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Der Rodenbacher Horst Wende baute sich einen Demonstrationsständer, um der Frage nachzugehen

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Von: Patricia Reich

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Horst Wende zeigt hier, dass ein Rad die Eigenschaften eines Kreisels hat.
Horst Wende zeigt hier, dass ein Rad die Eigenschaften eines Kreisels hat. © Privat

„Wie funktioniert Freihandfahren mit dem Fahrrad?“ – Diese Frage stellte sich Horst Wende und fing an, nachzuforschen. Der 83-jährige Niederrodenbacher ist seit seiner Kindheit ein begeisterter Fahrradfahrer, auch wenn er erst spät in den Besitz eines eigenen Fahrrads kam.

Rodenbach – „Meine Eltern sind 1945 nach dem Krieg aus Schlesien nach Bayern geflohen und nicht jeder hatte damals ein Fahrrad, vor allem nicht ich als Flüchtlingsjunge. Ich bin in armen Verhältnissen groß geworden“, erzählt Wende in einem Gespräch mit unserer Zeitung.

Freihändiges Fahrradfahren als Königsklasse

Geübt wurde mit Herrenrädern der Erwachsenen – nicht immer mit einer Erlaubnis. Aus Resten habe er als Schuljunge versucht, Fahrräder selbst zu bauen, teils mit Erfolg. Auch selbst repariert habe er die Räder. Zur Konfirmation im Alter von 14 Jahren konnte er dann ein Fahrrad sein eigen nennen. Freihändig fahren gehörte zur Königsklasse und wurde fleißig geübt.

Radtouren durch Europa

Nach seiner Mechanikerlehre in Bayern studierte Wende in Kassel und schloss als Diplom-Maschinenbauer ab. Sein Hobby hat ihn stets begleitet: 25 Jahre lang machte er mit seiner Ehefrau und weiteren befreundeten Ehepaaren einmal jährlich eine große Fahrradtour. „Meist waren wir 14 Tage unterwegs, nach Italien, Frankreich, an die Nord- und Ostsee und durch Ostdeutschland“, zählt er auf.

Die Erinnerungen daran hängen an seinem Arbeitszimmer an der Wand – 25 Fotos, nach Jahren sortiert. „2021 sind wir die letzte Tour gefahren. Jetzt machen wir das nicht mehr“, erzählt Wende.

Wie funktioniert Freihandfahren genau?

Genau in diesem Jahr fing die Frage, wie Freihandfahren überhaupt funktioniert, an, ihn intensiv zu beschäftigen. Schnell realisierte er, dass es nicht mit dem Satz „Man nimmt die Hände vom Lenker und fährt einfach weiter“ beantwortet ist.

„Wie kommt es dazu, dass das Vorderrad nach links schwenkt, wenn der radelnde Radler eine Neigung nach links einnimmt und wie kommt er aus der minimalen Schräglage wieder heraus?“, sind eine von mehreren Fragen, die er sich konkret stellte.

Bei dem Demonstrationsmodell wurde alles bedacht: Per elektrischem Antrieb lässt sich das Vorderrad per Regler auf 30 km/h beschleunigen. Allein um ein schräges Loch zu bohren, bedurfte es einer ausgetüftelten Vorrichtung.
Bei dem Demonstrationsmodell wurde alles bedacht. © Privat

Versuchsmodell gibt Aufschlüsse

Zunächst besorgte er sich eine Reihe an Fachbüchern zur Fahrradphysik. „Es interessierte mich aber nur das Fahrrad, dazu gab es nur bedingt Informationen“, erzählt Wende. Und da er sich nicht selbst beim Radfahren beobachten konnte, musste ein Versuchsmodell gebaut werden. „Ich wollte die Vorgänge beobachten können. Das Vorderrad war dabei am wichtigsten, weil man damit lenken kann.“

Einen Plan zu entwickeln, wie genau das Ganze gebaut werden kann, habe am längsten gedauert. Der Aufbau selbst war innerhalb von drei Monaten vollzogen.

Auf dem Demonstrationsständer lässt sich eine freihändige Kurvenfahrt realistisch nachstellen.
Auf dem Demonstrationsständer lässt sich eine freihändige Kurvenfahrt realistisch nachstellen. © Patricia Reich

Beschleunigung auf 30 Stundenkilometer

Seitdem steht in seinem Keller ein selbstkonstruierter Ständer, der das Versuchsfahrrad fixiert. Eine eingefügte Kette am Vorderrad wird elektrisch angetrieben und bringt es in Bewegung. Per Regler kann Wendel das Rad vor- und rückwärts auf 30 Stundenkilometer beschleunigen.

Um genau zu sehen, wie das Rad reagiert, lässt sich die Konstruktion auch seitlich kippen sowie das Vorderrad ausspannen. „Die Fliehkraft drückt das Rad in der Kurve nach außen, daher kann bei hoher Geschwindigkeit auch freihändig eine Kurve gefahren werden“, fasst Wendel seine Forschungsergebnisse grob zusammen.

Ausarbeitung der Beobachtungen und Ergebnisse

Wie sich die physikalischen Kräfte auf das Freihandfahren auswirken, hat Wende detailliert auf neun Seiten ausgearbeitet. Da geht es um das Fahrrad als einspuriges Fahrzeug und die Balance und darum, wie das Balancieren mit dem Lenker funktioniert und um den Kreisel und die Präzession (die bei der Auflösung der Frage eine wichtige Rolle spielt).

Im weiteren Verlauf wird auf das Freihandfahren eingegangen und auf das Balancieren durch Gewichtsverlagerung sowie auf den Nachlauf als wichtiges Konstruktionsdetail. Am Ende der Ausarbeitung sind die Erkenntnisse gesammelt zusammengefasst.

„Es ist eine Spielerei, so was zu bauen, um die Präzession vorzuführen, ohne selbst das Rad anzutreiben“, kommentiert Wende seine Konstruktion. „Es ging mir einfach darum, herauszufinden wie das funktioniert.“

Zwei Schulen habe er angeschrieben und ihnen angeboten, seine Konstruktion für den Physikunterricht zur Verfügung zu stellen. Die hatten allerdings keinen Bedarf. Wer sich aber seine Forschungsarbeit genau durchlesen möchte, kann sich direkt an ihn (über Internetsuchmaschinen ist die noch gültige Telefonnummer seines ehemaligen Unternehmens hinterlegt) oder an unsere Redaktion wenden. (Von Patricia Reich)

Der selbst konstruierter Kettenantrieb wird mit Strom betrieben und treibt das Rad an.
Der selbst konstruierter Kettenantrieb wird mit Strom betrieben und treibt das Rad an. © Patricia Reich
Per Regler lässt sich das Vorderrad auf 30 Stundenkilometer beschleunigen.
Per Regler lässt sich das Vorderrad auf 30 Stundenkilometer beschleunigen. © Patricia Reich
Allein um ein schräges Loch zu bohren, bedurfte es einer ausgeklügelten Vorrichtung.
Allein um ein schräges Loch für den Fahrradständer zu bohren, bedurfte es einer ausgeklügelten Vorrichtung. © Patricia Reich

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