"Über die Schulter geschaut..." bei der Weizenernte

Maintal. „High Noon“ auf den Getreidefeldern zwischen Hochstadt und Wachenbuchen. Dicke, dunkle Wolken säumen den Himmel. Doch der angekündigte Regen bleibt aus. Und dies ist sogar mal gut, denn heute Mittag mäht Landwirt Alexander Steup aus Wachenbuchen seine Weizenfelder ab. Und ich werde ihn ein Stück dabei begleiten.
Von Gabriele Reinartz
Schon von Weitem höre ich den Mähdrescher arbeiten. Ein lautes, aber nahezu monotones Geräusch. Nur wenn das Gefährt beim Wenden rückwärts fährt, fängt es an laut zu piepsen, um kurz danach wieder in die Monotonie überzugehen. Als ich den Treffpunkt Hahnenkammstraße pünktlich erreiche, hat Landwirt Alexander Steup schon einige Bahnen Weizen gedroschen. Als er mich am Feldrand warten sieht, kommt er mit dem Riesengefährt angefahren. Es staubt stark, denn der Boden ist mangels Regens knochentrocken.
Schon allein die Fahrerkabine zu erklimmen, ist für kleinere Personen wie mich nicht so einfach. Die erste Stufe der grünen Außentreppe ist einen gefühlten Meter vom Boden entfernt. Oben angekommen, throne ich zweieinhalb Meter über dem gelbgoldenen Weizenfeld. Mal eine ganz andere Perspektive, als ich sie als Fußgängerin gewohnt bin. Und schon rumpeln wir mit rund fünf Stundenkilometern los. Mähdreschen ist eine wackelige Angelegenheit, wie ich schnell feststellen muss. Meine Notizen fallen dementsprechend krakelig aus.
Stressige Zeit
„Der Weizen ist die letzte Getreideart, die geerntet wird. Raps und Gerste haben wir schon abgeschlossen, obwohl wir mit dem Weizen diesmal fast drei Wochen früher dran sind als sonst. Die Hitze hat das Korn schneller reifen lassen“, erzählt mir Steup. Er schätzt, dass hier im Raum die Weizenernte vielleicht schon am Wochenende, spätestens Mitte der kommenden Woche abgeschlossen sein wird. Dann, so sagt er, habe er wieder etwas mehr Zeit für die Familie. Die letzten Wochen seien schon sehr stressig gewesen. „Doch nach der Ernte ist vor der Ernte. Und so gibt es einen 'richtigen' Urlaub erst im Winter. Dann geht es zum Skifahren“, verrät er.
Im unteren Teil der Windschutzscheibe sehe ich, wie das sechs Meter breite Schneidwerk des Mähdreschers nahe am Boden rotiert. Genauer gesagt ist es die orangefarbene Haspel, die für die gleichmäßige Zuführung des Getreides zuständig ist. Die Leiste darunter sitzt fest, hat messerscharfe Zacken und trennt die Halme ab. Unterhalb der Fahrerkabine verlaufen die Einzugschnecke und der Schrägförderer, durch die das Korn in die Dreschtrommel hinter der Fahrerkabine gelangt. Dort werden die Körner von den Ähren und den Halmen, dem Stroh, getrennt.
Auslaufrohr wie ein Krakenarm
Je nachdem, wie der Landwirt die Maschine einstellt, wird das Stroh, das zurück auf den Ackerboden fällt, entweder in Bahnen abgelegt, auf so genannten Schwad, um es später, in einem separaten Arbeitsgang, zu pressen und riesige Strohballen zu formen, die bis zu 1,80 Meter hoch sein können. Oder es wird noch im Mähdrescher gehäckselt und breitflächig auf dem Ackerboden verteilt als Dünger oder, wie es Steup beispielsweise macht, als Einstreu für die Erdbeerfelder verwendet.
Wenn der Korntank des Mähdreschers voll ist, werden die Weizenkörner durch das Auslaufrohr, das auf der linken Seite des Mähdreschers ausschwenkt wie ein Krakenarm, in einen am Feldrand abgestellten Anhänger abgelassen. Aus Sicherheitsgründen funktioniert das Abtanken nur bei Sitzkontakt des Fahrers.
Uralter Familienbetrieb
Steup stammt aus einem uralten Familienbetrieb. „Die wievielte Generation Landwirt ich bin, weiß ich gar nicht. In unserer Familie gab es nur Landwirte, auf dem Land nichts Unübliches. Neueren Ursprungs ist dagegen unser Hofladen. Wir bauen außerdem Raps, Weizen, Gerste und Dinkel an sowie Erdbeeren. Diese verkaufen wir an Ständen in Wachenbuchen und zwischen Bruchköbel und Langendiebach oder verarbeiten sie als Secco, Limes und Eis für unseren Hofladen.“
Auch ein paar hundert Kilogramm des Weizens behält Steup für den Eigenbedarf zurück. Daraus backt sein Vater Brot und Kuchen – ebenfalls für den Verkauf. Das restliche Getreide geht an die Firma Raiffeisen im Hanauer Hafen.
Wermutstropfen
Mit der Qualität des Getreides ist er in diesem Jahr sehr zufrieden, obwohl aufgrund der Trockenheit dem Weizen eigentlich drei Wochen an Vegetationszeit fehlen. Durch die wochenlange Hitze hat er diese Zeit aber mehr als gutmachen können. Trotzdem gibt es einen Wermutstropfen: „Die Erträge dürften um ein Viertel geringer ausfallen als sonst, eben bedingt durch die Hitze“, erzählt der studierte Landwirt. Das Feld – oder wie es im Fachjargon heißt, der Schlag – den wir heute dreschen, ist knapp zwei Hektar groß. Pro Hektar fallen in der Regel bis zu zehn Tonnen Weizen an, diesmal werden es aber nur um die sieben Tonnen sein.
Steup hat sich den Mähdrescher vom Bodenverband ausgeliehen. Eine Eigenanschaffung rechnet sich nicht. So wie er machen es noch vier weitere Landwirte hier in der Region, sodass er sich den Mähdrescher mit ihnen teilen muss. „Das klappt aber gut“, beteuert er, „der Verband plant jeden Tag den Verleih neu, sodass keiner von uns zu kurz kommt, sollte das Wetter mal nicht mitspielen“.
Unglaubliche Gegenstände im Feld gefunden
Bevor Steup sich an diesem Morgen den Mähdrescher ausleihen konnte, musste er ihn zuerst warten, was eine knappe Stunde dauerte: Ölstand prüfen, Luftfilter reinigen, tanken – der Tank fasst 600 Liter Diesel, rund 25 Liter benötigt er für ein Hektar Acker. „Kleinere Defekte repariere ich selber. Den Aufbau der Maschine habe ich im Kopf. Bei größeren Schäden rückt eine mobile Monteurtruppe des Verbandes an“, erzählt er.
Seit seinem 15. Lebensjahr, also seit nunmehr 25 Jahren, fährt Steup Mähdrescher. „Zuerst musste ich eine Schulung machen, um die Technik zu erlernen. Diese führt der Hersteller des Mähdreschers durch. Dann bin ich viel bei anderen mitgefahren, um ein Gefühl zu bekommen, zum Beispiel für die Abstände, oder auch um zu lernen, worauf ich alles achten muss.“ Zum Beispiel darauf, dass keine Fremdkörper ins Schneidewerk geraten. In den vielen Jahren hat Steup schon unglaubliche Gegenstände im Feld gefunden, zum Beispiel Kinderspielzeuge, dicke Äste oder auch Leitpfosten und Verkehrsschilder.
Lenken wie ein Auto und doch viel mehr
Gelenkt wird ein Mähdrescher wie ein Auto, also mit einem, wenn auch verhältnismäßig kleinen Lenkrad. Aber alles andere funktioniert über den Fahrhebel auf der rechten Seite, mit dem die Haspel bedient und die Geschwindigkeit eingestellt wird. So muss Steup, wenn er von Häkseln auf Schwad wechseln will, zunächst das Dreschwerk über den Fahrhebel abstellen, bevor er die Umstellung manuell vornimmt. Dafür muss er die Fahrerkabine verlassen.
Am Computer, das Display befindet sich direkt hinter dem Fahrhebel, werden die Drehzahlen angezeigt, mit den Knöpfen werden die einzelnen Dreschvorgänge eingestellt. Ansonsten gibt es ganz zur Rechten des Fahrers drei Geschwindigkeitsstufen, die via Kippschalter vorgewählt werden können, und eine Feststellbremse.
Über Jahrzehnte erprobtes Gespür
Nach zwei Stunden ist meine Mitfahrt im Mähdrescher beendet. In dieser Zeit haben wir zwei der 18 Weizenschläge, die der Familie Steup gehören, abgeerntet. Bis zum späten Nachmittag wird Steup weiter seine Runden drehen, um das zu dreschen, was bereits reif ist. Den Wassergehalt des Korns hat er vorab mit einem Gerät gemessen Aber auch sein über Jahrzehnte erprobtes Gespür verrät ihm, ob das Korn noch Zeit braucht oder nicht. „Das spüre ich, wenn ich mit der Hand durchs Getreide fahre“, sagt er.
Den restlichen Weizen wird er in den kommenden Tagen ernten, je nach Taubildung wieder um die Mittagszeit. „Morgens geht das nicht, dann ist das Getreide noch von der Nacht feucht.“ Apropos feucht: „Auch wenn die Böden dringend Wasser benötigen, wäre ich froh, wenn die Trockenheit noch in den nächsten Tagen anhielte, damit ich fertig dreschen kann. Danach kann und soll es erst einmal ausgiebig regnen“, sagt er, bevor er mich verabschiedet. Und während ich zurück zu meinem Wagen gehe, höre ich wieder das monotone Surren des Mähdreschers.