Prozess um Mord ohne Leiche: Augenzeuge sagt aus - Hat er das Opfer zuletzt lebend gesehen?

Die Aussage eines Zeugen im Prozess um einen Mord ohne Leiche in Hanau lassen nur zwei Schlüsse zu: Entweder täuscht sich der Mann – oder er sieht das Opfer zuletzt lebend.
Maintal/Hammersbach /Hanau – Es sind am 21. Januar 2021 exakt 14 Minuten, in denen Herr L. zum Augen- und Ohrenzeugen wird. An die genaue Zeit kann sich der 53-Jährige nicht mehr genau erinnern. Aber es gibt die Videoaufzeichnung aus einer Überwachungskamera. Um exakt 12.15 Uhr fährt er mit seinem Lastwagen auf den Hof der Autowerkstatt, um 12.29 Uhr verlässt er das Gelände am Schulzehnten in Langen-Bergheim wieder.
Diese 14 Minuten könnten zu einem der wichtigsten Puzzleteile in dem Indizienprozess werden. Denn der Brummi-Fahrer kennt Ralf H., der seit November vergangenen Jahres unter Mordverdacht auf der Anklagebank vor dem Hanauer Schwurgericht sitzt. H. soll seinen 79-jährigen Vermieter Alojzij Z. an diesem Wintertag getötet und dessen Leiche anschließend an einen unbekannten Ort gebracht haben.
Mordprozess in Hanau: Zeuge hört laute, dumpfe Schläge und Gestöhne
Was L. am Mittwoch in seiner mehrstündigen Vernehmung aussagt, lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder hat sich der Mann getäuscht, oder er ist wirklich derjenige, der Z. zuletzt lebend gesehen hat – und sogar zum Zeugen des Verbrechens geworden ist. Das Auto von Z., ein schwarzer Porsche Cayenne, habe auf dem Hof gestanden. „Ich wollte am Mittag ein Angebot abholen, doch H. war nicht da. Also bin ich ins Büro gegangen und habe gewartet.“ Kurz drauf sei der Werkstattbesitzer aufgetaucht. In Begleitung eines „älteren schmalen Mannes mit grauen Haaren“. Beide seien um das Gebäude herumgelaufen. Einen Streit zwischen den beiden Männern habe er nicht mitbekommen. „Den älteren Mann habe ich danach aber nicht mehr gesehen.“
Kurz darauf macht L. eine weitere Wahrnehmung, die er zunächst nicht einordnen kann. „Es hat gepoltert. Es gab laute, dumpfe Schläge und Gestöhne. Ich dachte an schwere Sachen und fragte mich: Was machen die da?“ Doch L. hat nicht länger Zeit, darüber nachzudenken. Denn das Gepolter habe nur wenige Minuten gedauert. Dann sei H. im Werkstatt-Büro aufgetaucht. Mit einer Gießkanne in der Hand. „Er war – wie immer – hektisch und sagte mir, er habe keine Zeit, weil der Schrotthändler da sei.“ Außerdem habe einer seiner Hunde in die Wohnung gepinkelt. „Er gab mir das Angebot und ich bin in meinen Laster eingestiegen . . .“ Um 12.29 Uhr fährt L. vom Hof.
Mordprozess in Hanau: Angeklagter bittet Zeugen um Alibi
Erst als H. einen Monat später unter dringendem Tatverdacht verhaftet wird, dämmert es L., der sich bei einem Mitarbeiter der Werkstatt rückversichert. „Der sagte mir, dass gar kein Schrotthändler da gewesen sei.“ Dann wendet sich der Mann an die Polizei. Und die Ermittler notieren in ihren Vernehmungsprotokollen noch eine sehr interessante Begegnung, die L. am Mittwoch bestätigt. Nur drei Tage später taucht H. am Sonntagmittag bei L. daheim auf und bittet um ein Gespräch.
„Er sagte mir, dass Z. verschwunden sei und fragte mich, was ich an diesem Tag gesehen habe. Ich antwortete, dass ich nur den Schrotthändler gesehen habe.“ Daraufhin habe H. ihm berichtet, dass er mit seinem Vermieter „Ärger“ habe und dass er nicht in „diese Sache hineingezogen“ werden wolle.
Und dann bittet H. seinen Kunden und Freund ganz unverblümt um ein „Alibi“: „Wenn die dich fragen, dann sag’: Ich war nicht da.“ Nach 30 Minuten sei H. dann wieder gegangen. (Thorsten Becker)
Der Prozess um den Mord ohne Leiche in Hanau wurde im Dezember 2021 zu einem Terabyte-Spektakel.