„Das ist erschreckend“: Reichsbürger-Treffen trotz Lockdown in der Ronneburg-Gastronomie

Trotz Lockdown treffen sich zahlreiche Reichsbürger auf der Ronneburg im Main-Kinzig-Kreis. Die Mitarbeiter der Burg zeigen sich bestürzt. Es war aber nicht das erste Treffen.
Ronneburg – Am 30. Januar 2021 ist Lockdown, die Gastronomie ist geschlossen. Doch nicht überall. Denn durch ein Amtsgerichtsverfahren in Gelnhausen ist nun bekannt geworden, dass es in den Räumlichkeiten des Ronneburger Burgrestaurants eine Zusammenkunft gab, in die zwei Polizisten „hineinplatzten“.
Dass sie in einer Veranstaltung des „Vaterländischen Hilfsdienstes“ landeten, wie ein Polizist als Zeuge aussagt, sei ihnen erst vor Ort klar geworden. Dass sich Reichsbürger in Ronneburg versammeln, sorgt seitdem für viel Wirbel im Ort. Das Ysenburger Fürstenhaus ist genauso erzürnt wie die Ronneburger Kommunalpolitik, der Staatsschutz ermittelt.
Doch es war kein Einzelfall, wie Recherchen das HA nun zeigen. So kamen die Mitglieder des „Vaterländischen Hilfsdienstes“, der der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene zuzuordnen ist, mindestens noch zwei weitere Male zu Treffen in die Räumlichkeiten des Restaurants Ronneburg: Am 11. Oktober sowie am 4. Dezember 2020.
Reichsbürger in Ronneburg (Main-Kinzig-Kreis): Trotz Lockdown bis Mitternacht „Eide“ geschworen
Brisant: Auch der Verfassungsschutz streift durch die Welt der Reichsbürger. „Die Reichsbürger-Gruppierung „Bismarcks Erben“, die auch unter den Namen „Ewiger Bund“ und „Preußisches Institut“ sowie insbesondere in Form ihrer Unterorganisation „Vaterländischer Hilfsdienst“ (VHD) auftritt, besteht seit Sommer 2018“, heißt es im aktuellen hessischen Verfassungsschutzbericht.
Über den Ort ihrer Treffen schweigen die „Kaiserlichen“ auf ihrer Homepage. Doch auf den Fotos, auf denen sie teilweise mit der Fahne des Deutschen Reichs posieren, ist eindeutig der Bandhaussaal zu erkennen. Den Reichsbürgern scheint es gut gefallen zu haben: „Der Tag wollte kein Ende nehmen, so traten die letzten Teilnehmer erst gegen Mitternacht die Heimreise an“, heißt es auf der Homepage.
Eide wurden geschworen, und alles deutet auf eine Bewirtung hin: „Kaffee, Kuchen, kühle Getränke und warme Gerichte vom Grill sorgten, wie angeregte Gespräche, für eine stimmungsvolle Atmosphäre.“
Reichsbürger in Ronneburg (Main-Kinzig-Kreis): Museumsleiter fürchtet um Ansehen der Burg
Davon hält Museumsleiter Marcus Hofer gar nichts: „Wir sind auf der Burg komplett a-politisch und wollen den Rechtsstaat nicht beschädigt wissen. Wir sind eine Familien-Erholungsstätte und ein toleranter Ort“, fürchtet er um das Ansehen der Ronneburg.
„Vaterländischer Hilfsdienst“ und Reichbürger: Vom Verfassungsschutz beobachtet
Nach den Vorstellungen des „Vaterländischen Hilfsdienstes“ gehört der Main-Kinzig-Kreis angeblich zum „Armeekorpsbezirk 18“ (Frankfurt). Denn: Das Deutsche Reich bestehe weiter mit seiner Verfassung vom 16. April 1871. Daher seien die damaligen Gesetze auch weiter gültig. Was zum Schmunzeln anregt, ist für den Verfassungsschutz offenbar besorgniserregend. In den Jahren 2019 und 2020 habe die Szene der „Reichsbürger“ einen starken Mitgliederzuwachs gehabt. Wer sich mit der Szene beschäftigt, erkennt bald, warum der Verfassungsschutz am Ball bleibt: Dort gibt es dreierlei Personengruppen: Zum einen die Geschäftemacher. Sie haben gelernt, dass in der Reichsbürger-Szene Geld zu verdienen ist. Sie drucken „Reichs-Führerscheine“, Abstammungsnachweise und ähnliche „Dokumente“. Gegen gutes Geld. Zum Zweiten: Die Überforderten. Sie halten den Laden wirtschaftlich am Laufen. Menschen, die von einer immer komplexer werdenden Welt überfordert sind und irgendwann, von einer Verschwörungstheorie angelockt, bei den Reichsbürgern landen.
Zuletzt: Die Gefährlichen. Gewaltbereite Rechtsradikale. Der Verfassungsschutz meint: Die Szene der „Reichsbürger“ ist „in ihrer Gesamtheit als staatsfeindlich einzuordnen“. (duw)
Am Treffen des VHD im Januar nahm auch Frank Stickelmayer teil. Er hat zu den Geschehnissen an diesem Tag eine gänzlich andere Sicht, als die Polizisten: „Das war kein Treffen des Vaterländischen Hilfsdienstes, sondern ein Parteigründungstreffen“, sagt er. Die Partei trage den Namen „Freiheit 1871 – Die Partei der Monarchie der Zukunft“ und stehe nach eigenem Bekunden auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Man sei indessen aber der Überzeugung, dass längst überfällige Korrekturen an dem derzeitigen Verfassungsmodell vorgenommen werden müssten.
Reichsbürger in Ronneburg (Main-Kinzig-Kreis): Kontakt zu NPD-Geschäftsführer?
Eine „konstitutionelle Monarchie“ sei die Lösung. Man sei mit einem solchen Anliegen weder Reichsbürger noch rechtsradikal. Einen Anhaltspunkt zur Ausrichtung der Gruppierung liefert ein Blick in die Mitgliederliste des Telegram-Chats: Dort findet sich unter anderen auch Daniel Lachmann, Geschäftsführer der NPD Hessen.
Als Parteiveranstaltung habe das Treffen auf der Ronneburg Ende Januar vergangenen Jahres stattfinden dürfen, behauptet Stickelmayer. Dass die Polizei die Veranstaltung aufgelöst habe, sei „nicht rechtmäßig“. Um dem Wirt keine Schwierigkeiten zu bereiten, würde man wegen Räumlichkeiten auch nicht mehr dort anfragen.
Reichsbürger in Ronneburg (Main-Kinzig-Kreis): Was wusste der Pächter?
„Für mich waren das ganz normale Anmeldungen“, sagt Restaurantpächter Mario Zinkhan auf Nachfrage. „Ich kann nicht alle Gäste hinterfragen, was die für ein Gedankengut haben.“ Der Veranstalter hätte zugesichert, dass alles corona-konform ablaufen werde, Bewirtung habe es von seiner Seite während der Veranstaltungen im Lockdown keine gegeben.
Aber die Zusage, dass sich die Gäste nach dem Zusammentreffen im Januar mit „Essen to go“ versorgen könnten. „Dazu kam es aber nicht mehr, weil dann die Polizei kam.“ Darüber, was da für eine Gruppierung tagte, sei Zinkhan nicht informiert gewesen, sagt er – das habe er erst später vom Bürgermeister erfahren.
In einer Stellungnahme schreibt er: „Wochen nach der Veranstaltung bin ich dann darauf aufmerksam gemacht worden, dass es sich bei der Veranstaltung um Reichsbürger gehandelt haben soll. Auf Nachfrage beim Veranstalter wurde dies von ihm verneint (. . . ) Danach habe ich erst wieder durch den Zeitungsartikel von der Sache was gehört, gelesen.“ Klar sei, dass er künftig dem „Vaterländischen Hilfsdienst“ keine Räumlichkeiten mehr zur Verfügung stellen werde.
Reichsbürger in Ronneburg (Main-Kinzig-Kreis): „Sei gegrüßt, mein Lieblingswirt.“
Dass Zinkhan nicht gewusst haben will, welche Gruppierungen da unter seinem Dach tagen, mutet befremdlich an: Schließlich findet er sich unter den 68 Mitgliedern der öffentlichen Telegram-Gruppe, die sich „Freiheit 1871“ angeschlossen haben. Er trat im März 2021 der Gruppe bei und wurde von Stickelmayer mit dem Text willkommen geheißen: „Sei gegrüßt, mein Lieblingsgastwirt.“ Das zeigen Chats, die der Redaktion vorliegen.
Auf politischer Ebene sind die Verantwortlichen umgehend aktiv geworden. Bürgermeister Andreas Hofmann (SPD) hatte sich im März vergangenen Jahres an die Burgherren, das Ysenburger Fürstenhaus, gewandt, um dieses über die Vorgänge zu informieren.
Reichsbürger in Ronneburg (Main-Kinzig-Kreis): Bürgermeister fürchtet um guten Ruf
Es gab innerhalb von vier Stunden eine Antwort, die besagt, dass es mit den Traditionen des Fürstenhauses vollkommen unvereinbar sei, dass sich Rassisten und Rechtsradikale dort treffen und sich organisieren können. Bei Zuwiderhandlung drohten dem Wirt als Pächter vertragsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung. Allein schon die sehr schnelle Rückmeldung mache deutlich, wie wichtig diese Abgrenzung dem Fürstenhaus sei, so Hofmann: „Wir sind sehr bestürzt. Wenn man sieht, mit welchem Gedankengut und welchen Symbolen da umgegangen wird, das ist erschreckend.“
Hinter dem schönredenden Begriff „Vaterländischer Hilfsdienst“ verberge sich „ein ganz anderes Gedankengut“. Für Hofmann ist klar: „Das ist ein Thema für die Polizei und den Staatsschutz, wenn sich antidemokratische Kräfte zusammenfinden.“ Das Problem: „Wir müssen von den Zusammenkünften erst einmal Kenntnis erlangen. Für uns sind das nicht gemeldete Veranstaltungen.“
„Die Burg soll nicht zu einem Objekt werden, das man als touristischen Ort in Zusammenhang bringt mit Rechtsradikalen. Es hätte jedem klar sein müssen, dass so etwas im Eklat endet. Ich bin sehr enttäuscht, das zur Kenntnis nehmen zu müssen“, sagt Hofmann: „Wir wollen nicht, dass antidemokratischen, nationalen und rassistischen Menschen eine Halle gegeben wird, die nichts anderes wollen, als das demokratische System zu unterlaufen.“ (Andrea Euler)
Viele Reichsbürger nehmen an den so genannten „Spaziergängen“, einer Querdenkerbewegung, teil, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Diese führen vielerorts im Main-Kinzig-Kreis zu gewalttätigen Übergriffen, verbalen Attacken und sonstigen Angriffen gegenüber Sicherheits- und Ordnungskräften sowie politischen Mandatsträgern.