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Nidderau: Der Heldenbergener Familie Isaak Haas gelang als einer der wenigen die Flucht

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Von: Jan-Otto Weber

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Bild der Familie Haas zum Abschied vor der Flucht aus Deutschland im Jahr 1937: Pauline und Isaak Haas (sitzend) mit ihren Söhnen (von links) Theo, Emil und Josef. Diese Familie gehört zu den wenigen aus den heutigen Nidderauer Stadtteilen, die einige Jahre später in Amerika wieder vereint sein konnte. Aus dem Buch von Monica Kingreen „Jüdisches Landleben in Windecken, Ostheim und Heldenbergen“. REPRO: Jan-Otto Weber
Bild der Familie Haas zum Abschied vor der Flucht aus Deutschland im Jahr 1937: Pauline und Isaak Haas (sitzend) mit ihren Söhnen (von links) Theo, Emil und Josef. Diese Familie gehört zu den wenigen aus den heutigen Nidderauer Stadtteilen, die einige Jahre später in Amerika wieder vereint sein konnte. Aus dem Buch von Monica Kingreen „Jüdisches Landleben in Windecken, Ostheim und Heldenbergen“. © REPRO: Jan-Otto Weber

Rund um den 9. November finden in Deutschland und weltweit Gedenken an die Menschen statt, die durch die NS-Diktatur vertrieben, misshandelt und getötet wurden. In Nidderau wird vor allem dank der umfassenden Forschungsarbeit von Monica Kingreen und ihrem Buch „Jüdisches Landleben in Windecken, Ostheim und Heldenbergen“ die Erinnerung an die früheren jüdischen Mitbürger besonders wachgehalten.

Nidderau – Zeichen der Erinnerung sind die „Stolpersteine“, die auch beim diesjährigen Gedenken besucht werden (Infokasten). „Die Stolpersteine sind wie Grabsteine, die die ermordeten Menschen nie hatten“ – so habe es einmal ein Rabbi ausgedrückt, wie Dr. Ralf Grünke berichtet. Er hat die Umsetzung des Erinnerungsprojekts des Künstlers Gunter Demnig in Nidderau initiiert. „Wir haben seinerzeit entschieden, Stolpersteine für die jüdischen Bürger zu verlegen, die ums Leben gekommen sind. Doch auch den Familien, die keine Toten zu beklagen haben, wurde großes Unrecht getan. Deshalb werden wir am Mittwochabend in der Ostheimer Kirche beispielhaft an die Familie Isaak Haas aus Heldenbergen erinnern.“

Moses Haas, Vater von Isaak und David sowie der Schwestern Bertha und Emilie, stammte aus Höchst an der Nidder und hatte 1867 Grete Kaichen aus Heldenbergen geheiratet, wie Monica Kingreen in ihrem Buch berichtet. Mit 15 Jahren stieg Isaak in die kleine Metzgerei und Viehhandlung seines Vaters an der Büdinger Straße ein. Er lieh sich beim Gastwirt Pauly Geld, um ein Kalb zu kaufen – der Ursprung eines später „recht großen Viehhandels“.

Buch von Monica Kingreen setzt Opfern ein Denkmal

1904 heiratete Isaak Haas Pauline Strauß aus Großkrotzenburg. Aus der Ehe gingen die Söhne Josef, Theo und Emil hervor. 1905 kaufte die Familie die Hofreite Nummer 38 an der Friedberger Straße. Sohn Emil erinnert sich später: „Die Bauern aus der gesamten Umgebung sind zu uns gekommen, aus Windecken, aus Kaichen, aus Heldenbergen natürlich, aus Erbstadt, auch aus Bönstadt, um bei uns Vieh zu kaufen.“

Und zur Metzgerei: „Wir haben auch dem Pfarrer Fleisch geliefert und den katholischen Schwestern in der Gartenstraße. Auch die Leute auf der Naumburg haben wir beliefert, ebenso die Hainmühle, die hatten eine Gastwirtschaft. Wir haben in unserer Metzgerei koscheres und nicht koscheres Fleisch verkauft.“

Die drei Söhne besuchten mit den evangelischen Schülern die Volksschule in Heldenbergen und später die Augustinerschule in Friedberg. Ab Ende der 1920er Jahre betrieben Josef und Theo eine Berufskleiderfabrik in Frankfurt. Sie brachten es zu einigem Ansehen. Im September 1938 wurde die Firma aufgelöst. „Durch die Nazizeit verloren die beiden Brüder ihr Geschäft“, schreibt Monica Kingreen.

Familie in Amerika wieder vereint

Beide Brüder heirateten auch in dieser Zeit. Im November 1938 wurde Theo in Frankfurt verhaftet, „aber da er das amerikanische Visum schon in der Tasche hatte, bald wieder freigelassen“. Josef und Theo wanderten beide noch 1938 nach Columbus in Ohio aus. Dort hielt sich schon seit einem Jahr ihr jüngster Bruder Emil auf, der zur Beschaffung der Visa für die beiden gebürgt hatte. Theo gründete in Amerika eine Krawatten-Fabrik, Josef war im Schuhhandel tätig.

Emil war 1937 über eine Bürgschaft einer entfernten Verwandten aus Amerika an ein Visum gekommen. Er fuhr mit dem Schiff von Bremen nach New York. Später berichtet er: „Auf dem Schiff hatte ich eine solche Angst, es waren Nazis auf dem Schiff. Ich hatte Angst, die tun mir noch was.“

Emil wurde von Siegfried Wolf aus Ostheim, der schon einige Monate in New York lebte, im Hafen abgeholt und reiste mit dem Zug weiter zu seiner Verwandten nach Columbus, Ohio. Dort lernte er seine Frau kennen. Drei Jahre nach der Hochzeit erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Als „deutscher Metzger“ konnte er sich eine Anstellung aussuchen. Nach zehn Jahren machte er sich selbstständig.

Verwandte im KZ ermordet

Die Eltern Isaak und Pauline Haas hatten nach der Auswanderung ihrer Söhne zunehmend Unterdrückungen zu erleiden. Den Bauern war es verboten, Geschäfte mit Juden zu machen. 1939 verkauften sie ihr Haus in Heldenbergen und flohen im Februar 1940 von Genua aus mit dem Schiff nach Amerika. „Isaak Haas erlebte noch die Geburt seines ersten Enkels“, berichtet Kingreen. Am 27. Dezember 1942 starb er im Alter von 72 Jahren. Sowohl Theo als auch Emil besuchten in den 70er und 80er Jahren Heldenbergen und hatten dort ergreifende Begegnungen mit früheren Bekannten und Verwandten.

David, Bertha und Emilie Haas, Geschwister von Isaak, gelang die Flucht nach Amerika nicht mehr. David, seine Frau Flora, Sohn Martin und die Schwestern wurden im September 1942 aus ihrem Haus an der Büdinger Straße in Heldenbergen zunächst nach Theresienstadt verschleppt, wo Emilie starb. Unterwegs war bereits Bertha verstorben. David, Flora und Sohn Martin wurden vermutlich weiter nach Auschwitz gebracht und ermordet. (Von Jan-Otto Weber)

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