Mord ohne Leiche: Freund des Angeklagten berichtet von Militärleidenschaft

„Vielleicht war ich etwas naiv“, sagt M. nach etwas mehr als zwei Stunden auf dem Zeugenstuhl im Saal 215a des Landgerichts Hanau. Die Vorsitzende Richterin Susanne Wetzel hatte ihn da bereits ausführlich zu seiner Freundschaft zum Angeklagten Ralf H. befragt – und war noch lange nicht fertig.
Maintal/Hammersbach – Doch M.’s Bemerkung fasst zu diesem Zeitpunkt bereits den Gesamteindruck der Freundschaft zusammen, aus der M. als Verlierer hervorgeht. „Sie sprechen von einem Geben und Nehmen“, sagt Wetzel, „das Geben sehe ich bei Ihnen, aber das Nehmen noch nicht.“ Denn Zeuge M. berichtet ausführlich und wortfreudig über die Freundschaft zu Ralf H. Beide verbindet eine tiefe Leidenschaft für Militärfahrzeuge, die M. gemeinsam mit dem Angeklagten in dessen Werkstatt in Hammersbach restauriert hat. Stundenlang haben die beiden geschraubt, oft bis tief in die Nacht. „Das war für mich Entspannung, ich habe eine Menge gelernt“, sagt M. Die Fahrzeuge, an denen geschraubt wurde, gehörten ihm. Elf an der Zahl, schwere Militärfahrzeuge aus Schweden, Quads und Anhänger.
Eines dieser Fahrzeuge könnte im Fall um den spurlos verschwundenen Alojzij Z., dem Vermieter von Ralf H., eine entscheidende Rolle spielen. Denn in dem Militär-Volvo wurden Blutspuren gefunden, die Alojzij Z. zugeordnet wurden. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Ralf H. das Fahrzeug genutzt hat, um die Leiche verschwinden zu lassen.
Auch wenn M. das Fahrzeug gehört, sitzt er aber im Zeugenstuhl und nicht auf der Anklagebank. Dass er etwas mit dem Verschwinden von Alojzij Z. zu tun hat, davon ist nicht auszugehen. Denn die Fahrzeuge, die er und der Angeklagte gemeinsam in der Werkstatt repariert haben, wurden wohl vornehmlich von Ralf H. genutzt. Natürlich mit dem Einverständnis seines Freunds M., wie dieser betont. Ob und wieviel Ralf H. mit den Fahrzeugen fuhr, hielt M. zumindest grob mit dem Kilometerstand fest. „Ich habe sie ihm ohne Einschränkungen zur Verfügung gestellt“, sagt er. Letztlich war es ihm auch egal, denn er hatte so viel Spaß am Schrauben mit H., dass er in der Freundschaft der beiden den Löwenanteil des Gebens übernahm.
Unter anderem lieh er Ralf H. mehrfach Geld in Höhe von mehreren Zehntausend Euro. Zurück bekam er nur einen kleinen Anteil. Dass die wirtschaftliche Situation des Angeklagten „ziemlich knapp war“, sei ihm bewusst gewesen. Doch das Vertrauen in seinen Freund war groß, die finanziellen Auslagen hätten ihn nicht unbedingt gestört. Als überaus hilfsbereiten Menschen beschreibt Richterin Wetzel ihn. Vielleicht, so könnte man denken: etwas zu blauäugig.
Denn neben dem Auto, in dem Blutspuren gefunden wurden, könnte der Angeklagte seinem Freund noch weiteren Ärger eingebracht haben. Neben dem Mordvorwurf sind in der Anklageschrift auch Straftaten nach dem Waffen- und dem Kriegswaffenkontrollgesetz gelistet. Ein regelrechtes Arsenal an Feuerwaffen habe Ralf H. besessen – gefunden wurden diese aber auf dem Grundstück von M. Das sei für M. „schockierend und erschreckend“ gewesen. Denn er habe zwar eine Leidenschaft für Militärkleidung- und Fahrzeuge, mit Waffen habe er nie etwas zu tun gehabt. „Waffen sind für mich kein Thema“, sagt er. Ihn fasziniere an Militärfahrzeugen die Technik. Bei Ralf H. – so ist davon auszugehen – war die Leidenschaft für Waffen deutlich ausgeprägter und konkreter.
Weniger Leidenschaft dürfte H. für die Untersuchungshaft empfinden, in der er sich seit Januar 2021 befindet. Den Haftbefehl wollen seine Verteidiger um Johannes Hock aufheben lassen, wie sie zu Beginn der Verhandlung beantragten. Die bisherige Beweisaufnahme habe die Annahme der Staatsanwaltschaft, dass H. den Porsche Cayenne von Alojzij Z. in Maintal abgestellt habe, entkräftet.
Weder von Zeugen noch auf einer Videoaufzeichnung sei der Angeklagte zu identifizieren gewesen. „Nach derzeitiger Beweislage ist eine Verurteilung nicht möglich und auch nicht wahrscheinlich. Es besteht kein dringender Tatverdacht“, ist Hock überzeugt. Staatsanwältin Lisa Pohlmann wird nun schriftlich dazu Stellung nehmen.
Von Michael Bellack