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Zwischen Hoffen und Sterben: Gedenken an Todesmarsch der KZ-Häftlinge von Frankfurt nach Hünfeld

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Die Erinnerung erhalten: Herbert und Brigitte Begemann vom Brüder-Schönfeld-Forum nehmen am Gedenken zum Todesmarsch von KZ-Häftlingen teil.
Die Erinnerung erhalten: Herbert und Brigitte Begemann vom Brüder-Schönfeld-Forum nehmen am Gedenken zum Todesmarsch von KZ-Häftlingen teil. © BEttina Merkelbach

Maintal – „Düstere Häuser, die in der Dunkelheit verschwammen, tote, dicht verhangene Fenster, Straßen, die vollkommen leer und ohne Verkehr waren. Es war finster, wie ausgestorben. Unsere Kolonne war das einzig Lebendige: Der langsame Marsch einiger Hundert grauer Schatten und das Geklapper der Holzpantinen. An jedem normalen Ort wären wir als etwas Unnatürliches aufgefallen, hier passten wir wunderbar hinein“, schreibt Janusz Garlicki.

In seiner kürzlich auf Deutsch erschienen Autobiografie „Von der Wahrscheinlichkeit zu überleben“ beschreibt der damals junge Mann aus Warschau den Todesmarsch aus dem Frankfurter Konzentrationslager Adlerwerke, der sich in wenigen Tagen zum 77. Mal jährt. Rund 350 Häftlinge, die die Schwerstarbeit unter unmenschlichen Bedingungen in dem nationalsozialistischen Außenlager überlebt hatten, wurden ab dem 24. März abends abgemagert und völlig entkräftet von SS-Männern zu Fuß von Frankfurt über Hanau, Gelnhausen und Fulda bis nach Hünfeld getrieben.

Im Morgengrauen des 25. März kamen sie auf der Kennedystraße, die damals Lindenstraße hieß, durch Dörnigheim. Am 29. März erreichten 280 Häftlinge Hünfeld, einigen wenigen gelang die Flucht. Die meisten wurden ins KZ Buchenwald gebracht, von dort folgte ein weiterer Todesmarsch nach Dachau, wo nur wenige ankamen.

Zwölf Häftlinge haben in Dörnigheim ihren Tod gefunden, von SS-Männern erschossen. Der Dörnigheimer Totengräber beerdigte sie eilig in einem großen Grab. Im Juli 1945 fanden die Amerikaner das Massengrab, ließen es öffnen und ordneten ein würdiges Begräbnis bei dem Ehrenmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges im Wald an – dort, wo sich jetzt die Hermann-Löns-Straße befindet. Später wurden sie nach Schlüchtern umgebettet.

Einen Platz in der Geschichte Dörnigheims haben die Toten nicht, ebenso wenig wie der Todesmarsch, der die rund 350 Häftlinge an einem Sonntag in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs mitten durch den Ort trieb, zwischen Sterben und Hoffen auf einem Weg ins Nirgendwo.

Einer, der sich darum verdingt macht, die Erinnerung ans Licht zu holen und wachzuhalten, ist Pfarrer Dr. Martin Streck. Er hat selbst geforscht und seine Erkenntnisse in der Publikation „Im Morgengrauen durch Dörnigheim“ in den Dörnigheimer Geschichtsblättern zusammengetragen. Dieses Buch hat er jetzt anhand neuer Quellen, unter anderem dem Buch von Garlicki, überarbeitet; die zweite Auflage wird in Kürze veröffentlicht. „Mein Ziel ist es, für Menschen in Dörnigheim eine Form des Gedenkens zu schaffen. Denn der Todesmarsch ist im lokalen Gedächtnis nicht bewusst“, erklärt er. Die Todesmärsche seien generell ein unterrepräsentiertes Kapitel düsterer deutscher Geschichte, dienten sie in den letzten Kriegswochen hauptsächlich dazu, die Verbrechen der Nazis und deren Spuren zu verwischen. Viele Konzentrations- und Arbeitslager wurden evakuiert, auf den Märschen kamen unzählige Häftlinge ums Leben. Auf ihren Wegen kamen sie in direkten Kontakt zur Bevölkerung, die mit einer Mischung aus Ablehnung, Gewalt, wohl auch Scham und Schuld reagierten.

Das Gedenken daran polarisiert bis heute. Die Künstlerin Ulrike Streck-Plath hat vor genau zehn Jahren dennoch in Dörnigheim ein Gedenken mit Klaus Klee, Klaus Seibert, Pfarrer Dr. Martin Streck, Gerd Bruzdziak und Lothar Reininger initiiert. Mit damals zwölf Figuren aus Stahl und Filz hat Ulrike Streck-Plath eine kollektive Performance kreiert, die die historische Begebenheit wieder auferstehen lassen soll. Aus den zwölf gefilzten Gestalten sind mittlerweile 45 geworden, manche stehend, andere kriechend, liegend, die in den vergangenen zehn Jahren in einigen Städten von Frankfurt nach Hünfeld an den Marsch vor 77 Jahren erinnern. Ihre Vision ist es, entlang der gesamten Strecke weitere Gedenkveranstaltungen zu initiieren, um ein lebendiges Mahnmal zu setzen.

Heute sind ihre Figuren bei der Gedenkveranstaltung am Eisernen Steg in Frankfurt anlässlich der „Aktion 1616 KZ-Häftlinge“ des Vereins Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim (LAGG) installiert. Auch bei der Eröffnung der Gedenkstätte in den ehemaligen Adlerwerken am 25. März sind sie präsent.

Zum Gedenken hat der Verein LAGG dazu aufgerufen, sich zu melden und mit einem selbst gestalteten Bild mit Namen, Geburts- und Todestag die Rolle eines Häftlings zu übernehmen und als lange Menschenkette entlang des Mainufers an den Todesmarsch zu erinnern. Herbert und Brigitte Begemann vom Maintaler Brüder-Schönfeld-Forum repräsentieren zwei der 1 616 Häftlinge. Sie stehen für Josef und Roman Czarnecki – zwei Häftlinge, die den Todesmarsch beide nicht mehr miterlebt haben. Sie wurden vermutlich vorher, weil sie nicht mehr arbeitsfähig waren, in andere Konzentrationslager abtransportiert und kamen in Dachau und Vaihingen ums Leben. „Durch unsere eigene Recherche können wir uns ein plastisches Bild der beiden jungen Männer machen“, erklärt Herbert Begemann. Die Gedenkaktion findet heute von 14 bis 16 Uhr am Frankfurter Mainufer statt.

Von Bettina Merkelbach

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