Niddertalbahn: Mit dem „Lieschen“ in die Miniatur-Welt nach Glauburg-Stockheim

Das „Stockheimer Lieschen“ ist Kult. Auf Facebook hat die Strecke zwischen Glauburg-Stockheim und Bad Vilbel, die offiziell Niddertalbahn heißt, eine eigene Gruppe, auf der sich auch Mitfahrer aus Nidderau, Schöneck und Niederdorfelden austauschen. Für großes Aufsehen hat beispielsweise die Neujahrsfahrt des Vereins Historische Eisenbahn Frankfurt mit einer Dampflok Baujahr 1943 gesorgt, die von vielen Gruppenmitgliedern entlang der Strecke in Fotos und Videos festgehalten wurde.
Region Hanau – Kult ist auch der Ursprung der liebevollen Bezeichnung „Stockheimer Lieschen“. „Als der Stockheimer Bahnhof noch in Betrieb war, gab es dort eine Gaststätte mit Durchreiche von der Küche in den Wartesaal der 1. Klasse“, berichtet Matthias Koch, einer der heutigen Besitzer des denkmalgeschützten Gebäudes. „Die Wirtin hieß Liesel Brand und viele, die mit der Bahn unterwegs waren, ob Personal oder Fahrgäste, fuhren zum ‘Stockheimer Lieschen’ und kehrten dort ein.“

Eine Gaststätte gibt es heute nicht mehr. Dafür lockt der Bahnhof Stockheim Ausflügler aus dem Main-Kinzig- und dem Wetteraukreis mit einer anderen Attraktion: einem weitläufigen Modellbahnhof mit mehreren Anlagen und vielfältigen weiteren Ausstellungsstücken. Im Sommer 2019 stellten die Modellbahnenthusiasten Matthias Koch und Harald Steinke die entscheidenden Weichen für den Fortbestand ihres Projekts durch die Umwandlung ihrer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu einem Verein.
Seit dem Kauf des ehemaligen Bahnhofsgebäudes durch den damaligen Prokuristen und den Bezirksschornsteinfeger sind gut 15 Jahre vergangen. In dieser Zeit haben sie den denkmalgeschützten Bau von 1870 in ein Schmuckstück verwandelt, in das viel Liebe, Arbeit und noch mehr Investitionen geflossen sind. Unzählige Gespräche waren notwendig, um nicht nur das notwendige Kapital sicher zu stellen, sondern auch die Genehmigungen für Um- und Ausbauten zu bekommen.
Eine gute Vernetzung in der Region half Koch und Steinke auch schier unüberwindliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Sichtbares Zeichen ist ein Schaukasten, in dem verschiedene Dampflokomotiven und Wagen aus dem Besitz des ehemaligen Wetterau-Landrats und Modellbahners Rolf Gnadl (1992 bis 2008) als Leihgaben ausgestellt sind.
Der Start des Vereins 2019 verlief aber wegen der Pandemie alles andere als geplant. Nur mit Überbrückungshilfen konnten Koch und seine Mitstreiter bislang die Krise überstehen. Die Ausstellung jedenfalls ist in den vergangenen Jahren gewachsen.
Der Ausbau des ersten Stocks hat Platz geschaffen für eine kleine Bibliothek, einen Schauraum für Modellautos und ein funktionsfähiges Originalmodell einer Autoproduktionsstraße von Siemens für Audi, kleinen Modellanlagen und einer umfangreichen Sammlung von LGB-Modellen (Lehmann Garten Bahn).

Hier nimmt auch das Projekt von Lukas Koch und Steven Rüppel seit zwei Jahren Gestalt an: Eine ICE-Schnellbahntrasse, die in eine abgespeckte Version des Frankfurter Hauptbahnhofs mit Zufahrten in Richtung Nord und Süd mündet. Alle drei Ebenen mit DB-Bereich, S-Bahn und U-Bahn sollen im Endausbau sichtbar sein, die S-Bahnstation Holzhausenstraße haben die Modellbauer bereits nachgebildet. Viel Liebe zum Detail prägt diese Anlage, und mit „satellitengestützter“ Technik werden Autos wie von Geisterhand auf den Straßen bewegt. „Bis zur Fertigstellung, zu der auch ein Abschnitt des Mainufers mit der Hafenbahn gehören soll, werden wohl noch anderthalb Jahre vergehen“, schätzt der angehende Bauingenieur Koch, Sohn des Vereinsvorsitzenden. Im Obergeschoss lagert eine Anlage in Spur HO, die vor Kurzem in drei Teilen aus Frankfurt nach Stockheim geholt wurde. „Das ist ein Nachlass eines Modellbauers, dessen Erben uns die Anlage angeboten haben. Der Abtransport war nicht einfach, aber wir haben es mit Millimeterarbeit hinbekommen, und die jahrzehntelange Arbeit wird in unseren Räumen bald wieder funktionsfähig zu sehen sein“, freut sich Koch.
Überhaupt bedenken immer mehr Modellbauer in ihrem Nachlass den Modellbahnhof, der dadurch schon zu schönen Sammlungen von Rollmaterial, Gleismaterial, Digitalausrüstung und Büchern gekommen ist. „Es ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Die oft über viele Jahrzehnte gewachsenen Sammlungen bleiben zusammen und wir können unser Portfolio an Attraktionen erweitern“, so Koch.

Insgesamt wartet der Modellbahnhof Stockheim mit vier großen Anlagen auf. Neben dem Nachbau der Vogelsbergbahn mit einer Fläche von 65 Quadratmetern und dem Neubau Frankfurt (etwa 15 Quadratmeter) schließen sich in einem überdachten Freibereich die 250 Quadratmeter große und anschließend im Freigelände weitere 600 Quadratmeter LGB-Anlagen mit Strecken aus der Schweiz an. Der original nachgebaute Kreisviadukt in Brusio auf der Strecke St. Moritz – Tirano ist einer der Hingucker, aber auch sonst geizt diese Anlage nicht mit Höhepunkten. „Auf den Schweiz-Strecken kommen wirklich nur solche Loks und Wagen zum Einsatz, die im Original dort auch verkehren. Darüber wacht mein Sohn mit Argusaugen“, stellt Koch augenzwinkernd fest. „Lukas baut mit CAD-Programmen und 3D-Druckern alles nach, was es nicht zu kaufen gibt. Er macht auch nicht vor Umbauten von Loks halt, wenn es nötig ist, um sie für unsere Anlagen zu modifizieren“, berichtet der Vater stolz.
„Wir hoffen jetzt, dass uns die Pandemie nicht noch einmal einen Schließung beschert, das würde uns in extreme Schwierigkeiten bringen“, meint Koch. Denn der Verein mit Mitgliedern und Unterstützern auch aus dem Main-Kinzig-Kreis wie Hanau, Schöneck oder Gelnhausen hat sich für dieses Jahr noch viel vorgenommen. Das Bahnhofsfest Ende April, die „Nächte im Museum“ mit besonderen Illuminationen oder die Führungen für Gruppen, Kindergärten und Schulklassen außerhalb der Öffnungszeiten. „Und im Keller sollen für Kinder eine Playmobilanlage und kleinere Schauanlagen entstehen.“
Von großen und kleinen Zügen
Die Niddertalbahn, eine 31 Kilometer lange eingleisige Strecke nach Stockheim, die in Bad Vilbel von der Main-Weser-Bahn abzweigt, wurde in zwei Etappen gebaut. 1905 wurde der Abschnitt vom Bahnhof Heldenbergen-Windecken (heute Nidderau), wo die Strecke Friedberg–Hanau kreuzt, nach Stockheim und zwei Jahre später die Verbindung Heldenbergen-Windecken nach Bad Vilbel eröffnet.
In Stockheim besteht Anschluss an die Strecke Gießen–Gelnhausen. Erbauer und Betreiber war die Preußisch-Hessische Eisenbahngemeinschaft. Der Bahnhof in Stockheim wurde am 1. Oktober 1870 mit der Inbetriebnahme des ersten Abschnitts der Lahn-Kinzig-Bahn von Büdingen nach Nidda eingeweiht. Nach dem Bau der Oberwaldbahn nach Lauterbach (1888) und der Niddertalbahn 1907 war Stockheim ein wichtiger Umsteige- und Umschlagplatz für Personen und Güter.
Der Bahnhof Stockheim wurde im März 2006 von Matthias Koch und Harald Steinke gekauft. Erste Besucher konnten die Schauanlage im Frühjahr 2007 anlässlich des „Stockheimer Bahnhofsfests“ zur 100-Jahr-Feier der Niddertalbahn besichtigen, offizielle Eröffnung war gut ein Jahr später. Der Modellbahnhof hat samstags von 14 bis 17 Uhr und sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Für Gruppen, Kindergärten und Schulklassen können Termine wochentags vereinbart werden. Für die Zukunft erhoffen sich die Initiatoren einen Besucherschub durch die geplante Elektrifizierung der Niddertalbahn, der Ende 2027 abgeschlossen sein soll. (tse)