Nachts schweigt die Glocke in der Alten Kirche

Maintal. Glocken gehören zum kirchlichen Leben wie das Amen zum Gebet. Einst strukturierten sie den Tagesablauf, riefen die Menschen aus dem Bett, an den Tisch, zum Gebet. Das hat sich längst geändert. Geblieben ist das Läuten.
Von Martina Faust
Für viele gehört es zu den vertrauten und lieb gewonnenen Alltagsgeräuschen. Aber nicht für alle – wie etwa in Dörnigheim.
Wann in der Alten Kirche am Main in Dörnigheim zum ersten Mal ein Glockenschlag zu hören war, dieses historische Datum „verliert sich im Dunkel der Geschichte“, erklärt Pfarrer Dr. Martin Streck. Die Kirche selbst wurde im achten Jahrhundert errichtet, über den Einzug der Glocken muss man hingegen spekulieren.
„Aus dem Spätmittelalter ist eine Geschichte bekannt, derzufolge ein Lutheraner ein Glockenseil geschenkt haben soll“, erzählt Streck. Dafür braucht es natürlich auch eine Glocke. Verlässlich verbrieft ist das jedoch nicht. „Aber seit 1870 ein neuer Kirchturm errichtet wurde, hat es immer drei Glocken gegeben“, berichtet er. Zwar seien im Ersten Weltkrieg zwei Glocken entfernt und eingeschmolzen worden, doch nach Kriegsende wurden die fehlenden Glocken ergänzt und nach dem Zweiten Weltkrieg, 1951, drei neue installiert. Seitdem wissen die Dörnigheimer, was die Stunde geschlagen hat. Zumindest am Tag. Denn nachts schweigen die Glocken.
Hintergrund ist, dass sich ein Anwohner durch die nächtlichen Glockenschläge gestört fühlte. Die Evangelische Kirchengemeinde Dörnigheim tauschte sich daraufhin mit dem Landeskirchenamt aus und entschied im Sinne eines friedlichen nachbarschaftlichen Miteinanders, die Glocken künftig in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr nicht die Viertelstunden und Uhrzeiten schlagen zu lassen.
Der Dörnigheimer Pfarrer erzählt die Hintergründe ohne Schärfe, ohne Kritik, ohne Bedauern, ohne Unverständnis. Vielmehr sieht er darin einen Ausdruck der veränderten Stellung, die Kirche und Religion heute in der Gesellschaft einnähmen. „Früher gab es keine Uhren. Die Menschen richteten sich nach der Kirchturmuhr. Sie strukturierte den Tagesablauf. Diese Funktion entfällt heute. Auch ist die Welt längst nicht mehr so still wie damals. Wir möchten schließlich nicht flächendeckend das Land beschallen“, erzählt Dr. Streck.
Stattdessen setzte die Gemeinde auf das Gespräch und einen wohlwollenden Kompromiss. „Manchen mag es fehlen, anderen war es vielleicht auch zu laut“, sagt Streck. Zumindest hat es seitdem, also seit etwa drei Jahren, keine Beschwerden mehr gegeben. Seitdem setzt das sogenannte Zeitläuten erst morgens um 6 Uhr wieder ein. Dann schlägt die Glocke alle Viertelstunde sowie zur vollen Stunde die Uhrzeit. Hinzu kommt das liturgische Läuten, etwa zu Gottesdiensten und kirchlichen Festen.
Pfarrer der anderen Maintaler Kirchengemeinden reagierten erstaunt. Klagen über die Kirchenglocken sind ihnen fremd. „Vielleicht, weil die Bevölkerung hier ländlicher ist“, mutmaßt Wachenbuchens Pfarrer Jost Häfner. Denn auch dort gibt es das viertelstündliche Zeitläuten. 24 Stunden am Tag. Ebenso wie im benachbarten Hochstadt. Auch wenn Uwe Rau durchaus in Sachen Glocken kontaktiert wird. „Wenn die Glocken mal nicht schlagen, dann melden sich die Hochstädter. Für sie gehören die Glocken offensichtlich zum Leben dazu und sie können auch nachts gut damit schlafen“, erzählt Rau von der evangelischen Kirchengemeinde des Stadtteils.
Das kann Pfarrer Stephan Becker von der katholischen Pfarrei St. Edith Stein nur bestätigen. Drei Kirchen gehören ihr an: St. Bonifatius in Hochstadt, Maria Königin sowie Allerheiligen in Dörnigheim. Nur die beiden letztgenannten Kirchen verfügen überhaupt über Glocken, „die allerdings keinen Stundenschlag haben“, wie Becker mitteilt. „Allerdings ist in der Hasengasse die Uhr defekt. Da haben dann Bürger angerufen, weil das vertraute Läuten ausbleibt“, berichtet Becker und meint damit vor allem das Angelus-Läuten morgens, mittags und abends.
Auch in Bischofsheim gibt es das Signal für die Uhrzeit gar nicht – weder in der evangelischen noch in der katholischen Kirche St. Theresia. Nur das liturgische Läuten und das Angelus-Läuten, das zum Gebet aufruft. „Ich erinnere mich an einen Anrufer, der sich erkundigte, wie oft unsere Glocken läuten. Aber das ist schon Jahre her und war ein Einzelfall“, erzählt Klüh, der die Beschwerde in Dörnigheim nicht nachvollziehen kann. „Wenn sich jemand über die Kirchenglocken beschwert, dann habe ich kein Verständnis dafür. In Oberammergau, wo wir im Sommer zu Besuch waren, schlagen die Glocken alle Viertelstunde. Das hört man nach einer Woche gar nicht mehr“, findet er.