Maintaler Siebdruckstudio ist deutschlandweit einzigartig

Im Gewerbegebiet Maintal-Bischofsheim bei Hanau wird in der Siebdruckwerkstatt „Print now - Riot later“ eine alte und komplizierte Kunst angewandt.
Maintal – Hunderte kleine schwarze Schwalben zieren den hellen Baumwollstoff, jede mit einem fein geschwungenem Schwanz und winzigem Auge. Ein echter Hingucker, vor allem wenn man weiß: Der Stoff wurde nicht industriell gefertigt – sondern von Hand bedruckt.
Im Gewerbegebiet Maintal-Bischofsheim, versteckt zwischen Speditionen, Autohändlern und Industriebetrieben, betreiben Ellen Wagner und Axel Rössler ihre Siebdruckwerkstatt „Print now - Riot later“. Bis unters Dach stapeln sich Kisten mit Postern und Postkarten, bunte Kissenhüllen und riesige Stoffballen lagern in meterhohen Metallregalen. Der sogenannte Rapportdruck auf Meterware ist die Spezialität der beiden Frankfurter: Große Stoffbahnen werden mit einem Muster ohne sichtbare Unterbrechung gedruckt - ein Verfahren, das deutschlandweit einzigartig ist. „Wir haben das gesamte Internet durchforstet. Aber wir haben keinen anderen Siebdrucker gefunden, der großformatigen Stoffmusterdruck herstellt“, sagt Rössler.
Der Maintaler Siebdruck ist großformatig und individuell
Das hat vor allem zwei Gründe: Für den Siebdruck im XXL-Format braucht es Platz. Und vor allem jede Menge Geduld. „Der Druckvorgang geht eigentlich verhältnismäßig schnell. Was wahnsinnig viel Zeit in Anspruch nimmt, sind die Vorarbeiten“, sagt Ellen Wagner. Für das Design sind die Grafikerin und Illustratorin und ihr Lebensgefährte, der viele Jahre im Bereich 3D und Motion Design gearbeitet hat, gemeinsam zuständig. „Es fängt ganz analog an, indem ich das Motiv auf Papier zeichne“, sagt Wagner und zeigt ihren neuesten Entwurf, einen Jockey, der auf einer Riesenschnecke reitet. Damit aus dem Motiv ein Sieb entsteht, wird es anschließend auf eine Folie übertragen und eingescannt. 1,75 Meter hoch und 1,10 Meter breit sind die größten Siebe. „Die können wir nur zu zweit händeln“, so Wagner.

Die Leidenschaft für den textilen Siebdruck entdecken die beiden Künstler in Amerika. Fünf Jahre leben sie in Tuscon/Arizona. Eine Ausstellung des Textilkünstlers Harwood Steiger ist die Initialzündung. „Wir haben diese bedruckten Stoffbahnen aus den 50er und 60er Jahren gesehen und waren wirklich hin und weg“, erinnert sich Ellen Wagner.
Endlose Stoffbahnen werden in Maintal bei Hanau zu Siebdruck-Kunstwerken
2019 kehren die Künstler schließlich zurück nach Südhessen. Am selbstgebauten, fünfeinhalb Meter langen Drucktisch starten sie die ersten großformatigen Druckversuche auf Stoff. „Es ist etwas komplett Anderes, kleinformatig auf Papier zu drucken oder große Endlosmuster auf Textilbahnen zu bringen“, sagt Rössler. Mittlerweile sind die beiden echte Profis: Sechsmal ziehen sie die Farbe mit dem Rakel über das Sieb, in der Mitte folgt die Übergabe. Jeder Handgriff muss sitzen. „Die größte Herausforderung ist es, gleichmäßig Druck auszuüben“, sagt Ellen Wagner. „Man muss ein Gefühl dafür entwickeln“. Das englische Wort „bold“, was so viel bedeutet wie kräftig, fett gedruckt, beschreibe ihren Stil am besten.

Außerdem unverkennbar: Die Vorliebe für das Design des Mid Century. „Die 50er und 60er Jahre sind eindeutig unsere Lieblingsjahrzehnte“, so Rössler. Und nicht nur abstrakte Eichhörnchen, Hasen und Katzen, das Lieblingstier der beiden Frankfurter, finden sich immer wieder. Die beiden Künstler haben auch der heimischen Apfelweinkultur eine Produktreihe gewidmet: Äpfel und Mispeln zieren Kissenhüllen und Stoffbahnen, ebenso das Goldrautenmuster, eine Anspielung auf den Schliff des Gerippten. „Wir nennen es Stöffsche zum Stöffsche, also quasi der passende Augenschmaus zum Schoppenpetzen“, so Rössler.
Die Siebdrucke aus Maintal sind schnell vergriffen
Aktuell sind die „Stöffsche“ ausverkauft. Sobald es die Zeit zulässt, werden Ellen Wagner und Axel Rössler nachdrucken. Ihre Stoffe industriell herstellen zu lassen, kommt für die beiden Frankfurter nicht in Frage. Sie wollen sich abheben von der schnelllebigen und billigen Massenproduktion. „Unsere Arbeit ist am Ende auch ein Statement. Und eine Liebeserklärung an das Handwerk des Siebduckens, das unbedingt weiterleben soll“, sagt Ellen Wagner. All die Arbeit lohne sich ohnehin spätestens, wenn das Sieb geliftet und der finale Druck sichtbar wird. „Dann freuen wir uns auch heute noch jedes Mal wie kleine Kinder.“ (Kristina Bräutigam)
In Maintal nahe Hanau leben kleine Spezialgeschäfte weiter. So auch die Drum Station in der Karlstraße.