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„Frauen sollen nicht im Schatten der Männer stehen“

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Von: Christine Semmler

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Eine Frau, die Familie, Hochschul-Karriere und Ehrenamt in der Frauenorganisation zusammenbringt: Nida Hirsch, Vize-Generalsekretärin in der Lajna Imaillah, der Frauenorganisation der Ahmadiyya-Muslime.
Eine Frau, die Familie, Hochschul-Karriere und Ehrenamt in der Frauenorganisation zusammenbringt: Nida Hirsch, Vize-Generalsekretärin in der Lajna Imaillah, der Frauenorganisation der Ahmadiyya-Muslime. © Christine Semmler.

Nida Hirsch erinnert sich noch gut an die langen Busfahrten von Ostheim in die Hanauer Innenstadt. „Bestimmt zweimal die Woche hat meine Mutter mich und meine drei Brüder früher nach Hanau in die Ahmadiyya-Gemeinde mitgenommen“, berichtet die 26-Jährige, die in Nidderau aufgewachsen, später in Hanau zur Schule gegangen ist. Bei diesen Besuchen habe sich ihr Glauben gefestigt, genau wie ihre Überzeugung, dass Frauen in all ihren Talenten gefördert werden müssen.

Schöneck / Nidderau - Die Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde betrachten sich als Vertreter des fundamentalen Islam. „Die Frauenrechte sind seit jeher im Koran verankert“, sagt Hirsch. Muslime, die das anders sehen, würden die Schrift falsch übersetzen, sagt sie. Nicht was der Mullah sagt, zähle, sondern das, was im Koran steht. „Es gibt immer viel darüber zu diskutieren.“

Nida Hirsch, Mutter eines dreijährigen Jungen und eines einjährigen Mädchens, ist tief gläubig. Und sie engagiert sich mit viel Herzblut in der Lajna Imaillah, der Frauenorganisation der Amadiyya, und tritt damit in die Fußstapfen ihrer Mutter Farrah Kahloon, der Regionalvorsitzenden der Frauenorganisation. Das Motto der Lajna Imaillah ist: „Keine Nation kann Fortschritte machen, ohne ihre Frauen zu bilden.“ Mit 18 000 Mitgliedern ist die Lajna Imaillah die größte muslimische Frauenorganisation. In diesem Jahr feiert sie ihr 100-jähriges Bestehen.

Frauen in der Ahmadiyya-Gemeinde sollen sich entfalten können

Die Lajna Imaillah will ihren Frauen ermöglichen, sich zu entfalten, ihr Wissen zu erweitern und sich spirituell weiterzuentwickeln. Mädchen können sich bei Sport- oder Bildungswettbewerben messen, Volleyball oder Fußball spielen, Nachhilfe nehmen, Freundschaften bei gemeinsamen Aktivitäten schließen. Auch für erwachsene Frauen gibt es Weiterbildung, Diskussionen und Freizeitangebote. „Jedes Talent wird bei uns gefördert“, ist Hirsch überzeugt.

Die Gemeindemitglieder wollen auch über den eigenen Tellerrand hinausblicken. Denn einer der Glaubensgrundsätze der Ahmadiyya-Muslime sei, der gesamten Menschheit zu dienen.

Also engagieren sich die Mitglieder in der Flüchtlingshilfe, pflanzen Bäume, sammeln Müll, spenden Blut. Und sie suchen den Dialog mit anderen Religionen. Einer ihrer bekanntesten Leitsprüche: „Liebe für alle, Hass für keinen.“ Ahmadis werden allerdings von den übrigen muslimischen Gruppierungen nicht anerkannt, werden in vielen Ländern verfolgt.

Und so haben die Eltern der jungen Frau eine leidvolle Vergangenheit: Sie sind vor rund 30 Jahren aus ihrer Heimat Pakistan geflohen. In diesem Land ist es Ahmadis offiziell nicht gestattet, das islamische Glaubensbekenntnis auszusprechen, sie werden diskriminiert und verfolgt.

Ahmadiyyas werden in Pakistan verfolgt

In Nidderau haben die Kahloons in den frühen 1990ern eine neue Heimat gefunden. Hier haben sie ihre Familie gegründet, ihre vier Kinder groß gezogen. Und hier können sie ihre Religion frei ausüben: 2015 baute die Hanauer Ahmadiyya Muslim Jamaat Gemeinde ihre eigene Moschee am Hafen.

Bildung habe dort einen hohen Stellenwert, bei Männern wie bei den Frauen, sagt Hirsch. Sie selbst ist dafür das beste Beispiel. Nach dem Abitur an der Hola hat sie Molekularbiologie an der Uni Gießen studiert. Aktuell arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit in Biologiedidaktik. „Ich möchte irgendwann als Lehrerin arbeiten, zum Beispiel an einer Berufsschule“, sagt sie. Die Kopftuchdiskussion im öffentlichen Dienst bedauert sie, hält sie für eine Form von Rassismus. „Denn sie benachteiligt muslimische Frauen, unabhängig davon, wie gebildet sie sind.“ Stattdessen seien Toleranz, Respekt, der interreligiöse Dialog wichtig, auch in der Schule. „Ich finde, Kinder sollten in ihrem Umfeld alles kennenlernen. Und dann sollen sie selbst entscheiden, was sie für sich möchten.“

Organisieren ist Nida Hirschs größtes Talent

Eins ihrer größten Talente ist das Organisieren. „Wäre ich keine Biologin, wäre ich wahrscheinlich Wedding-Plannerin geworden“, scherzt sie. Hirsch arbeitet ehrenamtlich als stellvertretende Generalsekretärin des Bundesverbands der Lajna Imaillah mit Sitz in Frankfurt. Sie ist außerdem stellvertretende Vorsitzende in der Gemeinde Bruchköbel, der auch die Kommunen Nidderau und Schöneck zugeordnet sind. Dazu gibt sie Mädchen Nachhilfe. Ihr Zeitplan zwischen Familie, Gemeindearbeit und Hochschulausbildung ist also mehr als straff, dennoch wirkt sie tiefenentspannt. „Ich habe Glück, meine Kinder schlafen gut“, sagt sie lächelnd. Hirsch ist seit einigen Jahren mit dem deutschstämmigen Ahmadi Marvin Hirsch verheiratet. Ihr Ehemann, ebenfalls studierter Naturwissenschaftler, ist 2016 konvertiert. „Wir gehen zusammen den richtigen Weg“, ist sie überzeugt. (Christine Semmler)

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