Rodenbach: Rat suchen bei den Anonymen Alkoholikern

„Hallo. Ich bin Karin und Alkoholikerin.“ Mit diesen Worten eröffnet die Leiterin der Rodenbacher Gruppe der Anonymen Alkoholiker jeden Freitag die Gesprächsrunde.
Rodenbach - Am Telefon erzählt Karin – deren Name zu ihrem Schutz und der ihrer Familie geändert wurde – über die Anonymen Alkoholiker, warum eine Gruppe wie die in Rodenbach wichtig ist, über ihren persönlichen Lebensweg in Bezug auf die Sucht und welche Auswirkungen die Pandemie und die kommenden Feiertage haben.
Doch gleich zu Beginn des Gesprächs stellt sie klar: „Wir sind keine Sekte oder religiöse Gemeinschaft.“ Entstanden sind die Anonymen Alkoholiker, kurz AA genannt, in Amerika. „1935 haben ein Börsenmakler und ein Arzt die Gruppe gegründet. Sie waren Alkoholiker und wurden von Behörden und Entzugskliniken abgewiesen. Dann merkten sie, dass sie nichts trinken müssen, wenn sie darüber sprechen.“ Da die Methode, die an der Oxford-Bewegung angelehnt war, sich als effektiv erwies, nahm die Zahl der Mitglieder der Selbsthilfeorganisation rasant zu und weltweit gründeten sich lokale Gruppen.
„Alkoholismus ist eine Krankheit“
„Es ist eine Gemeinschaft entstanden. Früher waren es fast nur Männer, heute ist der Anteil von Frauen und Männern 50 zu 50“, ergänzt Karin den Einblick in die Entstehungsgeschichte. „Ich selbst habe rund um die Uhr getrunken und bin seit 25 Jahren trocken. Die Gruppe ist eine Lösung für Menschen, die noch trinken müssen. Denn Alkoholismus ist eine Krankheit“, fasst sie die Kernauffassung der AA zusammen. „Wenn wir sprechen, müssen wir nicht saufen. Wir werden da verstanden.“ Es sei wie bei Diabetikern, die unterzuckert sind. Nur andere Diabetiker könnten wissen, wie das sei und wovon der Betroffene spreche, führt sie einen Vergleich an.
Nach Deutschland kamen die AA 1953 durch die Soldaten, erzählt Karin weiter. 1990 schloss sich der deutschsprachige Raum zusammen. Der Hauptsitz der Selbsthilfeorganisation ist in New York. Erst vor Kurzem sei Karin dort gewesen und habe einem AA-Meeting beigewohnt. „Die Meetings sind alle gleich. Wir alle duzen uns, kennen nur die Vornamen. Beruf oder Wohnort ist egal. Es verbindet uns nur die Krankheit, alles andere spielt keine Rolle.“
Weiterhin ein Tabuthema
Das Problem sei, dass man erst viele Jahre trinken müsse, bis man erkenne, dass man die Krankheit habe, erläutert Karin. „Es ist ein Tabuthema und Alkoholiker werden oft von anderen, meist der Familie, gedeckt, die die Krankheit nicht wahrhaben wollen. Bis es eskaliert.“ Als Trinker müsse man zunächst am absoluten Tiefpunkt ankommen. Man müsse kapitulieren und zugeben, dass man machtlos gegenüber dem Alkohol sei, erst dann könne eine Genesung, das Trockenwerden, beginnen. Und das erfolgt bei den AA über ein Zwölf-Schritte-Programm.
Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Genesung sei der Glaube an etwas Größeres, etwas Höheres, erklärt Karin. Dabei gehe es um keine konkrete Religion, Kirche oder der Glaube an einen bestimmten Gott. „Es geht in unserem spirituellen Programm um den Glauben, dass es etwas gibt, das größer ist als ich und mir die Kraft gibt, das Glas stehen zu lassen.“ Dieser Glaube verbinde alle Mitglieder. „Ich habe 15 Jahre trinken müssen, bis ich kapituliert habe und ohne den Glauben an eine höhere Kraft hätte ich es nicht geschafft.“
Karin war alleinerziehend, hatte zwei kleine Kinder und hat viel gearbeitet, als sie beschloss, trocken zu werden. „Da war viel zu tun.“ Damals war sie 30 Jahre alt, erlitt nach vier Jahren einen Rückfall. Alkoholiker, so Karin, seien dreigeteilt, seien körperlich, seelisch und geistig krank. „Ich war dann zwar trocken, habe aber nicht aufgehört, mein Verhalten zu ändern. Ich fühle anders, bin viel sensibler und habe meine Sucht verlagert. Viel geraucht, wieder aufgehört, Essstörungen gehabt und dann viel gearbeitet. Im vergangenen Jahr hatte ich dann einen Zusammenbruch. Ich war krank im Denken und zwanghaft. Wenn man einmal Alkoholiker ist, ist man es für immer, auch trocken.“ Meist gebe es auch nie nur einen Alkoholkranken in der Familie. „Da sind die Eltern, Großeltern oder der Neffe“, zählt sie auf. Eine Sponsorin half ihr, das alte Leben aufzuräumen und Wiedergutmachung bei den Menschen zu leisten, die sie verletzt hatte.
In Rodenbach treffen sich meist trockene Alkoholiker
In Rodenbach seien es meist trockene Alkoholiker, die zu einem Meeting kommen. „Vier bis acht Personen, manchmal zehn.“ Die Meetings laufen immer gleich ab. „Wir lesen unsere Präambel vor und gehen die zwölf Schritte durch, das ist Tradition, um die Gemeinschaft zusammenzuhalten und die Hand auszustrecken.“ Danach folgt ein Rundgespräch, das damit beginnt, dass derjenige seinen Vornamen nennt und sich zum Alkoholismus bekennt. „Dann berichtet jeder, was ihn die Woche bewegt hat. Man spricht nur von sich selbst, nicht über andere oder über andere Themen. Es gibt auch keine Diskussionen.“ Karin ist die Leiterin der Gruppe, nimmt Wortmeldungen entgegen und führt durch den Ablauf. Das Blaue Buch, „die Bibel“, wie Karin das Buch der Anonymen Alkoholiker nennt, ist der Grundlagentext der AA und in den Meetings immer präsent. Nach 90 Minuten schließt das Treffen mit einem Gelassenheitsgebet. Meist spenden die Teilnehmer noch etwas, denn „wir nehmen keine Spenden von außen an und erhalten uns durch eigene Spenden“.
Die Gruppenleitung hat man nur ein oder zwei Jahre inne, dann wird gewechselt. „Das macht man, um keine Hierarchien zu haben“, erklärt Karin. „Wir sind alle auf Augenhöhe.“
Wer Hilfe braucht, sucht sich einen Sponsor. „Meist sponsoren Frauen Frauen und Männer Männer. Ein Sponsor arbeitet die zwölf Schritte mit einem durch, liest gemeinsam im Blauen Buch und teilt die Erfahrung, wie er sein Leben meistert.“
Karin trifft sich jeden Morgen für zehn bis 15 Minuten über Zoom mit ihrer Sponsorenschwester, liest und betet mit ihr gemeinsam aus dem Blauen Buch und meditiert. „Das ist mein Einstieg in den Tag. Danach versuche ich, ein oder zwei Frauen anzurufen und zu hören, wie es ihnen geht.“
Das Treffen über Zoom ist der Pandemie geschuldet, die auch große Auswirkungen auf die Gruppe hat. „Die Gefahr der Rückfälle ist relativ hoch. Lange gab es keine Präsenzmeetings und nicht jeder mag ein Treffen über Zoom. Der Austausch mit anderen Alkoholkern war nicht da und so konnten auch keine Lösungen gefunden werden. Viele sind ängstlich und verbittert geworden und nicht so glücklich, froh und frei wie ich. Die Gefahr ist groß, dass sie im eigenen Elend hängen bleiben und nicht zum Telefon greifen, um sich bei mir oder anderen Hilfe zu holen.“ Zum Glück, sagt Karin, könnten nun wieder Treffen in Rodenbach stattfinden. Ab zehn Teilnehmern gelten die 2G-Regeln, darunter 3G.
Rat: Als Betroffener einfach mal bei den AA-Treffen vorbeischauen
Karin ist überzeugt, dass es noch viel mehr Alkoholiker gibt. „Die können sich einfach melden oder einmal zu einem Meeting kommen und es sich anschauen.“ Betroffene müssten nur den Mut haben und anrufen, vor allem zu Zeiten, wo es gefährlich ist und der Drang, etwas zu trinken, stärker wird. Denn „das Suchtgedächtnis ist immer da.“
Weitere Informationen
Die Anonymen Alkoholiker treffen sich jeden Freitag von 19 bis 20.30 Uhr im evangelischen Gemeindehaus an der Gartenstraße 2. Wer Fragen hat, kann sich telefonisch unter Telefon 0176 42015558 melden. Zudem gibt es auch Selbsthilfegruppen für die Angehörigen (Al-Anon) und die Kinder (Alateen) von Alkoholikern. » anonyme-alkoholiker.de
Von Patricia Reich
