dann, im September 2021, spürt sie ein Stück weiter rechts einen weiteren Knubbel. Es ist ein anderer Gynäkologe, der schließlich Alarm schlägt und Verena Jaspersen zur Mammographie ins Brustzentrum schickt: DCIS, eine Vorstufe von Brustkrebs in den Milchgängen, lautet die erste Diagnose. Doch ihr neuer Gynäkologe findet den Befund nicht schlüssig: „Das CT hat gezeigt, dass mehrere Lymphknoten unter Stress sind. Das passte nicht zusammen.“ Der Arzt überweist Verena Jaspersen an das Markus-Krankenhaus in Frankfurt. Am 2. Dezember, nach einer erneuten Stanzbiopsie, bei der Gewebe aus der linken Brust entnommen wird, gibt es keine Zweifel mehr: Verena Jaspersen hat Brustkrebs; einen invasiven Tumor, der bereits in benachbartes Gewebe eingedrungen ist. Auch vier Lymphknoten sind befallen.
Die Diagnose ist für die gebürtige Regensburgerin ein Schock. „Damit hätte ich einfach nie gerechnet. Niemand in meinem Umfeld hätte das“, sagt sie. Erst vor drei Jahren sind Verena Jaspersen und ihr Mann Kuno mit den beiden neun und sechs Jahre alten Kindern nach Hochstadt gezogen. Sie haben gerade Wurzeln geschlagen, neue Jobs gefunden. Jetzt herrscht Verzweiflung, Angst. „Ich habe mich im Grab gesehen“, sagt die 42-Jährige. „Mir sind tausend Fragen durch den Kopf geschossen: Was gebe ich meinen Kindern noch mit auf den Weg? Welche Vollmachten braucht mein Mann?“, erinnert sich Jaspersen.
42-Jährige entscheidet sich für Amputation der liken Brust
Die Ärzte raten zur Amputation der linken Brust. Die 42-Jährige willigt ein. Sie will das Risiko minimieren, noch ein zweites Mal zu erkranken. Alles andere ist egal. Zunächst will sie keinen Aufbau machen lassen. „Ich habe sowieso kleine Brüste, sodass es gar nicht aufgefallen wäre, wenn die linke Seite fehlt“, sagt sie. Ihre Kinder geben ihr schließlich den Anstoß, doch ein Silikonimplantat einsetzen zu lassen. „Sie sagten mir ‘Mama, du kannst doch nicht nur eine Brust haben“, erzählt Verena Jaspersen und lacht. Ihrem Mann Kuno, mit dem sie seit über 20 Jahren zusammen ist, sei egal gewesen, wie sie sich entscheidet. Er will, dass seine Frau gesund wird – und bleibt.
Den Verlust ihrer Brust verkraftet die zweifache Mutter gut. Sie definiere ihre Weiblichkeit nicht über ihre Brüste, sagt sie. „Aber das ist sehr individuell. Jede Betroffene muss es selbst entscheiden“, weiß Jaspersen. Im Januar, rund einen Monat nach der Diagnose, beginnt die zweifache Mutter mit der Chemotherapie. Die Ärzte wollen so zunächst den Tumor verkleinern.
Nach der Chemotherapie folgt die Operation
Am Morgen vor dem ersten Termin rasiert sich Verena Jaspersen die langen Haare ab. „Mein Sohn und ich haben da gestanden und geheult“, erzählt sie. Von diesem Moment an trägt sie Mütze. Oder Glatze. Eine Perücke, das sei nicht ihr Ding, sagt Verena Jaspersen und schüttelt mit dem Kopf. Schlimmer als der Verlust der Haare sind die körperlichen Folgen der Chemotherapie. An einigen Tagen schafft es die Softwareentwicklerin kaum, die Treppe zur Wohnung im zweiten Stock zu nehmen. Hinzu kommen extreme Übelkeit und Kreislaufprobleme. Im Mai folgt schließlich die OP, in der auch 14 Lymphknoten entfernt werden, sechs Wochen später beginnt die Bestrahlung.
Weil das Risiko, ein weiteres Mal zu erkranken, sehr hoch ist, macht sie eine Antihormontherapie, kombiniert mit einer neu zugelassenen Antikörpertherapie. Einmal im Monat bekommt sie eine Spritze. Das Medikament soll die Bildung oder Wirkung von Östrogenen blockieren und so das Wachstum hormonempfindlicher Tumorzellen verhindern. Zusätzlich muss sie täglich Tabletten nehmen. „Ich bin nicht der Typ, der jahrelang Medikamente schlucken will. Ich bin noch dabei, mit der Therapie meinen Frieden zu machen.“
„Krebs ist ein Thema, das uns alle angeht“
Mitte des Jahres schließt sie sich der Maintaler Selbsthilfegruppe „Frauen nach Krebs“ an. Der Austausch tut gut. Genau wie das Gefühl, mit dem Krebs nicht allein zu sein. Dass sie ihre Geschichte öffentlich macht, ist für Verena Jaspersen wichtig. „Krebs ist ein Thema, das uns alle angeht. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Gesellschaft offen damit umgehen.“
Heute, fast ein Jahr nach der Diagnose, versucht die 42-Jährige, nach vorne zu schauen. Sie sei ein positiver Mensch, der lieber mit einem Lachen in den Tag startet. „Gelassener zu sein, versuche ich jetzt noch mehr“, sagt sie. Heute achte sie mehr auf sich selbst, arbeite nicht mehr Vollzeit, versuche, mehr Zeit mit den beiden Kindern zu verbringen. Und noch etwas gibt es, das Verena Jaspersen nicht mehr aufschieben will. „Ich werde mit meinem Mann einen Tanzkurs machen. Denn unser Hochzeitstanz hat nie stattgefunden“, sagt sie und lacht.
Von Kristina Bräutigam