Prozess um Tankstellenüberfälle: Angeklagter will gestehen

Maintal – Dr. Mirko Schulte, Vizepräsident des Landgerichts Hanau, hatte sich einen schönen Plan zurechtgelegt für den ersten Verhandlungstag im Prozess um zwei Tankstellenüberfälle in Bischofsheim. Schnell musste sich Schulte davon jedoch verabschieden, denn der Prozess startete mit einer Überraschung.
Nach einer fast anderthalbstündigen Unterbrechung verkündete der Vorsitzende Richter das Ergebnis eines Gesprächs von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Kammer: Der Angeklagte beabsichtige, die ihm vorgeworfenen Taten einzuräumen. Ein Strategiewechsel, der überraschend kam. Denn zwischen Verteidiger Christian Heidrich und B. gab es noch Klärungsbedarf. Zu Beginn der Verhandlung hatte der Angeklagte von „Unstimmigkeiten“ mit seinem Verteidiger gesprochen. „Ich bin sehr verunsichert“, erklärte er. Richter Schulte zeigte dabei viel Verständnis für B. und machte ihn auf die Wichtigkeit von Vertrauen zueinander aufmerksam. Nach einem längeren Gespräch zwischen B. und Heidrich war dieses Vertrauen dann wohl wieder hergestellt und das weitere Vorgehen konnte besprochen werden.
Die Verteidigung, so fasste Schulte zusammen, wolle nicht mehr auf einen Freispruch hinarbeiten, sondern sich darauf konzentrieren, die für den Angeklagten günstigsten Argumente herauszuarbeiten. „Damit die durchaus hohe Strafe, die im Raum steht, abgemildert werden kann“, erklärte Schulte dem Angeklagten die neue Strategie.
Denn für B. steht einiges auf dem Spiel. Wegen eines Überfalls im Mai 2020 wurde er vergangenes Jahr bereits zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt (siehe Kasten). Durch den Tatvorwurf des versuchten Mordes, den Staatsanwalt Dr. Oliver Piechaczek in seiner Anklage formulierte, könnten noch einige Jahre hinzukommen. „Deutlich zweistellig“, bezifferte Schulte die mögliche Gesamtstrafe. Denn auch wenn die Verteidigung das Mordmerkmal der Habgier nicht als erfüllt ansieht, ist die vorgeworfene Tötungsabsicht für den Staatsanwalt eindeutig. Davon werde er auch nicht abrücken.
Prozess um zwei Tankstellenüberfälle – Angeklagter schon vorbestraft
21. April 2021: Patrick B. wird wegen eines Tankstellenraubs zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt. Das Landgericht Hanau sieht es als erwiesen an, dass B. am 6. Mai 2020 die Agip-Tankstelle Am Kreuzstein in Bischofsheim überfallen hat. Dabei bedroht er die Angestellte mit einer Schusswaffe und erbeutet 1500 Euro. Weil nicht bewiesen werden kann, dass die Waffe geladen war, kommt B. um eine Verurteilung wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung herum.
31. März 2022: Erneut steht B. unter Anklage, diesmal vor der Schwurgerichtskammer. Ihm wird nun versuchter Mord vorgeworfen. Er soll am 4. März 2021 erneut die Agip-Tankstelle überfallen haben. Dabei soll er die Kassierin bedroht und mit einer Waffe in die Luft geschossen haben. Beute: 715 Euro. Knapp eine Woche später, am 10. März 2021, soll B. wieder eine Tankstelle in Bischofsheim überfallen haben. Diesmal die Shell-Tankstelle Am Kreuzstein. Dabei soll er zweimal auf den Kassierer geschossen haben. Der Mann wird von einem Schuss am Hals getroffen und verletzt. Beute machte B. nicht. Kurz darauf wird er von der Polizei festgenommen. Am ersten Prozesstag kündigt die Verteidigung an, dass der Angeklagte die Taten einräumen werde.
Der Prozess wird am Mittwoch, 13. April, fortgesetzt.
Eine Zusage von der Kammer zu einer Haftstrafe in bestimmter Höhe bei einem Geständnis wird es auch aus einem anderen Grund nicht geben. Denn wie Schulte berichtete, steht auch eine mögliche Therapie und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Raum. Das hätte für B. den Vorteil, dass er nur einen Teil der Strafe im Gefängnis absitzen müsste, dann eine Therapie machen könnte und anschließend wieder auf freien Fuß käme – deutlich schneller als bei voller Verbüßung der möglichen Haftstrafe.
Eine entscheidende Rolle werden dabei die Sachverständigen spielen, die eine mögliche Schuldunfähigkeit aufgrund eines Hangs zu alkoholischen Getränken oder anderen berauschenden Mitteln beim Angeklagten bewerten müssen. Danach sieht es nach den bisherigen Eindrücken jedoch nicht aus. Und das, obwohl über B. „ein ganzes Buch“ an Einschätzungen von Sachverständigen vorliege. Im Prozess um den ersten Tankstellenraub hatte sich B. nicht zur Tat geäußert, sein Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert. Auch, weil zu seinen damaligen Motiven und seiner persönlichen Situation keine Erkenntnisse vorlagen, habe es die „hohe Strafe ohne Therapie“ gegeben, so Schulte.
Nun kommt es darauf an, wie sich B. im weiteren Verlauf präsentiert. Geplant ist, dass er sich am nächsten Prozesstag äußert. Das würde den weiteren Verhandlungsverlauf deutlich vereinfachen. Zum einen für das Gericht, zum anderen für die Zeugen, die eigentlich bereits gestern hätten aussagen sollen. Bei einer geständigen Einlassung von B. müssten diese auf dem Zeugenstuhl nicht eindringlich befragt werden. Da es sich um die Kassierer der Tankstellen handelt, die immer noch unter dem Eindruck der Taten stehen, wäre das für sie eine große Erleichterung.
Von Michael Bellack