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Die Nidderauer Politik und der vermeintliche Bürgerwille

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Von: Jan-Otto Weber

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So ähnlich könnte der neue Brunnen aussehen: Dieses Exemplar aus Kalkstein erhielt in der Umfrage der Stadt Nidderau zur Gestaltung des Marktplatzes in Windecken nach dessen Sanierung die größte Zustimmung der Teilnehmer.
In einer Umfrage der Stadt Nidderau zur Gestaltung des Marktplatzes in Windecken votierten die meisten Teilnehmer für einen Brunnen nach Vorbild dieses Exemplars aus Kalkstein. Verbindlich können solche Abstimmungen jedoch nicht sein. Die Stadt sprach in diesem Fall von einem „Stimmungsbild“. © Privat

Es sind bewegte Zeiten. Nicht nur, dass die Kommunen die Auswirkungen der großen Krisen mit Krieg und Flucht, Klima und Inflation bewältigen müssen. Auch die Zusammenhänge der Kommunalpolitik werden komplexer.

Nidderau - Es ist den ehrenamtlichen Mandatsträgern hoch anzurechnen, dass sie so viel Zeit und Energie investieren, um die Stadt voranzubringen. Wobei weniger persönliche Attacken und mehr Sachlichkeit oft zu wünschen wären. Dabei ist es nicht leicht, die Orientierung zu bewahren. Debatten werden nicht mehr nur in Gremien oder „Leitmedien“, sondern auch in kleineren öffentlichen Räumen, vor allem in „Sozialen Medien“ im Internet geführt. Informationen werden rasend schnell verbreitet, nicht selten sind Zusammenhänge und Argumente verkürzt dargestellt, Debatten verzetteln sich und werden auf Schlagworte reduziert. Eine adäquate Reaktion ist oft (nicht rechtzeitig) möglich, um Missverständnissen vorzubeugen. Einige Akteure tragen gar bewusst dazu bei, „alternative Fakten“ zu streuen, um zu manipulieren.

Doch zumindest geben solche Debatten Hinweise darauf, was den Leuten unter den Nägeln brennt. Das Internet bietet Bürgern eine unmittelbare Möglichkeit, Themen anzusprechen und Interessengruppen zu organisieren. Als Beispiel sei hier die Online-Petition gegen die Nidder-Querung genannt. Doch allzu schnell sind die Akteure dazu verleitet, die jeweilige Meinung, die der eigenen Agenda entspricht, als den „Bürgerwillen“ zu interpretieren, obwohl es sich bei den Nutzern einer Internetgruppe eben nur um einen Bruchteil der Bevölkerung handelt. Die Rede ist in solchen Zusammenhängen auch oft von einer „Blase“, in der die eigene Meinung immer nur verstärkt wird.

Ähnlich problematisch ist der Umgang mit Bürgerbefragungen – etwa wie die zur Gestaltung des Windecker Marktplatzes und der Frage, ob ein Brunnen oder ein Fontänenfeld installiert werden sollte. Eine Verwaltung muss sich im Vorfeld gut überlegen, wie sie mit dem Ergebnis einer solchen Umfrage umgeht – und dies den Bürgern klar kommunizieren.

Im Fall des Windecker Marktplatzes sollte ein „Stimmungsbild“ erhoben werden. Einige Bürger sahen die Befragung allerdings als Abstimmung an und erwarteten, dass das Ergebnis auch umgesetzt wird. Eine verbindliche Abstimmung kann es aber schon deshalb nicht sein, weil solche Umfragen die nötigen Voraussetzungen nicht erfüllen, da sie beispielsweise nicht alle stimmberechtigten Bürger erreichen. Im Fall des Brunnens war das Ergebnis glücklicherweise deckungsgleich mit der Meinung, die von der Mehrzahl der Akteure vertreten wurde, die sich öffentlich geäußert hatten.

Zu einer anderen Frage hingegen hatten sich nur einzelne Bürger gemeldet. Nämlich, ob die Kommunalpolitik tatsächlich binnen weniger Wochen von dem vor Jahren im Konsens eingeschlagenen Weg einer zentralen Sportanlage abweichen sollte, weil sich kurzfristig zwei Vereinsvorstände nicht einigen konnten. Und ob es überhaupt vertretbar ist, eine einzelne Sportart, deren Vereine absehbar Probleme haben werden, den Spielbetrieb ohne Kooperation aufrecht zu erhalten, dermaßen bevorzugt zu behandeln.

Ein Hintertürchen hat sich die rot-grüne Koalition jedoch offen gelassen. Denn wie der neue Grünen-Fraktionsvorsitzende Tim Koczkowiak betont, handele es sich bei dem jüngsten Beschluss ja zunächst um einen Prüfauftrag mit Priorisierung und nicht um einen Freibrief für den Bau mehrerer Kunstrasenplätze in den Stadtteilen.

Immerhin geht es um Millionen. So wie eben auch beim Auenprojekt und der Nidder-Querung. Natürlich ist es nicht immer praktikabel, kommunalpolitische Entscheidungen über einen Bürgerentscheid treffen zu lassen. Doch der Vorschlag von Freien Wählern und CDU, eine Abstimmung darüber parallel zur Landratswahl am 29. Januar durchzuführen, wäre eine Möglichkeit gewesen, zeitnah Akzeptanz für eine solch weitreichende Entscheidung der Stadtentwicklung zu erlangen.

Jedenfalls sollte es zu denken geben, wenn sich engagierte Bürger von Politik und Verwaltung nicht ernstgenommen fühlen, auch wenn dies nicht beabsichtigt sein mag. Doch Kommunikation und Beteiligung sind in einer zunehmend gereizten Welt sensible Aufgaben. (Von Jan-Otto Weber)

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