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Nidderau: In der Chronik Windeckens behandelt Erhard Bus auf über 500 Seiten 1200 Jahre Geschichte

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Von: Jan-Otto Weber

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Zentrales Dokument aus dem Hessischen Staatsarchiv Marburg: König Rudolf von Habsburg bewilligt am 5. August 1288 auf Bitte Ulrichs von Hanau dem Ort Windecken die Freiheit Frankfurts und einen Wochenmarkt. An roter und grüner Seidenschnur hängt das Majestätssiegel.
Zentrales Dokument aus dem Hessischen Staatsarchiv Marburg: König Rudolf von Habsburg bewilligt am 5. August 1288 auf Bitte Ulrichs von Hanau dem Ort Windecken die Freiheit Frankfurts und einen Wochenmarkt. An roter und grüner Seidenschnur hängt das Majestätssiegel. © Hessisches Staatsarchiv Marburg

Was sind schon zwei Jahre Corona im Vergleich zur rund 1400 Jahre alten Geschichte Windeckens? Nichts, möchte man antworten. Doch selbst für Historiker Erhard Bus, der es gewohnt ist, in anderen zeitlichen Dimensionen zu denken, wurden die beiden Jahre der Pandemie lang.

Nidderau – „Ich hatte von September 2020 bis 2021 keinen einzigen Vortrag und auch kaum andere Aufträge“, sagt der freiberuflich tätige Kulturpreisträger des Main-Kinzig-Kreises, der sonst mindestens ein Dutzend Mal im Jahr gebucht wird. Doch Bus nimmt es mit Humor. „Wenigstens bin ich die Arbeit im Homeoffice seit Jahrzehnten gewohnt.“

Immerhin hatte die Zwangspause in den Vortragssälen der Region auch ihr Gutes. Denn so konnte sich der Windecker ganz der Chronik seiner Heimatstadt widmen. Mehr als 500 Seiten brachte er in den vergangenen drei Jahren „zu Papier“, hat zahllose Stunden in Archiven zwischen Marburg, Hanau und Darmstadt verbracht und zahlreiche Karten, Pläne und Dokumente entdeckt, entziffert und ausgewertet.

Erhard Bus, Historiker und Kulturpreisträger des Main-Kinzig-Kreises aus Windecken.
Erhard Bus, Historiker und Kulturpreisträger des Main-Kinzig-Kreises aus Windecken. © Privat

„Freilich vermag keine Chronik, alle Aspekte einer vielhundertjährigen Siedlungs- und Stadtgeschichte abschließend darzustellen“, räumt Bus gleich in der Einleitung seines Werkes ein. „Deshalb bildet auch diese umfangreiche Publikation keinesfalls den Abschluss einer fachgerechten Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte und ihrer adäquaten Präsentation. Vielmehr regt sie zur weiteren Recherche und Forschung an.“

Stadtgeschichte nicht nur bei Sonntagsreden hochhalten

Und der Historiker gibt den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung gleich einen Auftrag mit: „Eine Voraussetzung dafür ist der gute Zustand der Bestände des Stadtarchivs und dessen qualifizierte Betreuung. In Nidderau sieht es glücklicherweise besser aus als in vielen anderen Gemeinden, aber es ist auch hier noch einiges zu tun.“ Und fährt fort: „Ich hoffe, dass der Inhalt der Chronik dazu beitragen kann, dass die Stadtgeschichte in Nidderau demnächst nicht nur bei Sonntagsreden einen höheren Stellenwert genießt, wenn man den sorgsamen Umgang mit Geschichte anmahnt.“

Außerdem betont Bus, dass gerade die abwechslungsreiche Geschichte Windeckens für Nidderau im Wettbewerb mit den Kommunen der Umgebung einen Standortvorteil bedeutet, den die Verantwortlichen im Rathaus in der Außendarstellung nicht leichtfertig aus der Hand geben sollten. „Die Historie der Stadt ist ein Pluspunkt, den man nicht einfach wegwerfen kann. Schon allein, dass wir in Windecken seit Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1288 Rats- und Amtsschreiber hatten, zeugt von der einstigen Bedeutung“, stellt Bus fest. Diese Männer verrichteten nicht nur Windecken betreffende Schreibarbeiten, „sondern oft auch im Auftrag des Amts und manchmal sogar für ehemals hanauische Orte“, wie Bus in der Einleitung der Chronik erläutert.

Daher enthalte das Stadtarchiv Nidderau nicht nur Unterlagen zu Windecken, sondern auch zu Ostheim, Eichen, Erbstadt, Niederdorfelden oder Marköbel. „Manche beziehen sich sogar auf Orte, die heute zu Frankfurt gehören“, berichtet Bus. „Auch das belegt die einst zentrale Funktion der Stadt Windecken in der Region.“

Über 8000 Vorgänge zu Windecken in Archiven

So verwundert es nicht, dass sich auch die großen Ereignisse der Zeitgeschichte in den Aufzeichnungen der Stadtschreiber niederschlugen. 8077 Vorgänge zu Windecken fänden sich in den hessischen Staatsarchiven, davon allein 7165 im Hessischen Staatsarchiv Marburg sowie ein riesiger Bestand im Stadtarchiv Nidderau. „Von besonderer Relevanz für diese Darstellung der Stadtgeschichte sind die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts mit Lücken vorliegenden Bürgermeisterrechnungen“, erklärt Bus. „Sie überliefern uns nicht nur Einnahmen und Ausgaben der Kommune, sondern enthalten vielfach auch andere verwertbare Fakten.“

Dazu gehören beispielsweise die Angaben zu kommunalen Bediensteten, zu ihren Funktionen, zu ihrem Verdienst und häufig auch zu ihren Namen. Es seien Rückschlüsse etwa auf hygienische Zustände oder die kommunale Infrastruktur möglich sowie auf das Alltagsleben der Menschen. „Aufschlussreich, ausführlich, aber teilweise auch erschütternd werden uns bei der Auswertung der Archivalien die wiederholt auftretenden drastischen Einwohnerverluste der Stadt Windecken vor Augen geführt, wie es vor allem im Dreißigjährigen Krieg der Fall war.“

Misthaufen auf dem Marktplatz

„Diese Chronik richtet sich in erster Linie an alle Windecker, alte und junge, aber auch an das historisch interessierte Publikum außerhalb der Stadtgrenzen, in der Region und darüber hinaus“, heißt es in der Einleitung. Die Darstellung greift dabei auch manche interessante, bislang aber nahezu unbekannte Begebenheiten auf. „Die geneigte Leserschaft wird deshalb auch manches Amüsantes und Spannendes aus der Vergangenheit Windeckens finden, was auf den ersten Blick nicht unbedingt zu vermuten war“, verspricht Historiker Erhard Bus. „Dazu zählen der ehedem hier praktizierte Wein- und Tabakanbau.“ Interessant auch, dass sich vor einigen Grundstücken am repräsentativen Marktplatz zeitweise Misthaufen befanden. Denn manch Handwerker oder Händler war insbesondere zu den Krisenzeiten nach dem Dreißigjährigen Krieg auf die zusätzliche Selbstversorgung durch die Haltung von Kleinvieh oder Schweinen angewiesen. „Außergewöhnlich sind auch die Karrieren von einigen Windeckern im Ausland“, so Bus. „Das bedeutet allerdings keinesfalls, dass es sich um eine Aneinanderreihung von Anekdoten oder lediglich um eine auf das Geschehen rund um den heimischen Kirchturm fixierte Nabelschau handelt, die beharrlich ‘die gute alte Zeit’ beschönigt und historische Zusammenhänge außer Acht lässt.“ (jow)

Gerade zum Dreißigjährigen Krieg hat Bus in den vergangenen Jahren intensiv geforscht und Vorträge gehalten, nicht zuletzt im Rahmen des Hanauer Lamboyfests, zu dem er zwei begleitende Ausstellungen in der Marienkirche verantwortlich kuratierte. Bei der Befreiung der von General Wilhelm Lamboy belagerten Stadt im Juni 1636 spielte Windecken übrigens eine strategische Rolle. Denn vom hiesigen Wartbaum aus gab Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel mit seinem hessisch-schwedischen Entsatzheer das weithin sichtbare Signal zum Sturm auf die blockierte Stadt.

Marlen Dannoritzer stellt jüngere Geschichte dar

Eigentlich, so Bus, arbeite er irgendwie bereits seit 35 Jahren an der Chronik Windeckens. Denn viele geschichtliche Ereignisse fanden auch in der Geschichte des einstigen Grafenstädtchens ihren Niederschlag. Doch obwohl er vor einigen Jahren mit der Chronik von Klein-Auheim bereits ein vergleichbares Werk vorgelegt habe, sei die Arbeit eine Herausforderung. Immerhin gelte es, einen Zeitraum vom siebten bis zum 19. Jahrhundert zu untersuchen und darzustellen. Dabei sollte nicht nur der eigene Kirchturm in den Blickpunkt gestellt, sondern die lokalen Ereignisse, dort wo es angebracht erschien, in einen gesamthistorischen Kontext eingeordnet werden.

So war Erhard Bus auch nicht böse darum, dass mit Marlen Dannoritzer eine junge Kollegin die Darstellung der jüngeren Geschichte Windeckens übernommen hat. Bus betrachtet die Entwicklung Windeckens von der Gründung der Siedlung Tezelnheim bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Dannoritzer, die im Band „Mit betendem Herzen und helfender Hand“ bereits die Geschichte Windeckens zur Zeit des Ersten Weltkriegs beleuchtet hat, beginnt ihren Part der Chronik mit der Annexion Windeckens durch Preußen im Jahr 1866 und beschreibt dann die Geschichte des Ortes über die Reichsgründung und die beiden Weltkriege hinweg bis zur Fusion Windeckens mit Heldenbergen im Jahr 1970 mit Umbenennung auf den „Kunstnamen“ Nidderau, wie Bus sagt.

Drucklegung könnte im Herbst sein

Aktuell ist der Historiker mit der abschnittsweisen Überarbeitung des Manuskripts beschäftigt, das sich momentan im Korrektorat befindet. Für seinen Teil der Chronik gesprochen könnte sie im Frühherbst fertig für die Drucklegung sein. Nicht unterschlagen werden soll, dass die Beauftragung zur Erstellung der Chronik nicht durch die „Lebendige Stadt mit Geschichte“ aus dem Rathaus erfolgte, sondern der Verein der Heimatfreunde Windecken den Auftrag erteilte.

Ob das Werk an Weihnachten unter dem Baum liegt, wird man sehen. Die weiteren Schritte obliegen den auftraggebenden Heimatfreunden, die nicht nur angesichts steigender Papierpreise auch die Kosten kalkulieren müssen. Eines ist jedoch bereits jetzt klar: Eine solche umfassende Arbeit wird nicht für den Preis eines Taschenbuchs zu haben sein. (Von Jan-Otto Weber)

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