Nidderau: Mitglieder des Mittelaltervereins Porta Vitae entfliehen beim „Lager“ dem Alltagsstress

Zelte, vereinzelt mit Wappen geschmückt, lugen hinter Bäumen hervor. Ein Mann, verkleidet als Ritter, führt Kinder spielerisch an den Schwertkampf heran. In der Feldküche werden Kräuter klein geschnitten.
Nidderau – Constanze Pfeffer-Pendel, zweite Vorsitzende des Mittelaltervereins „Porta Vitae“, freut sich auf das erste eigene „Lager“ seit langer Zeit. Vereinsmitglieder besuchten dieses Jahr als Tagesgäste bereits einen Mittelaltermarkt auf der Loreley, um in die Zeit des Mittelalters einzutauchen. Teilweise eröffnen hier und da wieder weitere Mittelaltermärkte. „Das interne Lager können wir auf unserem eigenen von der Stadt gepachteten ein Hektar großen Grundstück abhalten“, sagt Pfeffer-Pendel.

Ihr Ehemann Stefan Pfeffer gesellt sich dazu. Er ist Kassenwart im Verein. Gelebtes Mittelalter im Lager bedeutet für die Mitglieder zusammen basteln und kochen in der Feldküche, Schwertkampf und Bogenschießen. Für die zehn Aktiven sind das viele Stunden Vorbereitungszeit. Zehn Zelte wurden aufgebaut, darunter auch das eines Baders.
Der Verein lebt die Epoche des Mittelalters etwa um 1350 nach. Früher angesiedelt ist die Gruppe „Ere Triuwe“, ein befreundeter Verein aus Dreieichenhain. Die Freundschaft besteht seit drei Jahren. Die Zeit um 1350 bezeichnet das späte Mittelalter. Es ist die Zeit des höfischen Rittertums und des städtischen Handwerkertums. Die Kleidung bestand aus Leinen, Schuhe aus Leder oder Leinen. Die wenigen Kleidungsstücke, die von Bauern getragen wurden, wurden in Truhen aufbewahrt.
Fleisch war dem Adel vorbehalten
„Menschen, die als Gefolgschaft eines Königs mitreisten, legten Wert auf praktische Dinge. Es musste alles so gepackt sein, dass es auf einem Handwagen Platz fand“, erklärt Pfeffer-Pendel. Die Ritterschaft hatte bunt bemalte Zelte, das Fußvolk weiße Zelte. Die Adeligen verfügten über ein eigenes Familienwappen, das Fußvolk reiste mit dem Wappen des Lehnsherrn oder Königs. Gegessen wurde alles, was der Boden hergegeben hat, wie Wildkräuter und Beeren. „Fleisch war den Adeligen vorbehalten. Wer Wild schoss, der wurde bestraft“, sagt Pfeffer-Pendel.

Es habe Bauern, Schmiede, Näherinnen, Köche, Müller, Bader und auch Medici gegeben. Während des Gesprächs sitzen wir auf einer selbst gebauten Holzbank. Zwischen Tontöpfen, teils mit Nüssen gefüllt, thront Peter V., ein Plüschdrache mit Kettenhemd. Er ist das Maskottchen des Vereins. „Für den Aufbau des Lagers haben wir einen Tag mit fünf bis sechs Mann Unterstützung gebraucht“, berichtet Vereinsvorsitzender Peter Ullmann. Letztendlich mache sich der Aufwand bezahlt.
Unterdessen bereiten sich drei Jungs auf ihr Bad im Holzzuber des Baders vor. „Wer es sich leisten konnte, konnte im Mittelalter gegen Bezahlung in einem Holzzuber dieser Art baden“, sagt Pfeffer-Pendel. Für den Zuber läuft ein Aggregat, das die Pumpe antreibt. Beim Blick über die Zelte fällt auf, dass eine Wahrsagerin fehlt, doch dieser Berufszweig gewann erst im Hochmittelalter zunehmend an Bedeutung.
Möbel, Pfeil und Bogen selbst gefertigt
Zum gelebten Mittelalter zählt auch das Handwerk, weshalb die Vereinsmitglieder Tische und Bänke selbst hergestellt haben sowie Pfeile und die zugehörigen Bogen. Messer wurden beim Schmied geschmiedet, Kleider genäht sowie Ledertaschen und Halsbänder für Hunde in Heimarbeit gefertigt. Die Ergebnisse werden beim Stammtisch präsentiert, und dann darf gefachsimpelt werden.

Es gibt auch Workshops. „Mich hat immer fasziniert, dass die Leute ein einfaches Leben geführt haben. Zur Leidenschaft für das Mittelalter bin ich über Fantasy-Rollenspiele, Filme und Romane gekommen. Ton, Leder, das Natürliche haben mich interessiert“, sagt Pfeffer-Pendel. „Bei mir war es ein Kindheitstraum“, ergänzt Ullmann. Ritter, Mittelalter, das Historische haben ihn interessiert, das Erleben des Mittelalters.
„Es ist ein Hobby, das in der heutigen Zeit definitiv entschleunigt“, erklärt Pfeffer. Das Reizvolle sei, nicht nach einem bestimmten Tagesablauf leben zu müssen. Doch ein bequemes Leben sei es damals nicht gewesen. Großvolumig und schwer waren die Möbel. Heute verbinde man den Bau mit modernen Stecktechniken zum leichteren Transport. Das sei das Schöne, das Alte mit dem Neuen zu verknüpfen und eigene Erfahrungen zu machen. Markus Köhler-Schmidt aus dem Rodgau, der der Gruppe „Ere Triuwe“ angehört, gibt Auskunft über den Kampf mit Langschwertern. Die Stahlschwerter haben ein Gewicht von bis zu eineinhalb Kilogramm. Sie sind mittelalterlichen Schwertern nachempfunden, die Klinge ist allerdings stumpf. „Mit einem solchen Schwert hätte man auch im 14. Jahrhundert gefochten. Es sind Duelltechniken, die nicht für das Schlachtfeld gedacht waren“, erläutert Köhler-Schmidt. Im Laufe der Zeit lerne man, was funktioniere und was nicht. Den Schwertkampf könne man auch als Vollkontaktsport oder Kampfkunst betreiben. Viele Möglichkeiten also, sich im „Mittelalter“ auszuleben. (Von Georgia Lori)