Tochter leidet an Gendefekt: Familie bekommt endlich ein behindertengerechtes Auto

Der rote Van glänzt in der Morgensonne. Hulusi Gümüs öffnet den Kofferraum, klappt die Rampe aus und strahlt. Eigentlich hat er nicht viel mit Autos am Hut. Doch dieses bedeutet für den Dörnigheimer und seine Familie eine ganze Menge. Denn das behindertengerechte Fahrzeug ermöglicht es, ihre Tochter Aylin in ihrem Rollstuhl zu transportieren.
Maintal – Bislang musste Hulusi Gümüs seine Tochter jedes Mal ins Auto heben. Eine Tortur, denn die Vierjährige, die unter einem Gendefekt leidet, ist extrem übergewichtig (unsere Zeitung berichtete). 80 Kilo wiegt Aylin aktuell. Zu viel für den Vater, der mittlerweile vier Bandscheibenvorfälle hat.
Die Anschaffung möglich gemacht hat der Verein Hand-in-Hand für schwerst- und krebskranke Kinder aus Altenstadt. Seit Längerem unterstützt das Team die Familie. Die Suche nach einem behindertengerechten Fahrzeug gestaltetet sich allerdings schwierig. Das Auto musste die Anforderungen der Familie erfüllen, außerdem durfte es nicht zu teuer sein. Monatelang wurden Angebote sondiert. Bis Hulusi Gümüs schließlich Glück hat. Im Internet entdeckt er den roten Ford Tourneo Connect. Der Van verfügt über eine Automatikschaltung. Das war der Familie wichtig, denn nur so kann auch Mutter Ayse das Auto fahren. 27 800 Euro kostet den Verein die Anschaffung. 10 000 Euro kommen von der Leberecht Stiftung, 7000 Euro gehen nach dem Spendenaufruf von Hand-in-Hand auf dem extra für Aylin eingerichteten Spendenkonto ein. Weitere 3000 Euro bringt der Aufruf des Grünen-Politikers Ahmet Cetiner aus Maintal ein. Am Ende legt der Verein noch einmal rund 7000 Euro drauf, der Deal ist perfekt. „Uns war klar, wie sehr die Familie auf ein behindertengerechtes Fahrzeug angewiesen ist“, sagt Sven Schöning, Geschäftsführer von Hand-in-Hand, der mit der Familie ständig in Kontakt steht. Nachdem Ukraine-Krieg, Inflation und steigende Energiekosten für einen spürbaren Rückgang der Spenden gesorgt hatten, habe sich die Situation im September endlich wieder entspannt. Hinzu komme, dass der Verein ein anderes Auto habe verkaufen können. „So waren wir in der Lage, noch etwas draufzulegen, um Familie Gümüs zu helfen.“
Seit ein paar Wochen fährt Hulusi Gümüs seine Tochter nun mit dem behindertengerechten Fahrzeug zu den vielen Arzt- und Therapieterminen. „Das Fahrzeug hilft uns im Alltag sehr“, sagt er im Rahmen der offiziellen Übergabe am vergangenen Freitag, zu der auch Rainer Lappan, neuer Vorsitzender von Hand in Hand, und Necdet Kalipcioglu, Vorsitzender der SPD Maintal, kommen. Der Politiker kennt Aylins Schicksal von Geburt an und unterstützt, wo er nur kann. „Wenn ich sehe, dass man der Familie mit diesem Fahrzeug den Alltag etwas erleichtern kann, macht mich das glücklich. Es hat sich gelohnt. Ich danke allen Unterstützern“, so Kalipcioglu während der Übergabe.
Aylin ist während des offiziellen Termins nicht anwesend. Die Vierjährige ist zurzeit in Kur in einer Klinik in Düsseldorf, begleitet von Mama Ayse und dem kleinen Bruder. Während des Aufenthalts gehe es vor allem darum, in der Ergotherapie Aylins Muskulatur zu stärken, damit sie endlich laufen lernt. „Dass ist die große Hoffnung. Dass sie selbstständig laufen kann, wenn auch nur mit einer Gehhilfe“, berichtet Kalipcioglu. Nur so habe das Mädchen die Chance, Kalorien zu verbrennen und Gewicht zu verlieren.
Wohnung gesucht
Familie Gümüs sucht eine Vier-Zimmer-Wohnung im Bereich Maintal, Bruchköbel oder Hanau. Die Wohnung sollte im Erdgeschoss liegen oder über einen Aufzug verfügen und idealerweise ein barrierefreies Badezimmer haben. Kontakt und weitere Informationen über den Verein „Hand-in-Hand“ in Altenstadt, Telefon: 06047 986836, oder per Mail an kontakt@hand-in-hand.it.
Die Pflege des schwerbehinderten Kindes sei nach wie vor eine riesige Herausforderung, erzählt Sven Schöning. Aylin kann nicht allein stehen, nicht sprechen, braucht Windeln und hat extreme Angst vor fremden Personen. Der Vater habe ihm Videos aus der Kur auf dem Handy gezeigt. Auf dem einen ist zu sehen, wie drei Pfleger versuchen, das schreiende Kind auf den Therapietisch zu hieven. Eine Tortur, für alle Beteiligten. „Wenn man das sieht, ist die Freude über das Fahrzeug erst mal gedämpft“, so Schöning.
Hinzu kommt, dass die fünfköpfige Familie noch immer keine behindertengerechte Wohnung gefunden hat. Hulusi Gümüs sichtet fast täglich Wohnungsangebote im Internet, schreibe Vermieter an. Ohne Erfolg. „Mal wird abgesagt, mal entsteht ein bisschen Hoffnung und am Ende kommt doch eine Absage. Und die allermeisten Vermieter antworten gar nicht“, berichtet Necdet Kalipcioglu. Auch Sven Schöning ist mittlerweile frustriert. „Es kommt ja nicht einmal eine Besichtigung zustande. Alle Bemühungen unsererseits sind verpufft. Wir können Spenden sammeln, aber eine Wohnung können wir nicht aus dem Ärmel schütteln“, sagt er.
Die fünfköpfige Familie lebt weiter in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses ohne Aufzug. Und Vater Hulusi muss seine 80 Kilo schwere Tochter weiter allein die Treppe hinunter und anschließend wieder hochtragen. Der Verein Hand in Hand und auch Necdet Kalipcioglu wollen trotzdem nicht aufgeben. Sie suchen weiter nach einer Wohnung und wollen jetzt auch Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky einschalten. „Aktuell wissen wir auch nicht weiter. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Es kann doch nicht sein, dass niemand eine geeignete Wohnung für die Familie hat“, so Sven Schöning.
Von Kristina Bräutigam