Erster Hochstädter Winzerverein feiert 35-jähriges Bestehen

Wein wird in Hessen meist aus Äpfeln gemacht. Es gibt allerdings auch einige ehemalige Weinbau-Gemeinden, die das Brauchtum des Rebensafts bis heute lebendig halten. Dazu zählt Hochstadt, das in diesem Jahr das 35-jährige Bestehen seines Winzervereins feiert. „Wir haben mit wenigen Weinen angefangen“, erzählt Gründungsmitglied Rainer Harmuth.
Maintal - Die Weinliebhaber sehen sich in bester Tradition des historisch verankerten Weinbaus. Aus den Jahren 819 und 846 stammen die ältesten Urkunden, die auf den Anbau von Trauben hinweisen. „Hochstadt lebte viele Jahrhunderte von der Landwirtschaft und dem Weinbau“, berichtet Harmuth. Hauswände, mit kleinbeerigen Rotweintrauben bepflanzt, zeugen an vielen ehemaligen Bauernhöfen noch von der Weinbautradition. Auch Straßennamen wie Wingert- und Weinbergstraße und das Schützenhäuschen oberhalb von Hochstadt auf der Hartig sind Wahrzeichen, die an die einstige Weinbauregion zwischen dem Berger Hang und Hanau erinnern.
Bis 1916 dominierte der Weinbau in Hochstadt
Nach dem Ersten Weltkrieg verdrängte die Industrie Landwirtschaft und Weinbau. 1916 wurde der letzte Weinberg hinter der Ringmauer gerodet. In der Folge gewannen Apfelbäume für Ebbelwoi die Oberhand. Streuobstwiesen wurden auf den ehemaligen Weinbergen kultiviert.
Erst gut 70 Jahre später tat sich eine Handvoll Hochstädter zusammen, die sich dem Brauchtum verpflichtet fühlte und eine Renaissance des Weinbaus in Maintal einläutete. Mit der Gründung des Ersten Hochstädter Winzervereins ließen 17 Hobbywinzer die Tradition des alten Weinbaugebiets und über tausend Jahre alten Kulturguts ihrer Heimat wieder aufleben. „Tatsächlich ist der Verein aus einer Weinlaune heraus entstanden. Mit 77 Rieslingreben haben wir angefangen“, erzählt Renate Fromm, die die Chronik des Vereins aufschreibt. „Daher war der Ertrag anfangs auch überschaubar und wurde in Mikrofuder gemessen.“
Weinbau in seiner natürlichsten Form
Dabei ist den Hobbywinzern besonders wichtig, die ursprüngliche, naturbelassene Herstellung des Rebensaftes zu praktizieren. „Wein nach Art des Großvaters, unverfälscht, so wie er gewachsen ist“, so ist es bis heute in der Satzung des Vereins zu lesen. Mit diesem Erfolgsrezept haben die Hobbywinzer, die sich in ihrer Freizeit autodidaktisch in Sachen Weinbau auf dem neuesten Stand der Technik halten, dem „Roten Hochstädter“ zu großer Bekanntheit verholfen.
Die aus den USA stammende rote Traube wächst in Hochstadt an vielen Fassaden, Pergolen und Garagenwänden und ist laut amtlicher Aussage eigentlich gar nicht zur Weinherstellung geeignet. Die Hochstädter Winzer sehen das jedoch anders – und haben viele Weinliebhaber von dem charakteristischen roten Tropfen überzeugt. Mittlerweile werden in Hochstadt zehn Rebsorten angebaut. Vom Riesling über den Cabernet Cortis und Dornfelder bis hin zu Silvaner und Regent ist das Repertoire über die Jahre hin sprichwörtlich gewachsen. Damit man nur das absolut notwendige Maß an „Chemie“ verwenden muss, setzen die Winzer auf pilzresistente, robuste Rebsorten. „Trotzdem: Ganz ohne zu spritzen kommen wir nicht aus“, bekennt Rainer Harmuth.
Wiederbelebung auf Garagendächern
Die Rückbesinnung auf die Natur und der „Do-it-Yourself“-Ansatz war und ist auch für junge Leute attraktiv. 117 Mitglieder zählt der Verein heute. Einen eigenen Weinberg muss man nicht haben, auch keinen Garten oder ein Garagendach, auf dem man Reben anbauen kann. Als Rebstock-Pate kann man die Patenschaft für einen Rebstock auf dem vereinseigenen Weinberg „Hoher Rain“ übernehmen. Das Grundstück oberhalb von Hochstadt in Richtung Bischofsheim hat der Verein seit 1992 gepachtet. Aber die ersten Weinberge der neuen Winzer-Generation entstanden tatsächlich auf heimischen Garagendächern und wurden von den ersten Tropfen an vom MAINTAL TAGESANZEIGER begleitet.
Diese für einen Winzerverein durchaus ungewöhnliche Anbauweise hat dem ersten Neubau-Wein den Namen „Garagenblick“ eingebracht.
Verein renovierte Winzerhof in Bischofsheimer Straße
Die Rebstock-Patenschaft eröffnet Weinliebhabern die Möglichkeit, sich rund um das Jahr um den Rebstock zu kümmern und die Trauben auf dem Weg bis ins eigene Glas zu begleiten. Wie das genau funktioniert, das weiß der Kellerausschuss, der unter fachmännischer Leitung der Kellermeister Ingo Bujok und Alf Steinbrecher alle Kellerarbeiten übernimmt. Beteiligen kann sich bei der Arbeit allerdings jedes Vereinsmitglied.
Das Kelterhaus, in dem alle erforderlichen Utensilien vorhanden sind, befindet sich seit 2009 wie die Winzerstube und die Kellerwirtschaft auch im Winzerhof in der Bischofsheimer Straße in Hochstadt, den die Vereinsmitglieder selbst renoviert haben. Bis 2008 war der Strohl’sche Hof in der Altkönigstraße Domizil der Hochstädter Winzer gewesen.
Weinmajestät muss keine Königin sein
Neben der eigentlichen Erstellung des Weines pflegt der Winzerverein eine ganze Reihe weiterer Traditionen. So kürt der Verein im Rhythmus von ein bis zwei Jahren eine Weinkönigin, die den Hochstädter Weinbau repräsentiert und übrigens nicht zwingenderweise weiblich sein muss. Bettina I., mit bürgerlichem Namen Bettina Weber, füllt dieses Amt seit 2019 aus. Derzeit wird eine neue Majestät gesucht. „Bettina würde das Amt allerdings auch noch ein weiteres Jahr übernehmen“, ist sich „Königinnenfinder“ Manfred Ritz sicher.
Mit dem Federweißen-, dem Rebenblüten-, dem Frühlingsfest und dem Hexenfeuer hat der Verein fixe Termine im Jahr, zu dem der selbst gekelterte Wein an die Gäste ausgeschenkt wird. Dabei können die Hochstädter in diesem Jahr aus dem Vollen schöpfen. Denn der Wein sei reichlich und von hoher Qualität, ist sich der Vorstand einig. Die Vereinsmitglieder freuen sich auch jedes Jahr auf einen mehrtägigen Ausflug in ein bekanntes Weinbaugebiet.
Jubiläumsfeier im kleinen Kreis
Anders als die meisten Vereine können sich die Hobbywinzer über fehlenden Nachwuchs nicht beschweren. In der jüngsten Vergangenheit seien einige jüngere Mitglieder dazugekommen. „Wir haben so viele Mitglieder wie nie zuvor“, berichtet Renate Fromm. Gefeiert wird das Jubiläum dennoch im kleinen Kreis im neuen Jahr.
Und wie steht es heute mit der Liebe zum ebenfalls in Hochstadt beheimateten Äppler? „Wir hatten früher mal in der Satzung stehen, dass Mitglieder ausgeschlossen werden, wenn sie dem Ebbelwoi verfallen“, lacht Manfred Ritz.
„Aber das war tatsächlich nur ein Gag“, fügt er hinzu. „Wir trinken alle auch mal gerne einen Äppler oder bei der Arbeit ein Bier.“
Von Bettina Merkelbach

