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Nidderau: Gewerbetreibende klagen über Marktplatzsanierung in Windecken

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Vor der Filiale von Philippi’s Backstube am Marktplatz in Windecken ist bereits zum dritten Mal der Boden aufgerissen.
Vor dem Firmensitz und Ladengeschäft von Philippi’s Backstube am Marktplatz in Windecken ist bereits zum dritten Mal der Boden aufgerissen. © Thomas Seifert

Seit Juni 2022 laufen die auf ein Jahr terminierten Arbeiten zur Sanierung und Umgestaltung des Marktplatzes in Windecken. Während die Stadt das Kanalsystem erneuert, verlegen mehrere Versorger Leitungen für Wasser, Strom und Internet beziehungsweise Telefon. Vor allem die Gewerbetreibenden beklagen hohe Umsatzrückgänge und einen stark eingeschränkten Geschäftsbetrieb. Die Stadtverwaltung erklärt, es seien alle möglichen Vorkehrungen getroffen worden.

Nidderau - Der Kiosk Reidel ist bereits endgültig geschlossen, 35 Prozent Umsatzrückgang beim Bäcker, 20 Prozent weniger Umsatz beim Zahnarzt und ein Windecker Marktplatz, der zum Saisonstart im Eissalon Treviso noch eine Baustelle ist. Die Gewerbetreibenden und der Zahnmediziner werden durch den grundlegenden Umbau schwer gebeutelt. Nun haben Bäcker Thorsten und seine Schwester Alexandra Philippi einen Brief an den Magistrat geschrieben und sich über die Umstände und Widrigkeiten des Umbaus bitter beklagt. Das Fazit des Briefs klingt verzweifelt: „Unsere Geduld und unser Verständnis sind schwer strapaziert und am Ende! Ebenso wird das Loch in der Kasse immer größer! Wir erwarten eine Lösung und ein Entgegenkommen! Verzweifelte Grüße.“

Der Kiosk Toto Lotto Reidel hat Ende Februar „für immer“ geschlossen.
Der Kiosk Toto Lotto Reidel hat Ende Februar „für immer“ geschlossen. © Thomas Seifert

Kritik an schlechter Kommunikation über Maßnahmen

Bei einem Treffen vor Ort unterstreicht das Geschwisterpaar die dramatische Lage und wird von Dr. Michael Kastratovic, dem praktizierenden Zahnarzt am Marktplatz, unterstützt. Einer der Hauptvorwürfe an die Stadt lautet, dass die Kommunikation über die Maßnahmen und deren Dauer gleich Null sei. Nur vor Beginn der Arbeiten seien die Pläne in der Willi-Salzmann-Halle vorgestellt worden. „Seither haben wir nichts mehr von der Stadt gehört, man lässt uns im Regen stehen“, klagen sowohl die Philippis als auch der Zahnmediziner.

Die Philippis beschreiben in ihrem Brief, dass sie als Handwerksbetrieb mit Hauptsitz und Produktion am Marktplatz darauf angewiesen seien, mehrmals wöchentlich mit Ware beliefert zu werden und ihre Backwaren mehrmals täglich zu den Filialen auszuliefern. Zehn bis zwölf Personen seien in der Backstube und im Laden beschäftigt. Vor Beginn der Bauarbeiten hätten sich viele Windecker, Handwerker und Durchreisende von 5.30 bis 18 Uhr mit Getränken und Backwaren versorgt, drei Wochen nach Beginn der Maßnahme „haben wir uns entschlossen, den Nachmittag geschlossen zu lassen, da hier niemand den Weg zu uns findet“. Zudem mussten die Philippis zehn Tage komplett schließen, als direkt vor der Ladentür gebaut wurde.

Finanzielle Ausfälle für Bäckerei

In dem Brief kritisieren die Philippis die aus ihrer Sicht unkoordinierten Arbeiten auf dem Marktplatz. „Mittlerweile ist vor unserer Tür zum dritten Mal ein großes Loch.“ Die Geschäftsleute klagen über Zeiten, in denen nichts auf der Baustelle passiert sei, über Nichterreichbarkeit des Ladens für Kunden wegen Straßensperrungen und zeigen Unverständnis über einen „übereifrigen Stadtpolizisten, der pünktlich von 8.15 Uhr an Seiten- und Zufahrtsstraßen kontrolliert und fleißig Knöllchen verteilt hat“.

Auch die Arbeitsweise von verschiedenen Firmen sei teilweise sehr grenzwertig, „wenn drei Mann in ein Loch schauen, wie einer arbeitet“. Die Philippis stellen fest: „Wenn wir so arbeiten würden, wären wir längst bankrott.“ Die finanziellen Ausfälle für Philippi’s Backstube e.K. beziffern die Geschwister auf über 120.000 Euro seit Beginn der Arbeiten auf dem Marktplatz. Auch die Mitarbeiter seien verunsichert, denn „wenn wir nur dieses eine Ladengeschäft hätten, hätten wir bereits mehrere Mitarbeiter entlassen müssen“, heißt es in dem Schreiben.

Auch Zahnarzt meldet Einbußen

Bei Dr. Michael Kastratovic summieren sich sie Ausfälle auf rund 20 Prozent des sonst üblichen Umsatzes. „Vor allem ältere Patienten meiden den Weg in die Praxis wegen der fehlenden Parkmöglichkeiten, der schlechten Zuwegung und den vor allem im Winter völlig unzureichenden Beleuchtungsverhältnissen“, stellte der Zahnarzt fest, der sich ebenfalls über nicht existierende Kommunikation vonseiten der Stadt beklagt. Die Gewerbetreiben fragen sich, weshalb der Umbau so lange dauert und aus ihrer Sicht so schlecht koordiniert ist. Denn es gehe hier „um Existenzen, Mitarbeiter, die um ihr Gehalt bangen, und um elf Monate Einschränkungen, Kompromisse und Spagate. Jeden Tag eine neue Herausforderung“. Die Philippis fragen, ob sich die Stadt schon einmal Gedanken um ein „Entschädigungsmanagement“ gemacht habe, das es in anderen Städten gebe. In Karlsruhe zum Beispiel würden die Betroffenen entschädigt und eingebunden.

Stadtverwaltung nimmt Stellung zu Beschwerden

In einer „Gremienmitteilung an den Magistrat“, die auch den Gewerbetreibenden Thorsten und Alexandra Philippi sowie unserer Redaktion zuging, nimmt der Fachdienst Infrastruktur Stellung zu den Beschwerden. „Bitte lassen Sie uns alle gemeinsam auf den letzten Metern der Maßnahme für das Ziel ‘Umsatz trotz Baustelle’ werben, zum Beispiel durch Botschaften wie ‘Der Marktplatz bleibt erreichbar!’ oder ‘Betreten der Baustelle erwünscht!’“, heißt es in dem Schreiben, das von Stadtwerke-Leiterin Daniela Wißner unterzeichnet und von Bürgermeister Andreas Bär freigegeben ist.

„Wir müssen das Positive an der Baustelle vermitteln (baldige Attraktivitätssteigerung der Altstadt, Erhöhung der Aufenthaltsqualität, etc.) und damit die Akzeptanz gegenüber Behinderungen durch die Bauarbeiten fördern. Wir müssen gemeinsam deutlich machen, dass es auch eine ‘Zeit nach Staub, Lärm und Sperrungen’ gibt, in der es auch die Möglichkeit gibt, die leider erfahrenen Umsatzeinbußen zu kompensieren. Und diese Zeit rückt zumindest für den Marktplatzbereich ja nun in greifbare Nähe“, lautet das Fazit des Antwortschreibens.

Zugang zu Geschäften gewährleistet

Zuvor geht Wißner detailliert auf die Vorwürfe ein. Die Arbeiten seien, wie von den Gewerbetreibenden gewünscht, erst nach dem Oster- und Pfingstgeschäft im Juni 2022 gestartet. Die Stadtverwaltung habe im Vorfeld die hier zutreffenden „Umsatzverhinderer“ gemäß IHK-Praxishandbuch ermittelt und Vorbereitungen getroffen. So habe es zu jeder Zeit Anlieferungsmöglichkeiten gegeben, auch der Zugang zu den Geschäften, zum Außenbereich der Eisdiele und der Weg zur Praxis seien durch extra ausgelegte Gummimatten optisch dargestellt und gut begehbar gewesen.

Man habe eine „vorausschauende Beschilderung“ installiert, es seien Ersatzparkplätze an der Willi-Salzmann-Halle geschaffen worden und „Maßnahmen gegen Schmutz, Staub und Erschütterungen“ seien Bestandteil des Bauvertrags.

Falschparker behindern und verzögern Arbeiten

Allerdings habe sich die Bausituation auf dem Marktplatz wegen vieler Unwägbarkeiten im Untergrund von Anfang an als sehr schwierig dargestellt. Parkende und anfahrende Fahrzeuge hätten zusätzlich zu schwierigen Situationen, Behinderungen und Verzögerungen auf der Baustelle geführt. Die Stadtpolizei könne nicht „selektiv kontrollieren und ahnden“. „Strafzettel an Falschparker wurden nach Beschwerden der Anlieger keine mehr verteilt, was wiederum zu wildwestlich abgestellten Fahrzeugen im Baufeld und in den Zufahrtsstraßen führt“, so die Verwaltung.

In dem Schreiben wird darauf hingewiesen: „Sämtliche Unterbrechungen lassen sich im Einzelfall erklären und wurden bei regelmäßigen Besprechungen vor Ort beziehungsweise auf Nachfrage kommuniziert und erläutert: Die städtischen Arbeiten (Kanal- und Pflasterbau) wurden mehrfach durch Kabel- und Leitungsarbeiten anderer Versorgungsunternehmen unterbrochen.“

„Negative Presse“ als „Umsatzverhinderer“

In der Gremienmitteilung wird zudem explizit darauf hingewiesen, dass eine „negative Presse“ als „Umsatzverhinderer“ gelte und schlecht für das Image der Marktplatzbaustelle sei. „Daher raten wir von negativen Schlagzeilen in der Öffentlichkeit ab“, heißt es wörtlich in dem Schreiben.

In Sachen Umsatzeinbußen durch Baustellen müssten Gewerbetreibende „in der Regel die größte Last aus eigenen finanziellen Mitteln stemmen“. „Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein wirtschaftlich intaktes Unternehmen Rücklagen für solche Fälle gebildet hat und die Umsatzeinbußen während der Bauzeit so auffangen kann.“ Allerdings könne bei „wesentlichen Ertragsminderungen“ ein „Grundsteuererlass beantragt werden, heißt es in dem Brief weiter. Die Stadtverwaltung werde prüfen, ob man den Gewerbetreibenden durch „zusätzliche umsatzfördernde Veranstaltungen“ wie einem verkaufsoffenen Sonntag helfen könne.

„Die Stadtverwaltung geht nach wie vor davon aus, dass die Pflasterarbeiten auf dem Marktplatz nach dem angekündigten Jahr Bauzeit im Juni 2023 bis auf Restarbeiten abgeschlossen werden“, so die Stellungnahme. (Von Thomas Seifert)

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