„Situation ist untragbar“: Maintaler Kinderärztin sieht sich am Limit
Claudia Schramm kommt mit der Behandlung ihrer kleinen Patienten kaum noch hinterher. „Es gibt keinen Lichtblick“, klagt die Kinderärztin aus Maintal die Politik an.
Maintal – 320 Kinder an einem Tag – das war am vergangenen Montag selbst für die dauerüberlaufene Praxis von Dr. Claudia Schramm Rekord. „Die Situation ist für uns untragbar“, sagt die Dörnigheimer Kinderärztin. Um auf die Überlastung aufmerksam zu machen, hat sie mit ihrer Praxis am vergangenen Mittwoch am landesweiten Protesttag teilgenommen.
Aufgerufen zum Streik hatte die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen, die sich in einer Pressemitteilung hinter die niedergelassenen Haus- und Fachärzte stellt. Mit dem zweiten Protesttag seit Ende Oktober wollen die Praxen gegen die, so die KV, „feindliche und respektlose Politik von FDP, SPD und Grünen sowie des GKV-Spitzenverbands gegenüber der ambulanten Versorgung“ demonstrieren.
Die niedergelassenen Mediziner fordern einen Ausgleich für die steigenden Energiekosten und inflationsbedingten Preissteigerungen und mehr Anerkennung für ihre Arbeit. Anders als die Kliniken, so die KV, lasse die Politik die ambulante Versorgung links liegen. Diese Kritik teilt Claudia Schramm. Deshalb blieb die Tür ihrer Praxis am Mittwoch zu - zum Leidwesen der Eltern, die ihre kranken Kinder wie jeden Tag Hilfe suchend in die Berliner Straße brachten. Bis zu einem halben Kilometer lang stehen sie oft zur Akutsprechstunde Schlange.
Kinderärztin aus Maintal: ständig neue bürokratische Aufgaben
„Wir weisen niemanden ab“, erklärt Claudia Schramm ihre Philosophie. Daher hat sich das Praxisteam so organisiert, dass die ersten 20 Patienten eingelassen werden. Alle anderen werden nach Hause geschickt und angerufen, wenn sie an der Reihe sind, um nicht in der Kält warten zu müssen. „Es werden immer mehr Patienten - und es kommen ja keine Ärzte nach“, erklärt Claudia Schramm das wachsende Patientenaufkommen in ihrer Praxis.
In Maintal gibt es eine weitere pädiatrische Praxis, die allerdings keine neuen Patienten aufnehme. In den umliegenden Städten und Kommunen habe man als Auswärtiger schon lange keine Chance mehr. Hoffnung auf weitere Praxen, auf die sich die Arbeitslast verteilt, gibt es nicht. Angesichts der steigenden Kosten und des zunehmenden Arbeitsaufwands wollten sich kaum noch junge Kollegen niederlassen. „Anstatt uns jetzt in der Infektzeit zu entlasten, kommen ständig neue bürokratische Aufgaben dazu“, beschwert sich Claudia Schramm.
Zusätzlich zu den Nachwirkungen der Pandemie, die sich vor allem als psychische Leider bemerkbar machten, kämen derzeit außergewöhnlich viele Patienten mit Influenza und Respiratorischen Synzytial-Virus-Infektionen in die Praxis. „Die aktuelle Infektionswelle bricht uns das Genick“, sagt eine medizinische Fachangestellte (MFA). Die Kliniken seien voll, und auch auf Therapieplätze müsste man zu lange warten

Maintal: „Die Aggressivität der Eltern nimmt zu“
Die Warterei macht mürbe. „Die Aggressivität der Eltern nimmt zu“, sagt die MFA. Sie verzichten auf Pausen, bringen ihre eigenen Kinder mit in die Praxis, wenn sie krank sind, und arbeiten meist von acht Uhr morgens bis 20 Uhr abends durch. „Wir schaffen das nicht mehr, wir sind am Limit“, sagt auch Claudia Schramm. Denn die Versorgung der kleinen Patienten sei eben keine Fließbandarbeit. „Wir hoffen, dass wir nichts übersehen, und tun, was wir können. Dann noch von den Eltern angemotzt, teilweise fast tätlich angegriffen zu werden, geht über das Erträgliche hinaus“, sind sich die Mitarbeiterinnen einig.
Die Hoffnung auf Besserung ist allerdings klein. „Wir werden vermutlich nichts bewirken. Trotzdem wollen wir ein Zeichen setzen“, sagt Claudia Schramm. Was neben dem finanziellen Ausgleich und der Anerkennung, die den Kollegen in den Kliniken zuteil wird helfen würde, seien vor allem bessere Arbeitsbedingungen für MFAs und Ärzte. Nur dann gebe es die Aussicht auf ausreichenden Nachwuchs.
„Die Energiesubventionen für die Kliniken sind richtig, aber wo bleiben wir niedergelassenen Ärzte?“, sagt Maja Schulz, ebenfalls Kinderärztin in der Praxis von Claudia Schramm. „Ich liebe, was ich mache, aber das ist einfach kein schönes Arbeiten.“ Sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. „Es gibt keinen Lichtblick. Wir arbeiten gegen Windmühlen“, fasst Claudia Schramm ihren Frust zusammen. Seit 17 Jahren ist sie Kinderärztin. „Aber es wird immer schlimmer.“ (Bettina Merkelbach)
Auch in Offenbach arbeiten die Kinderärztinnen und -ärzte am Limit. Sie klagen über hohe Patientenzahlen, knappes Personal und zu wenige Praxen. Das Problem spitzt sich seit Jahren zu.