Keine Vorstandskandidaten, fehlender Zusammenhalt: Traditionsverein muss sich auflösen

Blätter liegen auf der Anlage der Maintaler Eisstockschützen, Unkraut sprießt durch die Kunststoffplatten. Im Vereinsheim, vor der holzvertäfelten Wand mit alten Fotos, Urkunden und Wandtellern, sitzen Erwin Henkel und Gerlinde Böff. „Was war das früher eine Puppenstub’. Jetzt sind die Fenster dreckig, die Hecken nicht geschnitten. Schlimm, wie’s ausschaut“, sagt Böff traurig.
Seit 1988 gibt es den Eisstockschützenverein Maintal. Doch Ende des Jahres ist Schluss: Weil sich bei der Mitgliederversammlung Mitte Juni niemand bereit erklärt, für eine der acht Vorstandspositionen zu kandidieren, wird der Verein Ende des Jahres aufgelöst. „Es ist schon sehr schade“, sagt Erwin Henkel, der seit 1993 Vorsitzender des Vereins ist. Viele seiner Vorstandskollegen seien wie er über 80 Jahre alt und einige gesundheitlich angeschlagen, fast alle mehr als ein Jahrzehnt im Amt. Dass die jüngeren Mitglieder der Mitgliederversammlung einfach fern geblieben sind, hat ihn enttäuscht.
„Aber es war abzusehen“, sagt der 86-Jährige. Die Mitgliederzahl sei seit Jahren rückläufig. 49 sind es um die Jahrtausendwende, zuletzt zählt der Verein 29 Mitglieder. Dazu komme der immense bürokratische Aufwand, so Henkel. „Wir müssen dieselben Anforderungen erfüllen wie die Frankfurter mit ihrem Riesenverein. Das will keiner machen.“

Dann kommt Corona. Nicht nur das Training muss aufgrund der behördlichen Anordnung eingestellt werden, auch gesellige Aktivitäten finden nicht mehr statt. Als endlich Lockerungen beschlossen werden, hofft der Vorstand, dass sich das Gemeinschaftsgefühl wieder einstellt. Doch es kommen nur wenige Mitglieder zum wöchentlichen Training auf die Anlage beim FSV Bischofsheim, kein einziges Mal haben sich die Eisstockschützen seitdem im Vereinsheim getroffen. „Dabei hat genau das unseren Verein ausgemacht“, erzählt Gerlinde Böff und blättert in einem der Fotoalben. 34 Stück hat sie zu Hause, vollgepackt mit Erinnerungen an bessere Zeiten. Die Fotos zeigen die Mitglieder beim gemeinsamen Grillen an der Bahn, beim Training oder auf einem ihrer vielen gemeinsamen Ausflüge quer durch die Bundesrepublik. „Das war ein super Verein. Aber durch Corona ist alles kaputtgegangen“, sagt die 83-Jährige, die wie Erwin Henkel zu den Gründungsmitgliedern gehört.
Was bleibt, ist die Erinnerung: an die ersten Spiele auf dem zugefrorenen Gänsseeweiher, an die Einweihung der eigenen Bahn am Kerbsonntag 1989, an die Mannschaft um Robert Kobella, Werner Keller, Ferdi Böff, Jürgen Gottwald und Peter Göring, die 2009 sogar in der zweiten Bundesliga spielt, an Weihnachtsfeiern und Heringsessen. Sogar eine Damenmannschaft mit mehr als zehn Frauen stellt der Verein zwischenzeitlich.
Der Verein habe es nicht geschafft, Nachwuchsspieler zu gewinnen, sagt Erwin Henkel. Dabei sei Eisstockschießen, das vor allem im Alpenraum sehr populär ist, eine tolle Sportart, die das ganze Jahr an der frischen Luft betrieben werden kann. Noch heute jucke es ihm in den Fingern, wenn jemand den Eisstock zum Gleiten bringt. Selbst heben kann der Dörnigheimer das bis zu 5,7 Kilo schwere Sportgerät, das aus einem Metall-Stockkörper, verschiedenen Laufsohlen und dem Stiel besteht, nicht mehr. Eins ist ihm trotzdem wichtig: „Man muss keine Muskelberge haben, um mitzuspielen. Mit der richtigen Technik kann man einiges wettmachen“, sagt Henkel und knipst das Licht im Lagerraum an.
Hier stehen die bunten Eisstöcke der Mitglieder, direkt daneben stecken die Platten aus Kunststoff. Die verschiedenen Farben signalisieren die Härtegrade, erklärt Erwin Henkel. „Je weicher die Platte, desto langsamer läuft der Eisstock.“

Auch für die nächste Feier steht eigentlich alles bereit: Die Bierkrüge mit Logo und eingraviertem Mitgliedsnamen im Zinndeckel, ein großer Blümchen-Kochtopf aus Emaille, daneben ein Stapel Dosen mit Bohneneintopf. Ob die Maintaler Eisstockschützen in den nächsten Monaten noch einmal zum Essen zusammenfinden, Gerlinde Böff zuckt mit den Schultern. Zumindest am 4. Dezember wird es ein Treffen geben. Es ist der Termin für die Weihnachtsfeier, in deren Rahmen die Auflösung des Vereins entschieden wird. „Wir werden zurückblicken, dann gibt es einen Grund zu feiern“, sagt Henkel.
Dass der Verein bald Geschichte ist, daran gebe es nichts zu rütteln. Doch es besteht immerhin die Hoffnung, dass die Sportart in Maintal erhalten bleibt. „Wir sind im Gespräch mit Vertretern der Turnerschaft Bischofsheim und hoffen, dass dieser Verein in Zukunft Eisstockschießen anbieten kann“, so Henkel. Der Eisstockschützenverein habe dafür bereits seine Satzung geändert. Nun bleibt abzuwarten, ob die Stadt einer unentgeltlichen Übergabe der vereinseigenen Anlage zustimmt, sagt der 86-Jährige. „Dann wäre es nicht komplett vorbei mit dem Eisstockschießen in Maintal.“
Von Kristina Bräutigam