Helfen fünf Fussel beim Puzzle? LKA-Expertin liefert erstaunliche Fakten im Mordfall vor dem Hanauer Landgericht

Aus kleinsten Partikeln kann sie Fakten schaffen: Im Prozess um den „Mord ohne Leiche“ hat eine Expertin des Landeskriminalamts ein wichtiges Mosaiksteinchen geliefert.
Hammersbach/Maintal/Hanau – „Es ist wie ein Puzzlespiel.“ So bewertet die Vorsitzende Richterin Susanne Wetzel den derzeitigen Stand im Indizienprozess um das mysteriöse Verschwinden des 79-jährigen Alojzij Z. im Januar vergangenen Jahres. Bis lang haben einige Puzzleteile zusammengepasst, einige eher nicht. Die Frage, ob Ralf H. (58) seinen Vermieter kaltblütig ermordet hat, ist bislang unbeantwortet. Nun hat die Schwurgerichtskammer am Landgericht Hanau ein weiteres Puzzleteil unter die Lupe genommen – besser gesagt: unter ein Spezialmikroskop.
Es ist ein Indiz, das besonders wichtig sein könnte. Denn es ergeben sich starke Hinweise darauf, wer den Porsche Cayenne von der Autowerkstatt in Hammersbach-Langen-Bergheim nach Maintal-Bischofsheim gefahren und dort abgestellt hat. Bislang hat die Kammer nur Videos aus Überwachungskameras im Bereich der Bruno-Dreßler-Straße gesehen. Aber darauf ist nicht eindeutig zu erkennen, ob es H. gewesen ist, der den Luxus-Sportwagen von Z. dort hingebracht hat.
Daher ist es an diesem Morgen Angelika Schwetz, die ein weiteres Indiz liefert. Diesmal aus dem Mikrokosmos der kriminalistischen Wissenschaft. Schwetz kommt vom Fachbereich Textilkunde des Hessischen Landeskriminalamts in Wiesbaden (LKA). Umgangssprachlich könnte man dies so beschreiben: Diese Frau kennt sich mit Fusseln, Flusen, Stoffen und Bekleidung bestens aus. Das hat Schwetz bereits 2019 vor dem Hanauer Schwurgericht bewiesen, als sie im Prozess um den Schönecker „Pferdehofmord“ entscheidende Beweise lieferte. Ob es im Mordprozess gegen Ralf H. nun genauso ist, müssen am Ende die fünf Richter entscheiden.
Denn Schwetz hält sich in ihrem Gutachten an Fakten, die nicht mehr mit bloßem Auge zu erkennen sind. „Es kommt bei den Fasern auf Dichte, Fluoreszenz, Querschnitt und Farbe an“, sagt die Wissenschaftlerin, die für ihre Untersuchungen in den LKA-Laboren auf Mikrospektralfotometrie setzt. Im Fall von Alojzij Z. hat sie die Textilspuren aus dem in Bischofsheim verlassen vorgefundenen Cayenne untersucht – und mit einem großen Berg von Arbeitshosen aus der Hammersbacher Autowerkstatt verglichen. Darunter Latz-Arbeitshosen, die H. getragen haben soll, sowie die seiner Angestellten. „Blaumann“ wird diese Berufskleidung genannt. „Die bestehen meist aus 65 Prozent Polyester sowie 35 Prozent Baumwolle“, sagt Schwetz, die insgesamt fünf Fasern vom Fahrersitz des Porsche sichert und analysiert.
„Rund zwei Wochen“ habe diese Fussel-Analyse in Anspruch genommen. Doch dann kommt die LKA-Expertin zu einer eindeutigen Aussage: „Die Spuren vom Fahrersitz sind übereinstimmende Fasern, die nur in der blau-schwarzen Latzarbeitshose der Spur mit der Nummer 5.66 verarbeitet sind.“ Diese Spur führt zu Ralf H., der diese Hose getragen haben soll. Also könnte er auch derjenige gewesen sein, der den Porsche von Hammersbach nach Maintal gefahren hat. Warum? Um eventuell Spuren zu verwischen?
Fest steht, dass die Schwurgerichtskammer wohl noch viele Puzzleteile zusammensetzen muss, um ein komplettes Bild zu bekommen. Daher haben die Richter sogar gleich 15 weitere Verhandlungstermine anberaumt. Das bedeutet, dass sich das Verfahren um den Mord ohne Leiche bis Ende September hinziehen und zu einem weiteren Mammutprozess werden könnte.
So lange könnte Ralf H. weiter hinter den Gittern der Untersuchungshaft ausharren. Denn einen entsprechenden Antrag seiner drei Verteidiger, den Haftbefehl gegen den 58-Jährigen aufzuheben, hat die Schwurgerichtskammer inzwischen abgelehnt.
Von Thorsten Becker